Die Saga des „Knochenfresser“-Wurms Osedax begann vor zwölf Jahren mit der ersten Entdeckung dieser Tiefseekreatur, die sich von den Knochen toter Tiere ernährt. Die Geschichte von Osedax wurde sogar noch seltsamer, als Forscher herausfanden, dass die großen weiblichen Würmer Harems aus winzigen Männchen enthalten.
In einer neuen Studie, die am 11. Dezember 2014 im Journal Current Biology veröffentlicht wurde, berichten der Meeresbiologe Greg Rouse von der Scripps Institution of Oceanography an der UC San Diego und seine Mitarbeiter von einer neuen Wendung der Osedax-Geschichte: Sie offenbart eine evolutionäre Kuriosität wie keine andere im Tierreich. Zu den Mitarbeitern gehörten Nerida Wilson (früher an der Scripps Institution und jetzt am Western Australian Museum), Katrine Worsaae von der Universität von Kopenhagen und Robert Vrijenhoek vom Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI).
Bei der Untersuchung von Knochenwürmern in einer Tiefe von 700 Metern mit einem ferngesteuerten Roboterfahrzeug des MBARI beobachtete Rouse eine überraschende neue Art des Osedax. Die Weibchen dieser neuen Spezies haben ungefähr die gleiche Größe wie ihre bereits untersuchten Verwandten, aber die Männchen sind zehntausende Male größer als jene der anderen Osedax-Arten und damit in etwa genauso groß wie die Weibchen. „Diese Entdeckung kam sehr unerwartet“, sagte Rouse. „Es ist das erste bekannte Beispiel für eine so dramatische evolutionäre Umkehr von zwergwüchsigen Männchen.“
„Evolutionäre Umkehr in vorherige Stadien ist im Tierreich sehr selten“, sagte Co-Autor Vrijenhoek. „Dieser Fall ist außergewöhnlich, weil die Gene für die Produktion normalgroßer Männchen wegen Nichtgebrauchs im Laufe der Zeit verkümmert sein sollten. Aber anscheinend sind die Gene noch vorhanden.“ Überraschend war auch die Entdeckung, dass die Männchen der neuen Spezies für sich selbst Knochen fressen – etwas, das ihre zwergwüchsigen Verwandten nie tun.
Der Paarungsprozess dieser neuen Spezies fügt der Entdeckung noch mehr Sonderbares hinzu. Bisher untersuchte Zwerg-Männchen der Gattung Osedax sind permanent an ihre Weibchen gebunden und brauchen folglich nicht mobil zu sein, um sich zu paaren. Deshalb fragten sich die Wissenschaftler, wie die Männchen der neu entdeckten Art imstande sind, eine Partnerin zu finden.
„Die evolutionäre Lösung (die neue Spezies) bestand darin, den Körper des Männchens sehr dehnbar zu machen, so dass es sich weit ausstrecken kann, um Weibchen für die Paarung zu finden. Es kann seinen Körper auf das Zehnfache seines zusammengezogenen Zustands ausdehnen“, sagte Rouse. Infolgedessen habe sich der gesamte Körper des Wurms als ein Werkzeug für die Paarung entwickelt, „und darum gaben wir ihm die Bezeichnung Osedax priapus, nach dem mythologischen Gott der Fruchtbarkeit“, sagte Rouse.
Die Forscher spekulieren, dass weniger Konkurrenz um Platz auf bestimmten Tierknochen die evolutionäre Einführung von Osedax priapus ermöglichte. „Dieser Wurm war seltsam genug, so wie er war, und jetzt ist er sogar noch eigenartiger“, sagte Rouse. „Das zeigt uns, dass es im Meer noch Geheimnisse gibt und dass es dort noch so viel mehr zu entdecken gibt, insbesondere weil wir diese Kreaturen erst vor zwölf Jahren fanden.“
Finanzielle Unterstützung leisteten die David and Lucile Packard Foundation über das MBARI, die Scripps Institution of Oceanography, die National Science Foundation und die wissenschaftliche Fakultät der Universität von Kopenhagen.
(THK)
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