Weshalb “singende” Sanddünen bestimmte Töne summen

"Singende" Sanddünen wie diese in Al-Askhara (Oman) summen oft in mehreren Frequenzen gleichzeitig. (Simon Dagois-Bohy, Université Paris Diderot)
"Singende" Sanddünen wie diese in Al-Askhara (Oman) summen oft in mehreren Frequenzen gleichzeitig. (Simon Dagois-Bohy, Université Paris Diderot)

Was hat Elvis Presley mit einer Sanddüne gemeinsam? Nein, es ist nicht, dass Menschen manchmal beides in der Gegend von Las Vegas sehen. Stattdessen können manche Sanddünen singen – wie der King. Und eine neue Forschungsarbeit, die nach Anhaltspunkten sucht, wie Sandströme singen können, kann möglicherweise erklären, warum manche Dünen in mehr als einer Tonlage gleichzeitig summen.

Sanddünen singen nur in wenigen Gebieten auf dem Globus und ihre Klänge – immer ein tiefes, monotones Brummen – sind seit Jahrhunderten ein Objekt der Wissbegierde. Marco Polo begegnete ihrem eindringlichen Brummen auf seinen Reisen und Charles Darwin schrieb in seinem Buch “The Voyage of the Beagle” über Aussagen von Chilenen bezüglich des Klangs eines sandigen Hügels, den sie als “Bellower” bezeichneten. (Anm. d. Red.: Sinngemäß ist mit dem englischen Begriff beispielsweise das laute Gebrüll eines großen Tieres gemeint.)

Der Klang des Sandes ist ein tiefes Brummen bei einer Frequenz in der unteren Hälfte des Tonumfangs eines Cellos. Diese Dünen singen nur, wenn der Sand ihre Hänge hinabrutscht. Menschen selbst können den Sand in Bewegung versetzen oder – noch gespenstischer – der Wind kann Sandrutschungen auslösen und einen plötzlichen, dröhnenden Chor erschaffen.

Wissenschaftler dachten bisher, dass der Klang aufgrund der durch den rutschenden Sand erzeugten Vibrationen in den stabileren unteren Schichten der Dünen entsteht. Aber aus Experimenten im Jahr 2009 ergaben sich Hinweise darauf, dass der Sand selbst singt, nicht die Dünen. Die Forscher brachten einen flachen Sandhaufen zum Singen, während er einen Hang im Labor hinabrutschte. Jetzt hat dasselbe Forschungsteam ein tieferes Rätsel der Dünen untersucht – wie aus einer Düne gleichzeitig mehrere Noten erklingen können.

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Video-Link: https://youtu.be/RJlLR4fSKto

Zwei “singende” Sanddünen in Marokko und Oman. (American Geophysical Union / Video by Derek Sollosi and Sean Treacy. Images and sounds provided by Simon Dagois-Bohy)

Um dieser Frage nachzugehen, zeichneten der Physiker Simon Dagois-Bohy und seine Kollegen von der Paris Diderot University in Frankreich zwei verschiedene Dünen auf: eine in der Nähe von Tarfaya, einer Hafenstadt im Südwesten Marokkos und eine in der Nähe von Al-Askharah, einer Küstenstadt im Südosten Omans. Egal wo die Aufzeichnungen nahe der marokkanischen Düne gemacht wurden, der Sand sang durchweg mit 105 Hertz, in der Nachbarschaft von Gis, zwei Oktaven unter dem eingestrichenen C. Der Sand in Oman sang ebenfalls kräftig, aber setzte manchmal eine Kakophonie fast aller möglichen Frequenzen zwischen 90 und 150 Hertz frei, also von Fis bis D, ein Bereich von neun Tönen.

Die Forschungsarbeit wird am heutigen Freitag (26. Oktober 2012) im Journal Geophysical Research Letters der American Geophysical Union veröffentlicht.

Obwohl die Dünen in Oman etwas holperige Sänger sind , identifizierten die Wissenschaftler einige Töne, die ein wenig stärker als die anderen waren. Aber mit all dem Sand, der auf einmal rutscht, waren diese auffälligen Frequenzen oft in einem Meer aus Tönen begraben. Die Forscher beobachteten auch, dass Sandkörner aus der Düne in Oman einen breiteren Größenbereich umfassten als ihre marokkanischen Gegenstücke. Die Sandkörner aus der Düne in Oman waren zwischen 150 und 310 Mikrometer groß, während die marokkanischen Sandkörner nur 150 bis 170 Mikrometer maßen.

Also brachten Dagois-Bohy und seine Kollegen Sandkörner aus der Düne in Oman zurück ins Labor. Als erstes ließen sie das Sandgemisch aus Oman einen konstruierten Abhang herunterrutschen, zeichneten seinen Klang mit Mikrofonen auf und maßen die Vibrationen des Sandes mit Sensoren, die auf der Oberfläche glitten. Dann verwendeten sie ein Sieb, um die Sandkörner zu isolieren, die zwischen 200 und 250 Mikrometer groß waren, und ließen diesen Sand denselben Abhang herunterrutschen.

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Video-Link: https://youtu.be/IXXdtAZD78M

Laborversuch mit rutschendem Sand. (American Geophysical Union / Video by Simon Dagois-Bohy)

Anschließend verglichen die Forscher den Klang des isolierten Sandes mit dem Klang des Sandgemisches. Sie fanden heraus, dass die Sandkörner eines breiten Größenbereichs geräuschvoll sangen, während der Sand aus Körnern eines schmalen Größenbereichs eine deutliche Note bei etwa 90 Hertz sangen, ähnlich wie es der Sand aus Marokko natürlicherweise tut. Dagois-Bohy sagte, dies spreche dafür, dass die Körnchengröße ein wichtiger Faktor dafür ist, welchen Ton die Dünen singen. “Der Klang, den wir hören, hängt mit der Größe der Körner zusammen”, sagte er. “Also können wir sagen, dass die Größe der Körner wichtig ist.”

Das Forschungsteam vermutet, dass die Körnchengröße die Reinheit der von den Dünen erzeugten Töne beeinflusst. Wenn die Körnchengröße variiert, fließen die Ströme aus Sand mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und produzieren eine höhere Bandbreite von Noten. Wenn die Sandkörnchen alle ungefähr dieselbe Größe haben, bewegen sich die Sandströme innerhalb der Rutschung mit gleichmäßigeren Geschwindigkeiten und sorgen dafür, dass der Klang sich auf spezifische Töne beschränkt. Aber Wissenschaftler wissen immer noch nicht, wie sich die unkontrollierte Bewegung fließender Körner in Klänge übersetzt, die kohärent genug sind, um musikalischen Tönen zu entsprechen.

Die Hypothese seines Teams ist, dass sich die Vibrationen fließender Sandkörnchen synchronisieren und Gebiete der Sandkörner im Einklang vibrieren lassen. “Ihre tausenden schwachen Vibrationen vereinigen sich, um die Luft zusammenzudrücken, wie die Membran eines Lautsprechers”, sagte Dagois-Bohy. “Aber warum synchronisieren sie sich miteinander?”, merkte er an. “Das ist noch nicht aufgeklärt.”

“Die Studie versucht und schafft es meiner Meinung nach auch in vielen Punkten, das Problem des Mechanismus zu lösen, welcher fließenden Sand in ein Lied übersetzt”, sagte Tom Patitsas, ein theoretischer Physiker von der Laurentian University in Sudbury (Ontario), der nicht an der Studie beteiligt war. Patitsas sagte, die Theorie hinter dem Klang erfordere immer noch mehr Arbeit, um beispielsweise zu erklären, warum der fließende Sand eine dünne Schicht aus festem Sand im Untergrund benötige, um einen Klang hervorzubringen. Er vermutet, dass die fließenden Sandkörnchen mit gleich großen Körnchen unter der Rutschung mitschwingen. Diese begrabenen Körnchen könnten in kettenähnlichen Mustern vorliegen, welche die Resonanz verstärken. “Wenn man erst einmal diese Resonanz hat, wird die Amplitude der Vibration hoch sein”, sagte Patitsas.

Quelle: http://www.agu.org/news/press/pr_archives/2012/2012-47.shtml

(THK)

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