Astronomen entdecken zwei Sonnenwind-Jets in der Heliosphäre

Die gelbe Struktur ist die Heliopause, die Grenze zwischen der Heliosphäre und dem lokalen interstellaren Medium. Die Sonne befindet sich im Zentrum dieser Blase, aber ist zu klein, um hier dargestellt zu werden. Die grauen Linien sind die solaren Magnetfeldlinien und die roten Linien sind die Feldlinien des interstellaren Magnetfeldes. Die Jets erstrecken sich nach oben und unten und sind nach hinten gekrümmt. (M. Opher)
Die gelbe Struktur ist die Heliopause, die Grenze zwischen der Heliosphäre und dem lokalen interstellaren Medium. Die Sonne befindet sich im Zentrum dieser Blase, aber ist zu klein, um hier dargestellt zu werden. Die grauen Linien sind die solaren Magnetfeldlinien und die roten Linien sind die Feldlinien des interstellaren Magnetfeldes. Die Jets erstrecken sich nach oben und unten und sind nach hinten gekrümmt. (M. Opher)

Während sich die Sonne durch die Milchstraßen-Galaxie bewegt, emittiert sie geladene Teilchen in Form eines Plasmastroms, der als Sonnenwind bezeichnet wird. Der Sonnenwind wiederum erzeugt eine Blase, die als Heliosphäre bekannt ist und die sich bis weit jenseits der Planeten im Sonnensystem erstreckt. Seit Jahrzehnten haben Wissenschaftler die Heliosphäre als kometenförmig visualisiert: Demnach hat sie einen sehr langen Schweif, der ungefähr 746 Milliarden Kilometer lang ist – das ist tausende Male mehr als die Distanz zwischen der Erde und der Sonne.

Eine neue von der NASA finanzierte Forschungsarbeit spricht nun dafür, dass die Heliosphäre in Wirklichkeit von zwei riesigen Materiejets dominiert wird, die vom Nord- und Südpol der Sonne ausgehen. Sie werden durch die Interaktion des solaren Magnetfeldes mit dem interstellaren Magnetfeld begrenzt. Die Jets krümmen sich als zwei relativ kurze Schweife nach hinten. Das Endergebnis ist eine Heliosphäre ohne den oben erwähnten langen Schweif: eine Heliosphäre, die mehr wie eine Mondsichel aussieht und weniger wie ein Komet. Darüber hinaus sind die beiden Jets mit anderen im Weltraum beobachteten astrophysikalischen Jets vergleichbar. Ihre Untersuchung könnte daher neue Wege eröffnen, um solche Jets im Universum zu verstehen. Die Forschungsarbeit wird in einer Abhandlung beschrieben, die am 19. Februar 2015 in den Astrophysical Journal Letters veröffentlicht wurde.

“Die Vermutung von Jedermann besagte, dass die Form der Heliosphäre durch den Strom der interstellaren Materie gestaltet wird, der um sie herum vorbeizieht”, sagte Merav Opher, eine Astronomin an der Boston University und die Hauptautorin der Abhandlung. “Wissenschaftler dachten, der an dem Schweif entlangströmende Sonnenwind könne die Magnetfelder in der Heliosphäre leicht langziehen und diesen langen Schweif erzeugen. Aber es stellt sich heraus, dass die Magnetfelder stark genug sind, um diesem Zug zu widerstehen. Stattdessen drücken sie den Sonnenwind zusammen und erzeugen diese beiden Materiejets.”

Opher und ihre Kollegen entdeckten die Jets und bestimmten die neue Form, als sie Feineinstellungen an Simulationen der Heliosphäre vornahmen, die auf Beobachtungen der NASA-Raumsonde Voyager 1 basierten. Voyager 1 flog kürzlich aus der Heliosphäre heraus in den interstellaren Weltraum. Als das erste von Menschenhand gebaute Objekt außerhalb unseres Sonnensystems lieferte Voyager 1 uns den bislang einzigen Einblick in das interstellare Medium und wartete mit einer Riesenüberraschung auf: Die Magnetfelder dort draußen waren fast wie die Magnetfelder hier drin ausgerichtet, obwohl seit langer Zeit davon ausgegangen wurde, dass sie in eine andere Richtung zeigen würden.

Opher arbeitete mit dem Weltraumforscher Jim Drake von der University of Maryland in College Park zusammen, der als Co-Autor an der Abhandlung mitwirkte. Sie hatten bereits Modelle der Heliosphäre basierend auf Computercode erschaffen, der von Physikern an der University of Michigan entwickelt wurde. Ihre bisherige Arbeit konzentrierte sich auf den Bug der Heliosphäre und versuchte die dortigen physikalischen Abläufe zu ergründen, während wir uns durch den Weltraum bewegen. Um zu sehen, ob sie die unerwarteten Ergebnisse von Voyager 1 reproduzieren konnten, erschuf das Team eine Simulation mit höherer Auflösung. Die neue Simulation beschrieb eine Heliosphäre wie keine andere, die bisher in Betracht gezogen wurde.

“Die Voyager-Sonden hatten mit einer Taschenlampe in die Küche geleuchtet und niemand hat auf dem Dachboden nachgesehen”, sagte sie. “Während wir das Umhüllen des Bugs durch das galaktische Magnetfeld untersuchten, bemerkten wir, dass die Heliosphäre viel kürzer war, als wir angenommen hatten.” Statt allein durch den Strom der interstellaren Materie dominiert zu werden und einen langen Schweif zu erzeugen, werde die Form der Heliosphäre auch durch die Sonnenwindjets beeinflusst, die von der Sonne ausgehen, sagte Drake.

Der Stern BZ Camelopardalis (links) besitzt eine relativ kleine magnetische Blase. Der Stern Mira (rechts) hat dagegen einen sehr langen Schweif. (NASA / Casalegno / GALEX)
Der Stern BZ Camelopardalis (links) besitzt eine relativ kleine magnetische Blase. Der Stern Mira (rechts) hat dagegen einen sehr langen Schweif. (NASA / Casalegno / GALEX)

“Wenn es dort keinen interstellaren Strom gäbe, dann würden die Magnetfelder der Sonne den Sonnenwind in zwei Jets zwingen, welche direkt nach Norden und Süden weisen”, sagte Drake. “Die Magnetfelder ziehen sich um diese Jets zusammen und schießen den Sonnenwind heraus, so als würde man eine Tube Zahnpasta zusammendrücken.”

Aufgrund der Anwesenheit des interstellaren Stroms sind diese Jets nach hinten gekrümmt und haben eine sichelförmige Gestalt, wenn man sie von der Sonne aus betrachtet. Die Jets werden von dem starken interstellaren Strom erodiert, was zu zwei abgeschwächten, kurzen Schweifen führt. Das hat eine viel kleinere Heliosphäre zur Folge, die nur etwa das 250-fache der Entfernung zwischen der Erde und der Sonne misst – rund 37 Milliarden Kilometer.

“Die Form der Heliosphäre ist nicht nur anders, als man angenommen hat”, sagte Drake. “Der Mechanismus dieser Jets ist auch der gleiche wie bei vielen anderen astrophysikalischen Systemen. Andere astrophysikalische Jets erzeugen energiereiche Teilchen, aber sie sind weit entfernt und schwer zu untersuchen. Unsere Jets befinden sich in der Nähe, deswegen könnten wir in der Lage sein herauszufinden, wie sie die energiereichen Teilchen produzieren, die in der Heliosphäre gemessen wurden.”

Um ihr Heliosphärenmodell zu unterstützen, wandten sich die Wissenschaftler weiteren Beobachtungen des Schweifs zu. Sowohl die NASA-Raumsonde Cassini als auch der Interstellar Boundary Explorer (IBEX) haben Informationen über das Schweifende der Heliosphäre gesammelt, indem sie sogenannte energiereiche, neutrale Atome (Energetic Neutral Atoms, ENAs) registrierten. Energiereiche, neutrale Atome werden durch energetische Teilchenkollisionen im Weltraum erzeugt und bewegen sich praktischerweise in geraden Linien – im Gegensatz zu vielen anderen Teilchen im Weltraum. Die Beobachtung von energiereichen, neutralen Atomen, die aus einer bestimmten Region eintreffen, kann daher verwendet werden, um diese Region zu kartieren. “Die Cassini-Daten zeigten eine vergleichbare Menge energiereicher, neutraler Atome, die aus dem Schweif der Heliosphäre und aus dem Bug der Heliosphäre eintrafen”, sagte Opher. “Das ließ darauf schließen, dass die Größen der beiden Seiten ähnlich waren, was einen kurzen Schweif bedeutete.”

Eine Abhandlung über IBEX-Daten aus dem Jahr 2013 beschrieb ebenfalls eine zweilappige Form am Schweif. Opher und Drake vermuten, dass die beobachteten Strukturen tatsächlich die beiden Jets mit interstellarer, nicht zur Heliosphäre gehörenden Materie dazwischen gewesen sein könnten. Die Abhandlung über die IBEX-Ergebnisse wurde dennoch so interpretiert, dass die Heliosphäre einen langen Schweif besitzt.

Im Hinblick auf solche Ergebnisse geht Opher davon aus, dass das neue Modell kontrovers sein wird. “Dies wird sehr, sehr heftig diskutiert werden”, sagte sie und betonte, dass viele Wissenschaftler mit dem traditionellen, kometenförmigen Modell der Heliosphäre arbeiten. “Aber”, so ergänzte sie, “die ersten Ergebnisse aus den Beobachtungen der Raumsonden verlangen eine ebenso unkonventionelle Erklärung.”

Bis dahin sehen diese neu postulierten Materiejets wie Babyversionen von hochenergetischen Materiejets aus, die um exotische Objekte wie Schwarze Löcher und Pulsare existieren. Sie werden auch um Protosterne beobachtet, die gerade geboren werden. Die Möglichkeit, diese Jets in unserem eigenen Hinterhof zu untersuchen, stellt ein Labor dar, in dem eine Struktur erforscht werden kann, die überall im Universum vorkommt. “Wenn wir mit alldem recht haben, stellt uns das eine lokale Testumgebung zur Verfügung, um einige sehr wichtige Prozesse zu erforschen”, sagte Drake.

Quelle: http://www.nasa.gov/content/goddard/two-solar-wind-jets-found-in-the-heliosphere/index.html

(THK)

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