Die entscheidende Rolle der Insekten bei der Bestäubung von Blütenpflanzen ist gut bekannt, aber die Befruchtung von Algen unter Mitwirkung von Meerestieren wurde bislang als nicht existent betrachtet. Ein Team unter Leitung einer Wissenschaftlerin der französisch-chilenischen Evolutionary Biology and Ecology of Algae Forschungsgruppe an der Roscoff Marine Station (CNRS / Sorbonne University / Pontificia Universidad Católica de Chile / Universidad Austral de Chile) hat entdeckt, dass kleine Krustentiere – sogenannte Idoteen – zum Fortpflanzungszyklus der Rotalge Gracilaria gracilis beitragen. Die Ergebnisse der Wissenschaftler wurden am 29. Juli 2022 im Journal Science veröffentlicht. Sie sprechen dafür, dass die von Tieren unterstützte Befruchtung viel älter ist als gedacht.
Sind Meerestiere am Reproduktionszyklus von Algen beteiligt, so wie bestäubende Insekten auf dem Land? Die Verteilung der männlichen Keimzellen (Spermien) von Rotalgen hängt im Allgemeinen von der Wasserbewegung ab und bis jetzt haben Wissenschaftler die Rolle der Tiere bei dem Prozess nicht erkannt.
Ein internationales Forschungsteam, geleitet von Myriam Valero vom Centre national de la recherche scientifique (CNRS), hat gezeigt, dass winzige Meerestiere für die Rotalge Gracilaria gracilis wie “Meeresbienen” agieren.
Idoteen tragen zur Befruchtung von Gracilaria gracilis bei, indem sie zwischen diesen Algen schwimmen. Die Oberflächen der männlichen Algen sind mit Fortpflanzungsstrukturen übersät, die Spermien produzieren, welche mit einer klebrigen Substanz überzogen sind. Wenn die Idoteen daran vorbei schwimmen, bleiben die Spermien an deren Epidermis haften und werden dann auf den weiblichen Algen abgelagert, mit denen die Krustentiere in Kontakt kommen. Dadurch helfen sie der Rotalge bei der Reproduktion.
Aber Idoteen profitieren ebenfalls von diesem Arrangement. Die Algen geben ihnen Raum und Nahrung: Idoteen suchen die Nähe der Algen als Schutz vor starken Strömungen und sie ernähren sich von kleinen Organismen, die auf ihnen wachsen. Das ist ein Beispiel für eine mutualistische Interaktion – eine Win-Win-Situation für Pflanze und Tier. Und es ist das erste Mal, dass eine Interaktion dieser Art zwischen einer Meeresalge und einem Tier beobachtet wurde.
Obwohl diese ersten Ergebnisse nicht das Ausmaß beziffern, inwieweit der tierische Transport der Keimzellen relativ zur Rolle der Wasserbewegung zur Befruchtung der Algen beiträgt, bieten sie überraschende Einblicke in den Ursprung der von Tieren vermittelten Befruchtung von Pflanzen. Vor dieser Entdeckung wurde angenommen, dass letztere bei terrestrischen Pflanzen vor etwa 140 Millionen Jahren begann. Rotalgen entstanden vor mehr als 800 Millionen Jahren und ihre Befruchtung unter Einbeziehung von Tieren könnte viel älter sein als der Ursprung der Bestäubung an Land.
Valeros Team zielt jetzt auf verschiedene andere Fragen ab: Lösen Idoteen die Freisetzung von Spermien aus? Sind sie in der Lage, männliche Rotalgen-Exemplare von weiblichen zu unterscheiden? Und am wichtigsten: Gibt es zwischen anderen Meereslebewesen ähnliche Interaktionen?
(THK)
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