Astronomen entdecken die bislang entfernteste Gravitationslinse

Diese Aufnahme des Hubble Space Telescope zeigt die entfernteste Gravitationslinse, die bislang entdeckt wurde. Das Licht einer sehr jungen, sternbildenden Galaxie wird durch eine näher gelegene normale Galaxie gebeugt und verstärkt, wodurch ein sogenannter Einstein-Ring entsteht. (NASA / ESA / A. van der Wel)
Diese Aufnahme des Hubble Space Telescope zeigt die entfernteste Gravitationslinse, die bislang entdeckt wurde. Das Licht einer sehr jungen, sternbildenden Galaxie wird durch eine näher gelegene normale Galaxie gebeugt und verstärkt, wodurch ein sogenannter Einstein-Ring entsteht. (NASA / ESA / A. van der Wel)

Ein internationales Astronomenteam hat die bislang entfernteste Gravitationslinse entdeckt – das ist eine Galaxie, die – wie in Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie vorausgesagt – das Licht eines noch weiter entfernten Objekts ablenkt und verstärkt. Die Entdeckung bietet die seltene Gelegenheit, die Masse einer entfernten Galaxie direkt zu messen. Aber sie ist auch ein Rätsel: Gravitationslinsen dieser Art sollten außergewöhnlich selten sein. In Bezug auf diese Entdeckung und andere kürzliche Funde haben Astronomen entweder großes Glück, oder (und das ist wahrscheinlicher) sie haben die Anzahl der kleinen, sehr jungen Galaxien im frühen Universum deutlich unterschätzt.

Licht wird durch Gravitation beeinflusst und Licht, das eine entfernte Galaxie passiert, wird infolgedessen abgelenkt. Seit ihrer ersten Entdeckung im Jahr 1979 wurden zahlreiche Gravitationslinsen entdeckt. Neben der Überprüfung von Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie haben sich Gravitationslinsen als wertvolles Hilfsmittel erwiesen. Insbesondere kann man die Masse der lichtbeugenden Materie bestimmen, darunter auch die Masse der nach wie vor rätselhaften Dunklen Materie, die Licht weder emittiert noch absorbiert und nur aufgrund ihrer gravitativen Wirkung registriert werden kann. Die Linse verstärkt die Lichtquelle im Hintergrund auch, weswegen sie wie ein “natürliches Teleskop” agiert, das Astronomen erlaubt, entfernte Galaxien genauer zu betrachten, als es im Normalfall möglich wäre.

Gravitationslinsen bestehen aus zwei Objekten: Eines ist weiter entfernt und liefert das Licht und das andere (die beugende Masse bzw. Gravitationslinse, deren Gravitation das Licht ablenkt) liegt zwischen uns und der entfernten Lichtquelle. Wenn der Beobachter, die Linse und die entfernte Lichtquelle präzise aneinander ausgerichtet sind, sieht der Beobachter einen Einstein-Ring: einen perfekten Kreis aus Licht, der das projizierte und stark vergrößerte Bild der entfernten Lichtquelle darstellt.

Jetzt haben Astronomen die bislang entfernteste Gravitationslinse entdeckt. Der leitende Autor Arjen van der Wel vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg (Deutschland) erklärte: “Es war eine komplette Zufallsentdeckung. Ich sah nochmals Beobachtungen eines früheren Projekts durch, als ich eine Galaxie bemerkte, die ausgesprochen seltsam war. Sie sah wie eine extrem junge Galaxie aus, aber sie schien in einer viel größeren Entfernung zu liegen als erwartet. Sie sollte nicht einmal Teil unseres Beobachtungsprogramms sein.”

Van der Wel wollte mehr erfahren und begann Bilder zu untersuchen, die mit dem Hubble Space Telescope als Teil der CANDELS- und COSMOS-Surveys gemacht wurden. Auf diesen Bildern sah das rätselhafte Objekt wie eine alte Galaxie aus, ein plausibles Ziel für das ursprüngliche Beobachtungsprogramm, aber es zeigte einige irreguläre Strukturen. Seiner Vermutung nach deuteten diese Strukturen darauf hin, dass er eine Gravitationslinse betrachtete. Nach der Kombination der verfügbaren Bilder und Entfernung der Lichttrübung von den Sternansammlungen in der lichtbeugenden Galaxie war das Ergebnis sehr deutlich: Ein fast perfekter Einstein-Ring, der auf eine Gravitationslinse mit sehr präziser Ausrichtung zwischen der Linse und der Hintergrund-Lichtquelle hinwies. Die beiden Objekte sind um weniger als 0,01 Bogensekunden aneinander ausgerichtet – das entspricht einem Millimeter Unterschied auf eine Entfernung von 20 Kilometern.

Die lichtbeugende Masse ist so weit entfernt, dass das Licht nach der Ablenkung 9,4 Milliarden Jahre brauchte, um uns zu erreichen. Der bisherige Rekordhalter wurde vor 30 Jahren entdeckt und sein Licht benötigte weniger als acht Milliarden Jahre, um zu uns zu gelangen. Das ist nicht nur ein neuer Rekord, sondern das Objekt dient auch einem wichtigen Zweck: Die Stärke der Verzerrung, die durch die beugende Galaxie verursacht wird, erlaubt eine direkte Messung ihrer Masse. Das stellt einen unabhängigen Test für die gebräuchlichen Methoden zur Bestimmung der Massen weit entfernter Galaxien zur Verfügung. Diese Methoden stützen sich auf die Extrapolation von nahen Galaxien. Zum Glück für die Astronomen haben ihre gebräuchlichen Methoden den Test bestanden.

Aber die Entdeckung ist auch ein Rätsel. Gravitationslinsen sind die Folge einer zufälligen Ausrichtung. In diesem Fall ist die Ausrichtung sehr präzise. Um es noch schlimmer zu machen, handelt es sich bei dem Objekt um eine sternbildende Zwerggalaxie: eine vergleichsweise massearme Galaxie (sie enthält nur etwa 100 Millionen Sonnenmassen in Form von Sternen), die aber extrem jung ist (10-40 Millionen Jahre alt) und in großer Anzahl neue Sterne produziert. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine so besondere Galaxie durch eine Gravitationslinse verstärkt wird, ist sehr klein. Trotzdem ist dies die zweite sternbildende Zwerggalaxie, deren Licht durch eine Gravitationslinse verstärkt wird. Entweder haben die Astronomen unglaubliches Glück oder sternbildende Zwerggalaxien kommen häufiger vor als bislang gedacht. Das würde Astronomen dazu zwingen, ihre Modelle von der Galaxienentwicklung zu überdenken.

Van der Wel schlussfolgerte: “Das ist eine verrückte und interessante Entdeckung. Sie war ein kompletter Zufallsfund, aber sie hat das Potenzial, ein neues Kapitel in unserer Beschreibung der Galaxienentwicklung im frühen Universum aufzuschlagen.”

Quelle: http://spacetelescope.org/news/heic1319/

(THK)

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