Obwohl die Beobachtung von Wellen ein Lieblings-Zeitvertreib von Strandgängern ist, bemerken nur wenige, was in dem seichtesten Wasser geschieht. Eine genauere Betrachtung von zwei Mathematikern der University of Colorado in Boulder hat zu der Entdeckung von interagierenden X- und Y-förmigen Ozeanwellen geführt, die bei der Erklärung helfen könnte, warum manche Tsunamis imstande sind, derart verheerende Schäden anzurichten.
Professor Mark Ablowitz und der Doktorand Douglas Baldwin beobachteten mehrmals solche Interaktionen in knöcheltiefem Wasser in Nuevo Vallarta (Mexiko) und in Venice Beach (Kalifornien) am Pazifischen Ozean. Man hatte angenommen, dass diese Interaktionen sehr selten sind, aber tatsächlich treten sie jeden Tag bei Niedrigwasser auf. Die Wissenschaftler sahen dort einzelne gerade Wellen, die miteinander interagierten, um X- und Y-förmige Wellen und komplexere Wellenstrukturen zu bilden, die alle durch mathematische Formeln vorhergesagt wurden.
Wenn die meisten Ozeanwellen miteinander kollidieren, sei die „Interaktions-Höhe“ die Summe der eintreffenden Wellenhöhen, sagte Baldwin. „Aber die Wellenhöhen, die wir bei diesen Interaktionen sahen, waren viel größer, was dafür spricht, dass sie ’nicht-linear‘ sind, wie wir es nennen“, sagte er.
Video-Link: https://youtu.be/uf5rBqnW2x4
Y-förmige Wellen-Interaktionen in Nuevo Vallarta, Mexiko. (Mark Ablowitz / Douglas Baldwin)
Satelliten-Beobachtungen des Tsunamis von 2011, welcher von dem vernichtenden Erdbeben ausgelöst wurde, das Japan traf, deuten darauf hin, dass es eine X-förmige Welle gab, die durch die Verschmelzung zweier großer Wellen erzeugt wurde. „Das hat die Zerstörungskraft des Ereignisses entscheidend verstärkt“, sagte Ablowitz. „Wenn die Interaktion in einer größeren Entfernung zur Küste aufgetreten wäre, hätte die Zerstörung sogar noch schlimmer sein können, weil die Amplitude noch größer hätte sein können. Nicht jeder Tsunami wird durch interagierende Wellen verstärkt, aber wenn sie sich überschneiden, kann es aufgrund der Nicht-Linearität einen starken Multiplikationsfaktor geben.“
Ablowitz beobachtete die nicht-lineare Wellenbewegung erstmals im Jahr 2009, während er mit seiner Familie Nuevo Vallarta nördlich von Puerto Vallarta besuchte. Im Laufe der nächsten paar Jahre machte er hunderte Fotos und Videos der seltsamen Wellen. „Im Gegensatz zu den meisten neuen physikalischen Experimenten kann man diese Interaktionen ohne teure Ausstattung oder jahrelanges Training sehen“, sagte Ablowitz. „Eine Person muss nur bei Niedrigwasser an einen flachen Strand gehen, vorzugsweise in der Nähe eines Piers, und wissen, wonach sie suchen muss.“ Eine Abhandlung von Ablowitz und Baldwin über das Thema wurde diesen Monat im Journal Physical Review E. veröffentlicht.
Video-Link: https://youtu.be/5erJu6XMxH0
X-förmige Wellen-Interaktionen in Nuevo Vallarta, Mexiko. (Mark Ablowitz / Douglas Baldwin)
Baldwin, der unter Ablowitz studiert, wollte noch einen Schritt weiter gehen und bestätigen, dass die von seinem Professor beobachteten Wellen-Interaktionen nicht auf einen Strand beschränkt waren. Dafür fuhr er aus einer Laune heraus mehr als 1.000 Meilen in den Großraum Los Angeles, um nach den Wellentypen zu suchen, die Ablowitz in Mexiko beobachtet hatte. Er zog das große Los mit Venice Beach.
„Ich denke nicht, dass es etwas Erfreulicheres in der Wissenschaft gibt, als etwas durch Zufall zu entdecken – etwas vorherzusagen, was man noch nicht gesehen hat und dann tatsächlich zu sehen, was man vorhergesagt hat“, sagte Baldwin.
(THK)
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