Rapa Nui, besser bekannt als die Osterinsel, ist die Heimat der rätselhaften Moai – das sind Steinmonolithen, die seit hunderten Jahren die Insellandschaft bewachen. Ihre Existenz ist ein Wunderwerk menschlichen Einfallsreichtums – und ihre Bedeutung ist Ursprung einiger Mythen.
Die alten Steinmetze arbeiteten im Auftrag der elitären Herrscherklasse, um fast 1.000 Moai anzufertigen, weil sie und die Gemeinschaft als Ganzes glaubten, dass die Statuen landwirtschaftliche Fruchtbarkeit und dadurch entscheidende Nahrungsversorgung hervorbringen konnten. Das ist das Ergebnis einer kürzlich im Journal of Araeological Sciences veröffentlichten neuen Studie von Jo Anne Van Tilburg, der Direktorin des Easter Island Statue Project.
Van Tilburg und ihr Team arbeiteten mit der Geoarchäologin und Bodenspezialistin Sarah Sherwood zusammen und denken, dass sie wissenschaftliche Belege für diese lang vermutete Bedeutung gefunden haben. Die Arbeit basiert auf sorgfältigen Analysen zweier spezieller Moai-Statuen, die im Zeitraum von fünf Jahren im Rano-Raraku-Steinbruch auf der Ostseite der polynesischen Insel freigelegt wurden.
Van Tilburgs neueste Analyse konzentrierte sich auf zwei Monolithe, die in der inneren Region des Rano-Raraku-Steinbruchs stehen, welcher der Ursprungsort von 95 Prozent der etwa 1.000 Moai-Statuen auf der Insel ist. Umfangreiche Laboranalysen von Bodenproben aus demselben Gebiet zeigen Hinweise auf Nahrungsbestandteile wie Bananen, Taro und Süßkartoffeln.
Van Tilburg sagte, die Analyse habe gezeigt, dass Rano Raraku nicht nur als Steinbruch und als Ort zur Anfertigung von Statuen diente, sondern auch ein landwirtschaftlich produktives Gebiet gewesen sei. “Unsere Untersuchung erweitert unsere Perspektive auf die Moai und stärkt uns in unserer Ansicht, das nichts genau so ist, wie es scheint, egal wie offensichtlich es sein mag. Ich denke, unsere neue Analyse vermenschlicht den Herstellungsprozess der Moai”, sagte sie.
Van Tilburg arbeitet seit mehr als drei Jahrzehnten auf Rapa Nui. Ihr Easter Island Statue Project wird teilweise vom Cotsen Institute of Archaeology an der University of California in Los Angeles (UCLA) unterstützt. Tom Wake, ein Kollege vom Cotsen Institute of Archaeology, analysiert die Überreste von Kleintieren am Ausgrabungsort. Van Tilburg ist auch die Direktorin des Rock Art Archive der UCLA. In Zusammenarbeit mit Mitgliedern der ortsansässigen Gemeinschaft leitet sie die ersten offiziell erlaubten Ausgrabungen von Moai-Statuen in Rano Raraku seit 1955. Cristián Arévalo Pakarati, ein von der Osterinsel stammender Künstler, ist der Co-Direktor des Projekts.
“Der Boden in Rano Raraku ist wahrscheinlich der reichhaltigste auf der Insel, sicher auf lange Zeitspannen bezogen”, sagte Sherwood. Verbunden mit einer Süßwasserquelle in dem Steinbruch scheint es so, als habe der Abbau selbst dabei geholfen, die Fruchtbarkeit des Bodens und die Nahrungsproduktion in der direkten Umgebung zu erhöhen. Der Boden des Steinbruchs ist reich an Ton, der durch die Verwitterung des Lapilli-Tuff (dem lokalen Grundgestein) gebildet wurde, als die Arbeiter in tiefere Schichten vordrangen und die Moai-Statuen anfertigten.
Sherwood ist Professorin für Geo- und Umweltsysteme an der University of the South in Sewanee (Tennessee) und schloss sich dem Easter Island Project an, nachdem sie auf einer Geologie-Konferenz ein anderes Mitglied von Van Tilburgs Team traf. Ursprünglich suchte sie nicht nach der Bodenfruchtbarkeit, sondern untersuchte aus Neugier und Forscherdrang einige Proben, die aus dem Steinbruch zurückgebracht wurden.
“Als wir die Ergebnisse erhielten, musste ich zweimal hinschauen”, sagte Sherwood. “Es gab wirklich hohe Konzentrationen an Substanzen, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie dort vorhanden wären, beispielsweise Calcium und Phosphor. Die Chemie des Bodens zeigte hohe Konzentrationen an Elementen, die entscheidend für das Pflanzenwachstum und hohe Erträge sind. Überall sonst auf der Insel war der Boden schnell ausgelaugt, erodiert und der Elemente beraubt, die Pflanzen als Nährstoffe dienen. Aber in dem Steinbruch mit seinem konstanten Zufluss an kleinen Fragmenten aus dem Grundgestein gibt es ein perfektes Feedback-System aus Wasser, natürlichem Dünger und Nährstoffen.”
Sie sagte, es sähe auch so aus, dass die historischen einheimischen Menschen auf der Osterinsel sehr intuitiv bezüglich dessen waren, was sie anbauen sollten: Sie bauten mehrere Getreidesorten in demselben Gebiet an, was bei der Aufrechterhaltung der Bodenfruchtbarkeit helfen kann. Die von Van Tilburgs Team ausgegrabenen Moai-Statuen wurden aufrecht an Ort und Stelle entdeckt, eine auf einem Sockel und die andere in einem tiefen Loch, was darauf hindeutet, dass sie an den Positionen bleiben sollten.
“Diese Studie verändert auf radikale Art die Theorie, dass alle stehenden Statuen in Rano Raraku nur auf den Transport aus dem Steinbruch heraus warteten”, sagte Van Tilburg. “Das heißt, diese und möglicherweise andere aufrecht stehende Moai-Statuen in Rano Raraku wurden in Position gebracht, um die heilige Natur des Steinbruchs selbst sicherzustellen. Die Moai wurden für die Theorie der Fruchtbarkeit zur zentralen Bedeutung, und im Glauben der Einwohner regte ihre Präsenz hier die landwirtschaftliche Nahrungsproduktion an.”
Van Tilburg und ihr Team schätzen, dass die Statuen aus dem inneren Steinbruch zwischen 1510 und 1645 oder davor aufgestellt wurden. Die Aktivität in diesem Teil des Steinbruchs begann höchstwahrscheinlich im Jahr 1455. Der Großteil der Produktionsaktivitäten für Moai-Statuen kamen in den frühen 1700er Jahren aufgrund des Kontakts zur westlichen Welt zum Erliegen.
Die beiden von Van Tilburgs Team ausgegrabenen Statuen waren fast vollständig von Erde und Schutt bedeckt. “Wir wählten diese Statuen für die Ausgrabung basierend auf der sorgfältigen Sichtung historischer Fotografien und kartierten die gesamte innere Region von Rano Raraku, bevor wir mit den Ausgrabungen begannen”, sagte sie.
Van Tilburg hat hart gearbeitet, um Beziehungen zu der einheimischen Gesellschaft auf der Osterinsel aufzubauen. Die Feld- und Laborteams des Projekts bestehen aus einheimischen Arbeitern, die von professionellen Archäologen und Geologen angeleitet werden.
Das Ergebnis ihrer gemeinsamen Bemühungen ist ein umfangreiches, detailliertes Archiv und eine Vergleichsdatenbank, die mehr als 1.000 Skulpturobjekte auf der Osterinsel dokumentiert, darunter die Moai-Statuen und ähnliche Aufzeichnungen zu mehr als 200 Objekten, die in Museen auf der ganzen Welt verstreut sind. Im Jahr 1995 ernannte die UNESCO die Osterinsel zum Weltkulturerbe, inklusive der meisten heiligen Orte auf der Insel inmitten des Rapa Nui National Park.
Dies ist die erste Studie, welche den Steinbruch als komplexe Landschaft darstellt und ein Ergebnis liefert, das die Bodenfruchtbarkeit, die Landwirtschaft, den Abbau von Steinen und die heilige Natur der Moai miteinander verbindet. Van Tilburg und ihr Team arbeiten an einer weiteren Studie, welche die Gravuren auf den Steinen analysiert, die es nur auf drei Moai-Statuen gibt.
(THK)
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