Forscher der University of Nottingham haben herausgefunden, dass eine rudimentäre Form von Leben aus einer der unwirtlichsten Umgebungen auf der Erde imstande ist, den normalen Replikationsprozess zu umgehen und sich quasi auf einem Nebenpfad zu vermehren. Die Studie wurde im Journal Nature veröffentlicht und konzentriert sich auf Haloferax volcanii – Teil einer Familie einzelliger Organismen namens Archaeen, die bis vor kurzem noch für einen Bakterientyp gehalten wurden.
Die Studie wurde von Wissenschaftlern der School of Life Sciences an der University of Nottingham geleitet. Die Ergebnisse könnten neue Einblicke darin geben, wie sich fehlerhafte Zellen bei Krankheiten wie Krebs unkontrolliert vermehren. Ihre Entdeckung kommt im selben Jahr wie das 50. Jubiläum eines Meilensteins auf dem Gebiet der DNA-Replikation: der Präsentation des Replicon-Modells auf dem Cold Spring Harbor Symposium on DNA Replication im Jahr 1963 von François Jacob, dem später der Nobelpreis für Medizin verliehen wurde.
Eine unerwartete Entdeckung
Dr. Thorsten Allers sagte: “Unglücklicherweise verstarb Jacob in diesem Jahr, aber 50 Jahre nachdem seine Theorie präsentiert wurde, lenkt sie noch immer die Erforschung der DNA-Replikation. Im Hinblick auf dieses Jubiläum kommt unsere Abhandlung im Journal Nature zur rechten Zeit. Wir haben gezeigt, dass die Replikationsursprünge – genetische Schalter, die die DNA-Replikation steuern – in manchen Organismen nicht nur unnötig sind, sondern dass Zellen sogar schneller wachsen, wenn diese Ursprünge nicht vorhanden sind. Das ist völlig unerwartet und hat uns gezwungen, einen der Eckpfeiler der DNA-Biologie neu zu überdenken.”
An der Abhandlung mit dem Titel “Accelerated Growth in the Absence of DNA Replication Origins” wirkten Dr. Thorsten Allers, Dr. Conrad Nieduszynski und Dr. Michelle Hawkins von der School of Life Sciences als Co-Autoren mit. Sie arbeiteten mit Dr. Sunir Malla und Dr. Martin Blythe vom DeepSeq, dem modernen DNA-Sequenzierungslabor der School of Life Sciences, zusammen.
Archaeen wurden zuerst in extremen Umgebungen entdeckt und können bei sehr hohen oder sehr niedrigen Temperaturen, sowie in hochgradig salzigem, saurem oder alkalischem Wasser überleben. Sie bilden neben Bakterien und Eukaryoten einen der drei Äste des Lebens. Eukaryoten sind mehrzellige Organismen, darunter Menschen, andere Tiere, Pflanzen und Pilze. Auf genetischer Ebene sind Archaeen enger mit Eukaryoten (und damit auch mit Menschen) verwandt als mit Bakterien. Das von den Forschern untersuchte, salzliebende Haloferax volcanii stammt aus dem Toten Meer.
Elementar für Leben?
Dr. Allers ergänzte: “Obwohl sie wie Bakterien aussehen und sich wie Bakterien verhalten, sind Archaeen tatsächlich näher mit uns verwandt. Wir sehen die Ähnlichkeiten, wenn wir die Enzyme betrachten, die für die DNA-Replikation verantwortlich sind, und darum dachten wir, dass dies ein interessantes System sein würde, um daran zu forschen. Wir haben etwas, das Leben ist – aber nicht so, wie wir es kennen: Von außen sieht es wie Bakterien aus, aber innen gleicht es uns.”
“Was wir entdeckt haben ist, dass Jacobs Replicon-Modell, das vor 50 Jahren postuliert wurde und von jedem als absolut zwingend für Leben angesehen worden war, bei diesem Archaeentyp nicht notwendigerweise gilt”, sagte er. Um sich zu reproduzieren, müssen alle Lebensformen ihre DNA kopieren, bevor sich die Zelle teilen kann. Das tun sie mit einer Reihe von “Replikationsursprüngen”, die sich auf ihren Chromosomen befinden. Proteine binden sich an die Replikationsursprünge, um den Replikationsprozess zu beginnen. Wenn diese Replikationsursprünge entfernt werden, verhindert das die Replikation und führt bei Eukaryoten wie Menschen letztendlich zum Zelltod.
Die Studie der University of Nottingham, finanziert durch den Biotechnology and Biological Science Research Council (BBSRC) und die Royal Society, hat jedoch ergeben, dass Haloferax volcanii fähig ist, sogar dann spontan eine Replikations-Kettenreaktion auf all seinen Chromosomen zu beginnen, wenn seine Replikationsursprünge eliminiert wurden. Außerdem entdeckten die Wissenschaftler, dass die Durchführung dieser neuen Überlebensstrategie bei weitem kein Nachteil ist, sondern dass die Archaeen ohne chromosomale Ursprünge schneller wuchsen.
“Das Erstaunliche, was wir feststellten, war nicht nur, dass die Eliminierung der Ursprünge den Zellen dennoch erlaubte zu wachsen, sondern dass sie jetzt sogar fast zehn Prozent schneller wuchsen. Jeder dachte ‘Wo ist der Haken?’ Aber wir haben keinen gefunden”, sagte Dr. Conrad Nieduszynski. “Die Art und Weise, wie Zellen diesen Replikationsprozess starten, geschieht mithilfe einer Form von DNA-Reparatur, die in jedem von uns existiert – allerdings nutzen sie diesen Prozess für einen anderen Zweck. Durch die Verwendung dieses Mechanismus lösen sie die Replikation an mehreren Stellen des Chromosoms gleichzeitig aus.”
Egoistisches Gen
Weil es den Anschein hat, dass die Ursprünge bei Holoferax volcanii nicht notwendig sind, glauben die Forscher, dass die Replikationsursprünge in diesem Organismus ein Beispiel für ein “egoistisches Gen” sein könnten. Es unterstützt die Ursprünge, indem es die Möglichkeit bietet, kontinuierlich repliziert zu werden, während es keinen Vorteil für den Organismus selbst hat. Für uns Menschen ist es sehr wichtig, dass wir diesen Prozess der DNA-Replikation regulieren können, um sicherzustellen, dass unsere Chromosomen nur einmal vor der Zellteilung kopiert werden. Anderenfalls kann das zu genetischen Erkrankungen führen, Krebs eingeschlossen.
Wenn Krebszellen entstehen, regulieren sie das Kopieren ihres Genoms nicht länger. Das passiert aufgrund von Mutationen in den Genen, die diesen Prozess kontrollieren. Der Verlust der Replikationskontrolle führt dazu, dass Krebszellen mehr als nur zwei Kopien ihrer Chromosomen anfertigen. Das haben sie mit den Vorgängen gemeinsam, die die Wissenschaftler in Haloferax volcanii beobachtet haben.
Dr. Allers sagte: “Forscher denken, dass Krebszellen ohne diese Kontrollen in ein primitiveres Stadium zurückfallen. Darin ähneln sie Haloferax volcanii. Ein anderes Kennzeichen von Krebszellen ist, dass sie schneller wachsen als gewöhnliche Zellen und den Körper rasch übernehmen können. Das ist vergleichbar mit dem, was wir sehen: Wenn man die DNA-Replikation nicht reguliert und auf normale Kontrollen verzichtet, kann man unreguliertes, schnelleres Wachstum bekommen.”
Wenn wir diesen Mechanismus verstehen können, könnte er uns in Zukunft einen Einblick darin geben, wie Krebszellen der normalen Regulierung entgehen. Er könnte sogar neue Ziele für das Abtöten von Krebszellen identifizieren, ohne dass dabei normale Zellen beschädigt werden.
Quelle: http://www.nottingham.ac.uk/news/pressreleases/2013/october/life,-but-not-as-we-know-it.aspx
(THK)
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