Der Albatros ist einer der effizientesten Reisenden im Tierreich. Eine Art, der Wanderalbatros, kann an einem einzigen Tag fast 800 Kilometer zurücklegen – nur mit einem gelegentlichen Schlag seiner Flügel. Diese Vögel nutzen ihre immensen Flügelspannweiten von über drei Metern, um den Wind einzufangen und auf ihm zu gleiten.
Beobachtern ist schon seit hunderten Jahren bekannt, dass sich diese gefiederten Riesen stundenlang am Gleiten kurz oberhalb der Meeresoberfläche halten, indem sie zwischen entgegengesetzten Luftströmungen abtauchen und segeln, so als würden sie Achterbahn fahren. Dieses Flugmuster wird als dynamischer Segelflug bezeichnet.
Jetzt haben Ingenieure am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ein neues Modell entwickelt, um den dynamischen Segelflug zu simulieren. Sie haben es verwendet, um das optimale Flugmuster zu identifizieren, das ein Albatros ausführen sollte, um den meisten Wind und die größtmögliche Energiemenge zu sammeln. Die Forscher stellten fest, dass ein Albatros beim Auf- und Abgleiten flache Bögen beschreiben und einen fast geraden, vorwärts gerichteten Kurs fliegen sollte.
Das neue Modell werde nach Ansicht der Forscher nützlich bei der Frage sein, wie sich die Flugmuster von Albatrossen verändern könnten, wenn sich die Windmuster aufgrund klimatischer Veränderungen verschieben. Es könnte auch das Design von windgetriebenen Drohnen und Gleitern beeinflussen, die Langzeitüberwachungsmissionen mit hoher Reichweite in abgelegenen Regionen der Erde durchführen könnten, wenn sie mit energiesparenden Flugbahnen für die gegebenen Windbedingungen programmiert wurden.
“Der Wanderalbatros lebt im Südlichen Ozean, der nicht sehr gut erforscht ist. Es ist sehr schwierig, dorthin zu gelangen, und es gibt dort viel Wind und Wellen”, sagte Gabriel Bousquet, ein Doktorand am Department of Mechanical Engineering am MIT. “Die Region ist extrem wichtig, um die Dynamik des Klimawandels zu verstehen. Mit Robotern, die den Wind nutzen können, könnte man in Echtzeit überwachen und viel genauere Daten erhalten, als es uns jetzt möglich ist. Das ist ein wichtiger Schritt vorwärts, um tatsächlich Algorithmen für Roboter zu schreiben, welche den Wind nutzen können.”
Bousquet ist der Erstautor einer im Journal Interface veröffentlichten Abhandlung, welche die Ergebnisse des Teams beschreibt. Seine Co-Autoren sind Jean-Jacques Slotine (Professor für Maschinentechnik, Informationswissenschaften und kognitive Wissenschaften) und Michael Triantafyllou (der Henry L. and Grace Doherty Professor in Ocean Science and Engineering und Professor für Maschinentechnik und Meerestechnik).
Konkurrenzfähiges Gleiten
Das Projekt des Teams wurde zum Teil durch Wettbewerbe für den dynamischen Segelflug inspiriert, bei denen die Teilnehmer Gleiter von Bergspitzen starten und die Geschwindigkeit jedes Gleiters beim windgetriebenen Runtergleiten, Aufsteigen, Runtergleiten und so weiter verfolgen. “Diese Flugzeuge können ohne jeglichen Antrieb wiederholt Geschwindigkeiten über 800 Kilometer pro Stunde erreichen”, sagte Triantafyllou. “Es klingt seltsam – wie kann man stetig Energie aus etwas ziehen, das wie Nichts aussieht?”
Es stellte sich heraus, dass die Gleiter Schub durch variierende Windströme erhalten. Wenn ein Gleiter vom Gipfel eines Berges gestartet wird, können hohe Winde wie ein Triebwerk agieren und den Gleiter beschleunigen, bis er eine geschützte Schicht mit langsameren Winden erreicht. Dort kann er seine Flugrichtung neu ausrichten, bevor er wieder zurück in die Region mit den hohen Winden aufsteigt.
Das gleiche Phänomen spielt sich Bousquet zufolge beim Flug des Albatros ab. Der einzige große Unterschied liege nur darin, dass ein Albatros nicht hinter einem Berg herabgleitet, sondern über Wasser segelt. “Weil der Wind hoch über dem Wasser schnell und nahe der Oberfläche langsam weht, lautete die Frage, der wir nachgingen: Wie können wir diese Ungleichmäßigkeiten zu unserem Vorteil nutzen und die Windenergie verwenden, um auf effiziente Weise zu fliegen?”, sagte Bousquet.
Auf dem Wind segeln
Der anerkannte englische Physiker Lord Rayleigh war der erste, der den dynamischen Segelflug in Form mathematischer Gleichungen beschrieb. Er sagte voraus, dass Albatrosse in einer Reihe gebogener 180-Grad-Halbkreise fliegen sollten, wenn sie abwechselnd durch Schichten mit hohen Winden fliegen und in Schichten mit langsameren Winden hinabgleiten. Das ist auch heute noch die gängige Ansicht.
Bousquet und seine Kollegen kamen allerdings zu einer ganz anderen Schlussfolgerung. Das Team modellierte zunächst das Windfeld und erstellte eine relativ einfache Gleichung, um die Veränderungen der Windgeschwindigkeit in Abhängigkeit von der Höhe darzustellen. Sie beachteten insbesondere die Dicke der Scherschicht, die als Distanz zwischen einer Schicht mit langsamen Winden und einer Schicht mit schnellen Winden angesehen werden kann.
Dann nutzten sie ein 3D-Modell, um den Flug auf einen Albatros oder Gleiter zu übertragen. Dieses Modell besteht aus komplexen Bewegungsgleichungen, die extrem schwer zu lösen sind, weil sie Wechselwirkungen innerhalb und zwischen mehreren Atmosphärenschichten berücksichtigen. Die Forscher lösten die komplizierten Gleichungen mit einer Methode, die als numerische Optimierung bezeichnet wird. Sie veränderten die Dicke der Scherschicht und suchten nach dem minimalen Wind, der für die Aufrechterhaltung des Fluges erforderlich ist. Dabei stellten sie fest, dass umso weniger Wind für die Aufrechterhaltung des Gleitens eines Vogels nötig war, je dünner die Scherschicht ist. Mit anderen Worten: Je enger die Schichten mit langsamen und schnellen Winden zusammenliegen, desto weniger Energie muss ein Albatros aufwenden, um in der Luft zu bleiben.
Weil ein Albatros nur innerhalb der ersten 5-20 Meter über der Wasseroberfläche fliegt, konnten die Forscher das Modell vereinfachen. Sie schrieben die Gleichungen um und reduzierten sie im Grunde genommen auf ein 2D-Modell, wobei es immer noch präzise den Flug eines Albatros oder Gleiters simuliert.
Anhand der numerischen und 2D-Modelle fanden die Wissenschaftler auch heraus, dass ein Vogel in dünneren Scherschichten effizienter fliegen kann, wenn er zwischen den Windschichten in Form flacher Bögen aufsteigt und heruntergleitet und nicht in weiten Halbkreisen. Bousquet sagte, dass dies auf den ersten Blick der Intuition zu widersprechen scheint.
“Eine Möglichkeit, das zu betrachten, ist dass bei jeder Kreuzung zwischen den langsamen und den schnellen Schichten ein bisschen Luftgeschwindigkeit aufgenommen wird”, erklärte Bousquet. “Die höchste Luftgeschwindigkeit bei einer Kreuzung wird aufgenommen, wenn der Auf- oder Abwind direkt gekreuzt wird – das geschieht bei halben Drehungen. Es gibt bei der Wende jedoch auch einen Geschwindigkeitsverlust aufgrund des Luftwiderstands. So stellte sich heraus, dass die wichtige Kenngröße das Verhältnis zwischen Geschwindigkeitszunahmen und -verlusten ist. Es ist also effizienter, oft ein wenig Geschwindigkeit zu gewinnen, so wie es bei kleinen Wenden der Fall ist, anstatt seltener viel Geschwindigkeit zu gewinnen, wie bei Halbdrehungen.”
Das Team berechnete, dass die energieeffizienteste Flugbahn darin bestehen würde, in extrem flachen Bögen zu fliegen und sich einer Amplitude von Null Grad zu nähern. Um zu sehen, ob diese Ergebnisse auch in der realen Welt gelten, verglichen sie ihre Voraussagen mit echten GPS-Aufzeichnungen von fliegenden Albatrossen. Diese Aufzeichnungen offenbarten, dass die Vögel dazu tendierten, in einem durchschnittlichen Winkel von 60 Grad zu wenden – ein viel flacherer Bogen als der 180-Grad-Halbkreis, den die meisten Wissenschaftler vermutet hatten.
Der Co-Autor Jean-Jaques Slotine sagte, die Einblicke der Abhandlung können als Plan zur Erstellung windgetriebener Drohnen und Gleiter dienen – ein Ziel, auf das das Team aktiv hinarbeitet. “Wenn wir Roboter entwickeln möchten, die Wind nutzen, dann wissen wir jetzt, dass die Fortbewegung entlang flacher Bögen sowohl der Reisegeschwindigkeit als auch der effizienten Energienutzung zugute kommt”, sagte Slotine. “Und es zeigt sich, dass die Albatrosse es genau so tun.”
Diese Forschungsarbeit wurde teilweise durch ein Fulbright Science and Technology Fellowship, einen Professor Amar G. Bose Research Grant, ein Link Foundation Ocean Engineering and Instrumentation Fellowship und die Singapore-MIT Alliance for Research and Technology finanziert.
(THK)
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