Alte “Narben” der Erde könnten die aktuelle Plattentektonik beeinflussen

Diese Karte zeigt die aktuellen Plattengrenzen (weiße Linien) und verborgene alte Plattengrenzen (gelbe Linien), die die Plattentektonik heute noch beeinflussen könnten. (Image: Russell Pysklywec, Philip Heron, Randell Stephenson)

Supercomputer-Simulationen der Erdkruste und des oberen Mantels sprechen dafür, dass alte geologische Ereignisse tiefe “Narben” hinterlassen haben könnten, die eine Rolle bei Erdbeben, Gebirgsbildung und anderen aktuellen Prozessen auf unserem Planeten spielen könnten. Das ändert die verbreitete Ansicht, dass nur Interaktionen an den Grenzen zwischen den kontinentgroßen tektonischen Platten für solche Ereignisse verantwortlich sein können.

Wissenschaftler der University of Toronto und der University of Aberdeen haben Modelle erstellt, die darauf hindeuten, dass frühere Plattengrenzen tief unter der Erdoberfläche verborgen bleiben. Diese mehrere Millionen Jahre alten Strukturen befinden sich fernab von existierenden Plattengrenzen und könnten die Struktur und Eigenschaften an der Oberfläche in den inneren Regionen der Kontinente verändern.

“Das ist möglicherweise eine bedeutende Neubetrachtung der grundlegenden Theorie der Plattentektonik”, sagte der Hauptautor Philip Heron, ein Postdoktorand in Russel Pysklywecs Forschungsgruppe am Department of Earth Sciences der University of Toronto. Ihre Abhandlung mit dem Titel “Lasting mantle scars lead to perennial plate tectonics” erschien am 10. Juni 2016 im Journal Nature Communications.

Eine neue Karte über die alte Geologie der Erde

Heron und Pysklywec haben gemeinsam mit dem Geologen Randell Stephenson von der University of Aberdeen sogar eine “beständige Karte der Plattentektonik” erstellt, die bei der Illustration helfen soll, wie alte Prozesse sich heute auswirken könnten.

“Sie basiert auf der vertrauten globalen Tektonikkarte, die bereits in der Grundschule gelehrt wird”, sagte Pysklywec, der außerdem der Vorsitzende des Department of Earth Sciences ist. “Was unsere Modelle neu definieren und auf der Karte zeigen, sind ruhende, verborgene, alte Plattengrenzen, die auch die Orte vergangener und aktueller Plattentektonikaktivitäten sein könnten.”

Um die dominierenden Effekte zu demonstrieren, die Anomalien unter der Erdkruste auf flache geologische Strukturen haben können, nutzten die Forscher SciNet an der University of Toronto zur Erstellung numerischer Modelle der Erdkruste und des oberen Mantels, in die sie diese narbenähnlichen Anomalien einbringen konnten. SciNet beherbergt die leistungsfähigsten Supercomputer Kanadas, einen der leistungsfähigsten Supercomputer weltweit.

Die Simulation der Kontinente von gestern

Das Team erstellte im Grunde genommen eine sich entwickelnde “virtuelle Erde”, um zu untersuchen, wie sich solche geodynamischen Modelle unter verschiedenen Bedingungen entwickeln. “Für diese Art von Simulation benötigt man eine recht hohe Auflösung, um zu verstehen, was sich unter der Oberfläche abspielt”, sagte Heron. “Unser Modell umfasst ein 1.500 Kilometer breites und 600 Kilometer tiefes Segment, aber ein Teil dieser Strukturen konnte nur zwei oder drei Kilometer breit sein. Es ist wichtig, die kleineren Belastungen und Spannungen exakt aufzulösen.”

Mit diesen Modellen stellte das Team fest, dass unterschiedliche Bereiche des Mantels unter der Erdkruste die Faltung, das Aufbrechen oder die Bewegung der Erdkruste innerhalb der Platten kontrollieren könnten, wenn sie unter Druck stehen. Das geschieht in der Form von Gebirgsbildung und seismischen Aktivitäten.

Auf diese Weise dominieren die Mantelstrukturen über flacheren Strukturen in der Kruste, die früher bereits als die Hauptursache für derartige Deformationen innerhalb der Platten angesehen wurden. “Der Mantel ist wie der thermale Motor des Planeten und die Kruste ist wie eine Eierschale darüber”, sagte Pysklywec. “Wir blicken in den rätselhaften und weitgehend unerforschten Bereich in der Erde, wo sich diese beiden Regionen treffen.”

Eine Erde im Ruhezustand

“Der Großteil der tektonischen Aktivitäten an den wirklich großen Platten findet an den Plattengrenzen statt, beispielsweise wenn die Indische Platte auf die Eurasische Platte trifft und den Himalaya auftürmt. Oder als sich der Atlantik öffnete, um Nordamerika von Europa zu trennen”, sagte Heron. “Aber es gibt viele Dinge, die wir nicht erklären konnten, etwa die seismische Aktivität und Gebirgsbildung fernab der Plattengrenzen im Innern der Kontinente.”

Nach Meinung des Forschungsteams zeigen die Simulationen, dass diese Mantelanomalien durch alte tektonische Prozesse wie dem Schließen alter Ozeane erzeugt werden und an Orten fern der normalen Plattengrenzen verborgen bleiben können, bis die Reaktivierung tektonische Faltungen, Brüche oder Bewegungen im Innern der Platten auslöst.

“Die zukünftige Erforschung dessen, was im Mantel unter der Kruste liegt, könnte zu weiteren Entdeckungen über die Abläufe in unserem Planeten führen und ein besseres Verständnis darüber entwickeln, wie die Vergangenheit unsere geologische Zukunft beeinflussen könnte”, sagte Heron.

Die Forschungsarbeit fußt auf dem Vermächtnis von J. Tuzo Wilson, einem Wissenschaftler der University of Toronto und legendären Figur in der Geowissenschaft, der Pionierarbeit auf dem Gebiet der Plattentektonik leistete.

“Die Plattentektonik ist tatsächlich der Eckpfeiler aller Geowissenschaften”, sagte Pysklywec. “Letztendlich könnten diese Informationen sogar zu Möglichkeiten führen, das Auftreten von Erdbeben und ihre Ursachen besser vorherzusagen. Sie ist ein entscheidender Baustein.”

Quelle: https://www.utoronto.ca/news/university-toronto-led-research-suggests-some-major-changes-geology-textbooks

(THK)

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