Multiversum = Viele-Welten-Interpretation, sagen zwei Physiker

Schematische Darstellung einer globalen Raumzeit aus der Abhandlung (Leonard Susskind / Stanford University u. Raphael Bousso / University of California)
Schematische Darstellung einer globalen Raumzeit aus der Abhandlung (Leonard Susskind / Stanford University u. Raphael Bousso / University of California)

Die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik sagt aus, dass alle möglichen unterschiedlichen Vergangenheiten des Universums tatsächlich existieren. An jedem Punkt der Zeit teilt sich das Universum in eine Vielzahl von Existenzen auf, in denen jeder mögliche Ausgang jedes Quantenprozesses stattfindet.

Also in diesem Universum sitzt man vor dem Computer und liest diesen Artikel, in einem anderen liest man einen anderen Artikel, und in einem weiteren wird man gerade von einem Lastwagen überfahren. In vielen existiert man nicht einmal.

Das bedeutet, dass es eine unendliche Anzahl von Universen gibt, oder zumindest eine sehr große Anzahl von ihnen. Das klingt bizarr, aber das ist ein kleiner zu zahlender Preis für die Ordnung, die die Viele-Welten-Interpretation in die ansonsten verrückte Vorstellung der Quantenmechanik bringt. Der Grund, warum viele Physiker die Viele-Welten-Interpretation lieben, ist, dass sie all die seltsamen Paradoxa der Quantenmechanik erklärt.

Zum Beispiel das Paradoxon von Schrödingers Katze – gefangen in einer Kiste, in der ein Quantenprozess sie getötet haben könnte oder auch nicht. Ein Beobachter kann nur durch Öffnung der Kiste sagen, ob die Katze tot oder lebendig ist.

Aber davor befindet sich der Quantenprozess, der die Katze tötet oder nicht tötet, in einer Superposition von Zuständen, deshalb muss die sich Katze ebenfalls in einer Superposition befinden: gleichzeitig tot und lebendig. Das ist natürlich bizarr aber in der Viele-Welten-Interpretation verschwindet das Paradoxon: die Katze stirbt in einem Universum und lebt in einem anderen.

Stellen wir die Viele-Welten-Interpretation einen Moment zur Seite und betrachten eine andere eigenartige Theorie in der modernen Physik. Die Theorie, dass unser Universum zusammen mit einer riesigen, möglicherweise unendlichen Anzahl von anderen Universen geboren wurde. Demnach ist unser Kosmos nur eine winzige Ecke eines viel größeren Multiversums.

Heute (23.5.2011) haben Leonard Susskind von der Stanford University in Palo Alto und Raphael Bousso von der University of California in Berkeley die Theorie vorgestellt, dass das Multiversum und die Viele-Welten-Interpretation der Quantenmechanik formal äquivalent sind.

Aber es gibt einen Vorbehalt. Die Äquivalenz gilt nur, wenn die Quantenmechanik und das Multiversum bestimmte Formen annehmen.

Zuerst die Quantenmechanik. Susskind und Bousso vermuten, dass es möglich ist, die Voraussagen der Quantenmechanik exakt zu überprüfen. Einst wäre solch eine Aussage Ketzerei gewesen. Aber in der Theorie wäre es machbar, wenn ein Beobachter eine unendliche Anzahl von Experimenten durchführen und den Ausgang von allen überwachen könnte.

Aber das ist unmöglich, nicht wahr? Niemand kann eine unendliche Anzahl von Experimenten durchführen. Die Relativität setzt dem eine wichtige praktische Grenze, weil einige Experimente außerhalb des kausalen Horizontes von anderen fallen würden. Und das würde bedeuten, dass sie nicht alle überwacht werden könnten.

Aber Susskind und Bousso sagen, dass es eine bestimmte Formulierung des Universums gibt, in der das möglich ist. Diese ist bekannt als das supersymmetrische Multiversum mit einer verschwindenden kosmologischen Konstanten. Wenn das Universum diese Form annimmt, dann ist es möglich eine unendliche Anzahl von Experimenten innerhalb des kausalen Horizontes ihrer selbst durchzuführen.

Das ist der springende Punkt: genau das passiert in der Viele-Welten-Interpretation. In jedem Moment findet eine unendliche (oder sehr große) Anzahl von Experimenten innerhalb ihrer kausalen Horizonte statt. Als Beobachter sind wir in der Lage, den Ausgang jedes dieser Experimente zu sehen, aber wir folgen nur einem.

Weil die Viele-Welten-Interpretation nur in ihrem supersymmetrischen Multiversum möglicht ist, müssen sie äquivalent sein, argumentieren Bousso und Susskind. “Wir denken, dass das globale Multiversum eine Repräsentation der Viele-Welten-Interpretation in einer einzigen Geometrie ist”, sagen sie. Sie nennen diese neue Theorie die Multiversum-Interpretation der Quantenmechanik.

Die Theorie ist es wert, einen Moment darüber zu grübeln. Bousso und Susskind sind zwei der weltführenden Stringtheoretiker (Susskind wird als Vater dieses Feldes bezeichnet), deswegen haben ihre Theorien eine einwandfreie Herkunft.

Aber was dieser Theorie fehlt, ist eine überprüfbare Voraussage, die Physikern helfen würde, sie experimentell von anderen Theorien über das Universum zu unterscheiden. Und ohne dieses grundlegende Element ist die Multiversum-Interpretation der Quantenmechanik wenig mehr als Philosophie.

Das mag nicht sehr viele Physiker beunruhigen, weil nur wenige der anderen Interpretationen der Quantenmechanik verifizierbare Voraussagen besitzen (deswegen nennt man sie Interpretationen).

Dennoch hat dieser neue Ansatz eine befriedigende Einfachheit – es ist sauber und elegant, dass die Viele-Welten-Interpretation und das Multiversum äquivalent sind.

William of Ockham wäre sicherlich hoch erfreut darüber und viele moderne Physiker wären es ohne Zweifel ebenfalls.

Referenz: http://arxiv.org/abs/1105.3796 – The Multiverse Interpretation of Quantum Mechanics

Quelle: http://www.technologyreview.com/blog/arxiv/26787/

(THK)

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