Fossile Grille enthüllt Liebeslied aus dem Jura

Ein sogenanntes Heupferd. (Wikipedia / User: Fritz Geller-Grimm / CC BY-SA 2.5)
Ein sogenanntes Heupferd. (Wikipedia / User: Fritz Geller-Grimm / CC BY-SA 2.5)

Dem Liebeslied einer ausgestorbenen Grille, die vor 165 Millionen Jahren lebte, wurde von Wissenschaftlern der University of Bristol Leben eingehaucht. Der Gesang – möglicherweise das bislang älteste dokumentierte musikalische Lied – wurde aus mikroskopischen Flügelstrukturen eines im Nordosten Chinas entdeckten Fossils rekonstruiert. Er erlaubt uns, eines der Geräusche anzuhören, das von Dinosauriern und anderen Kreaturen wahrgenommen worden sein könnte, die nachts durch die Wälder des Jura streiften.

Vor 165 Millionen Jahren war die Erde Schauplatz einer Vielfalt von Geräuschen. Primitive Laubheuschrecken und quakende Amphibien gehörten zu den ersten Tieren, die durch Stridulation (Aneinanderreiben bestimmter Körperteile) laute Geräusche erzeugten. Heutige Laubheuschrecken – auch bekannt als Katydids (US-amerikanische Bezeichnung; Anm. d. Red.) – erzeugen Paarungsrufe, indem sie eine Reihe von Zähnen auf einem Flügel gegen ein Plektrum auf dem anderen Flügel reiben. Aber wie ihre primitiven Vorfahren Geräusche erzeugten und wie ihre Geräusche tatsächlich klangen, war unbekannt – bis jetzt.

Nach der Entdeckung mehrerer Insektenfossilien kontaktierte eine Gruppe chinesischer Paläontologen, darunter Jun-Jie Gu und Professor Dong Ren von der Capital Normal University in Peking, Dr. Fernando Montealegre-Zapata und Professor Daniel Robert von der School of Biological Sciences der University of Bristol, beides Experten für die Biomechanik des Singens und Hörens bei Insekten. Die Gruppe arbeitete auch mit Dr. Michael Engel von der University of Kansas in den USA zusammen, einem führenden Experten auf dem Gebiet der Insektenevolution.

Die chinesischen Forscher stellten ein außergewöhnlich detailreiches Fossil einer Laubheuschrecke aus dem Mittleren Jura zur Verfügung. Das Exemplar hatte so gut konservierte Flügelstrukturen, dass die Einzelheiten seiner Stridulationsorgane unter einem optischen Mikroskop deutlich sichtbar waren. Solche Informationen wurden bisher noch nie von einem Insektenfossil erhalten. Es wurde als eine neue fossile Art identifiziert und erhielt von dem Peking-Kansas-Team die Bezeichnung Archaboilus musicus.

Dr. Montealegre-Zapata und Professor Robert untersuchten die anatomische Konstruktion des fossilen Geräuscheapparates und verglichen sie mit 59 lebenden Laubheuschreckenarten. Sie schlussfolgerten, dass dieses Tier musikalische Lieder erzeugt und reine, einzelne Frequenzen verbreitet haben muss.

Professor Robert sagte: “Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass die Kommunikation mittels reiner Töner von Tieren schon vor 165 Millionen Jahren im Mittleren Jura verwendet wurde. Für Archaboilus und auch für lebende Laubheuschreckenarten ist das Singen eine Schlüsselkomponente beim Anlocken von Geschlechtspartnern. Das laute und klare Singen verkündet die Anwesenheit, die Position und die Qualität des Sängers, eine Botschaft, auf die Weibchen reagieren – oder nicht. Die Verwendung eines einzelnen Tons trägt den Ruf des Männchens besser und weiter, wodurch es wahrscheinlich mehr Weibchen ein Ständchen bringt. Allerdings macht es das Männchen auch verräterischer gegenüber Räubern, wenn sie ebenfalls Ohren entwickelt haben, um diesen Paarungsrufen zu lauschen.”

Die am 6. Februar 2012 in PNAS veröffentlichte Forschungsarbeit spricht dafür, dass die akustische Umgebung schon vor 165 Millionen Jahren ziemlich betriebsam war und viele Tiere (wie Amphibien und andere Arthropoden) gleichzeitig – möglicherweise im Chor – sangen, zusammen mit zusätzlichen Hintergrundgeräuschen von Wasserfällen, Flüssen und Wind.

Erstaunlicherweise konnte Dr. Fernando Montealegre-Zapata die Gesänge dieser urzeitlichen Insekten auf Basis der detaillierten Morphologie der Flügel von Archaboilus rekonstruieren. Biomechanischen Prinzipien folgend, die er vor einigen Jahren entdeckt hatte, stellte Dr. Montealegre-Zapato fest, dass Archaboilus musicus einen Ton von 6,4kHz ausstieß und dass jeder Laut 15 Millisekunden andauerte. Das waren genug Informationen, um den Gesang selbst zu rekonstruieren, möglicherweise das älteste dokumentierte musikalische Lied bis jetzt.

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Video-Link: https://youtu.be/GqClW784cow

Archaboilus musicus singt bei Abenddämmerung in einem Wald aus dem Mittleren Jura (Credit: Audio by Dr Fernando Montealegre Zapata; 3D forest reconstruction from work by JK Hinz, I Smith, H-U Pfretzschner, O Wings and G Sun)

Diese paläobioakustische Analyse gab auch einen einzigartigen Einblick in die Ökologie eines ausgestorbenen Insekts. Dr. Montealegre-Zapata sagte: “Durch Verwendung eines niedrigfrequenten Gesangs war Archaboilus musicus akustisch an die Kommunikation über weite Entfernungen in einer etwas chaotischen Umgebung angepasst – wie ein Wald aus dem Jura. Heute sind alle Laubheuschreckenarten, welche musikalische Rufe benutzen, nachtaktiv, deshalb waren die musikalischen Rufe im Jura höchstwahrscheinlich auch eine Anpassung an das Nachtleben. Durch die Nachtaktivität entkam Archaboilus musicus möglicherweise tagaktiven Jägern wie Archaeopterix, aber es kann nicht ausgeschlossen werden, dass insektenfressende Säugetiere wie Morganucodon und Dryolestes ebenfalls den Rufen von Archaboilus lauschte und sie fraß.

“Diese Laubheuschrecke aus dem Jura wirf Licht auf die potenziellen Hörfähigkeiten anderer Tiere und hilft uns, ein wenig mehr über die Umgebung einer längst vergangenen Welt zu erfahren. Sie legt auch die evolutionären Mechanismen nahe, die heutige Laubheuschrecken Ultraschallsignale entwickeln ließen, um Geschlechtspartner anzulocken und einem bedeutenden Jäger aus dem Wege zu gehen, der Ultraschall benutzt, aber das geschah 100 Millionen Jahre später, vermutlich mit dem Auftreten von Fledermäusen.”

Forschungsarbeit: “Wing stridulation in a jurassic katydid (insecta, orthoptera) produced low-pitched musical calls to attract females” by Gu, J. J., Montealegre-Z, F., Robert, D., Engel, M. S., Qiao, G. X. and Ren, D. in Proc. Natl. Acad. Sci. USA DOI:10.1073/pnas.111837210

Quelle: http://www.bris.ac.uk/news/2012/8210.html

(THK)

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