Seismische Wellen helfen Forschern, die rätselhafte Geschichte des Hochlands von Tibet zu entschlüsseln, was möglicherweise Einblicke in die zukünftige Erdbebenaktivität in der Region gewähren könnte.
Die Einzelheiten der tiefen geologischen Prozesse, die vor etwa 50 Millionen Jahren abliefen, als die Indische Platte mit der Asiatischen Platte kollidierte, blieben bisher unklar. Mit der Sammlung hochauflösender Erdbebendaten haben Geologen ein Modell entwickelt, das das bislang klarste Bild der Geologie unter der Oberfläche des Hochlands von Tibet zeichnet. Sie berichten über ihre Ergebnisse in den Proceedings of the National Academy of Sciences.
„Die kontinentale Kollision zwischen der Indischen und der Asiatischen Platte formte die Landschaft Ostasiens und verursachte einige der tödlichsten Erdbeben der Welt“, sagte Xiaodong Song, ein Geologie-Professor an der University of Illinois und Co-Autor der neuen Studie. „Das riesige Hochplateau ist für geologische und geophysikalische Untersuchungen jedoch größtenteils unzugänglich.“
Song und seine Kollegen zeigen, dass die obere Mantelschicht der Indischen tektonischen Platte in vier Teile zerrissen zu sein scheint, die unter Asien abtauchen – jede mit einem anderen Winkel und einer anderen Entfernung zum Ursprungsort des Risses.
Das Team sammelte geophysikalische Daten aus verschiedenen Quellen, um tomografische Bilder der seismischen Wellen unter Tibet zu produzieren, welche etwa 160 Kilometer tief reichen. Die Forscher stellten fest, dass diese neuen Bilder gut mit Daten über historische Erdbebenaktivitäten und geologischen und geochemischen Beobachtungen übereinstimmen.
„Die Präsenz dieser Risse hilft eine Erklärung dafür zu geben, warum in manchen Regionen Süd- und Zentraltibets Erdbeben im tiefen Mantel auftreten und in anderen nicht“, sagte Song.
Die Interaktionsregionen der Kruste zwischen den Rissen sind stark genug, um Spannungen aufzubauen und Erdbeben auszulösen. Die Krustenregionen oberhalb der zerrissenen Gebiete erhalten mehr Hitze aus dem Mantel und sind daher dehnbarer. Diese Flexibilität macht die wärmere Kruste weniger anfällig für Erdbeben.
„Was früher als ungewöhnliche Orte für einige der interkontinentale Erdbeben im südlichen tibetischen Plateau betrachtet wurde, scheint jetzt nach der Entwicklung dieses Modells mehr Sinn zu ergeben“, sagte der Doktorand und Co-Autor Jiangtao Li. „Es gibt eine verblüffende Übereinstimmung mit den Orten der Erdbeben und der Ausrichtung des fragmentierten oberen Indischen Mantels.“
Das Modell erklärt auch einige der Deformationsmuster an der Oberfläche, beispielsweise eine Reihe ungewöhnlicher Nord-Süd-Gräben. Zusammen seien die Erdbebenorte und Deformationsmuster Hinweise auf eine starke Verbindung zwischen der Kruste und dem oberen Mantel im südlichen Tibet, sagen die Forscher.
Mit diesen neuen Informationen haben Geowissenschaftler nun ein klareres Bild davon, welche Rolle der Indische obere Mantel bei der Gestaltung des Hochlands von Tibet spielt und warum Erdbeben in dieser Region dort auftreten, wo sie auftreten. Das könnte helfen, das Erdbebenrisiko abzuschätzen, sagen sie.
„Insgesamt spricht unsere neue Forschungsarbeit dafür, dass wir tiefer blicken müssen, um die kontinentalen Deformationen und deren Entwicklung zu verstehen“, sagte Song.
Die National Science Foundation, der China National Special Fund for Earthquake Scientific Research in Public Interest und die National Natural Science Foundation of China unterstützte diese Forschungsarbeit.
(THK)
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