Forscher vervollständigen Theorie über die Kristallbildung

Apatit, eine Form von Calciumphosphat und Hauptbestandteil von Knochen. (Eindhoven University of Technology / Wouter Habraken)
Apatit, eine Form von Calciumphosphat und Hauptbestandteil von Knochen. (Eindhoven University of Technology / Wouter Habraken)

Wie genau sich ein Kristall aus einer Lösung bildet, ist ein Problem, das Wissenschaftler seit Jahrzehnten beschäftigt. Forscher an der Eindhoven University of Technology (TU/e) präsentieren jetzt gemeinsam mit Wissenschaftlern aus Deutschland und den USA das fehlende Puzzlestück. Diese klassische Theorie der Kristallbildung, die in der Natur und der chemischen Industrie weitverbreitet ist, lag einige Jahre lang im Kreuzfeuer, aber jetzt ist sie gesichert. Das Team machte den Durchbruch anhand der detaillierten Untersuchung der Kristallisation von Calciumphosphat, dem Hauptbestandteil unserer Knochen. Das Team veröffentlichte seine Ergebnisse am 19. Februar 2013 in dem Onlinejournal Nature Communications.

Kristallisation ist die Bildung einer festen, geordneten Substanz, wie es etwa bei dem Gefrieren von Wasser geschieht. In der Natur bestehen Kristalle hauptsächlich aus Ionen, die in Wasser gelöst sind, beispielsweise bei der Bildung von Schalen oder Knochen. Dabei sammeln sich die Ionen in größer werdenden Kernen, bis nach Erreichen einer bestimmten Größe ein Kristall entstanden ist. Die Einzelheiten dieses Wachstumsprozesses waren jedoch viele Jahre lang Gegenstand von Diskussionen.

Kontroverse

Den existierenden Theorien zufolge sind es einzelne Ionen, die sich zusammen gruppieren, um Kristallisationskerne zu bilden. Aber im Jahr 2009 zeigen Chemiker unter Leitung von Dr. Nico Sommerdijk (TU/e) das Vorhandensein eines Zwischenschrittes beim Wachstumsprozess von Calciumkarbonat-Kristallen. Man nahm an, dass die Ionen zuerst kleine Cluster bilden, die dann zu Kristallisationskernen anwachsen. Diese Entdeckung, die damals die Titelstory des Magazins Science war, rief Kontroversen hervor, weil sie den klassischen Kristallisationstheorien zu widersprechen schien, welche einen solchen Zwischenschritt nicht in Betracht zogen.

Cryo-Elektronenmikroskop

Jetzt hat Sommerdijk seine Schlussfolgerungen von 2009 nochmal überdacht. Zumindest stellt sich die Antwort jetzt als tiefgründiger heraus, als man zu dem Zeitpunkt vermutete. Gemeinsam mit Forschern des Max Planck Instituts in Deutschland und des Lawrence Berkeley National Laboratory in den USA sah er sich die Rolle dieser sogenannten Pre-Nucleation-Cluster (etwa: Prä-Kernbildungs-Gruppen) beim Wachstumsprozess des Minerals Calciumphosphat genauer an. Unter Verwendung eines Cryo-Elektronenmikroskops, das Aufnahmen von tiefgefrorenen Proben macht, war er in der Lage, die exakten Bestandteile des Clusters zu identifizieren und den Wachstumsprozess im Detail zu untersuchen.

Fehlstart

In ihrem Artikel in Nature Communications schlussfolgert Sommerdijk, dass die Cluster keinen klar definierten Zwischenschritt vollziehen, sondern stattdessen Teil eines allmählichen Wachstumsprozesses sind. Sommerdijk bezeichnet die Bildung der Cluster durch die Ionen als “Fehlstart”, weil die Cluster schon Schritt für Schritt damit beginnen, sich selbst zu ordnen, während sie sich noch in der Lösung befinden, ohne tatsächlich Wachstumskerne zu bilden. Dieses neue Wissen bedeutet, dass die existierenden Theorien nicht länger überholt werden müssen. Sommerdijks Team vervollständigt die Theorie derzeit durch die Beschreibung alternativer “Pfade”, entlang derer Kristalle entstehen können. Sommerdijks neue Ergebnisse wurden im Rahmen einer zweiten Studie über die Kristallbildung des Minerals Magnetit bestätigt, die im Februar im Magazin Nature Materials erschien.

Meinungsverschiedenheiten

In den vergangenen Jahren waren die Rolle und der Aufbau der Pre-Nucleation-Cluster Gegenstand intensiver wissenschaftlicher Diskussionen, zum Beispiel im letzten Sommer während der angesehenen Faraday Discussions. Es gab auch Meinungsverschiedenheiten über Sommerdijks neue Interpretation innerhalb des Teams selbst. Manche Teammitglieder hielten am ursprünglichen Szenario fest, sogar nachdem zahlreiche neue Experimente bestätigt hatten, dass die Cluster nicht denselben Aufbau haben und dieselbe Rolle spielen, wie früher geglaubt wurde. Letztendlich wurde entschieden, den Artikel ohne die Namen der Teammitglieder einzureichen, die nicht imstande waren, die neuen Anschauungen zu akzeptieren. Der Artikel hatte nach vier Jahren des Experimentierens und der Begutachtung eine endgültige Länge von fast 100 Seiten erreicht.

Anwendungen

Sommerdijks Ansicht nach wurden die drängendsten Fragen über die Bildung von Kristallen jetzt beantwortet. Dieses theoretische Wissen ist wichtig auf vielen Gebieten, weil die Kristallisation in der Natur und der chemischen Industrie weitverbreitet ist. Einige Beispiele sind etwa die Bildung von Korallen im Meer, die Produktion von Arzneimitteln und die Entwicklung von Nanopartikeln. Das Wissen könnte helfen, die Produktionsprozesse günstiger, schneller oder energieeffizienter zu gestalten.

Quelle: http://www.tue.nl/en/university/news-and-press/news/theory-of-crystal-formation-complete-again/

(THK)

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