Ultradiffuse Galaxien besitzen sehr geringe Helligkeiten, vergleichsweise wenig Sterne und eine geringe Sternentstehungsaktivität, wenn man sie mit normalen Galaxien ähnlicher Größen vergleicht. Sie kommen oft in Galaxienhaufen vor und weisen ein breites Spektrum an Größen und Formen auf. Viele von ihnen sind rund wie elliptische Zwerggalaxien, andere haben eine verzerrte Gestalt aufgrund gezeitenbedingter Störungen. Manche haben Gesamtmassen von bis zu 100 Milliarden Sonnenmassen.
Diese Galaxien sind nicht nur für sich genommen interessant, sondern sie sind auch wichtig für Astronomen, weil ihre diffusen Strukturen wertvoll für Modelle sind, die Informationen über die Dunkle-Materie-Halos herauszufinden versuchen, in welche die Galaxien eingebettet sind. In der Tat vermutet man, dass der Großteil ihrer Masse in der Form von Dunkler Materie vorliegt.
Über den Ursprung und die Entwicklung von ultradiffusen Galaxien ist nicht viel bekannt. Manchmal gleichen sie elliptischen Zwerggalaxien – kleinen, schwachen, elliptischen Galaxien, die in der Frühzeit der kosmischen Geschichte entstanden sein könnten, aber die nicht zu größeren Systemen verschmolzen. Das spricht dafür, dass einige ultradiffuse Galaxien primordiale Wurzeln haben.
Supernovae aus einer ersten Sternentstehungsphase könnten sie von der Zwerggalaxiengröße aufgebläht und weitere Sternentstehungsprozesse unterbunden haben, aber Gezeiteninteraktionen könnten ebenfalls eine vergleichbare Rolle gespielt haben, oder ultradiffuse Galaxien könnten aus besonderen Anfangsbedingungen hervorgegangen sein.
Die Astronomen Igor Chilingarian, Dan Fabricant und Sean Moran vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) und ihre Kollegen nutzten das Binospec-Instrument am MMT des Fred Lawrence Whippe Observatory, um schwache diffuse Galaxien im Coma-Galaxienhaufen und im Galaxienhaufen Abell 2147 zu untersuchen. Sie wählten elf schwache, diffuse Objekte mit geringer Sternentstehungsaktivität und mit Sternen, deren durchschnittliches Alter etwa 1,5 Milliarden Jahre beträgt. Das sind relativ junge Sterne, was bedeutet, dass sich diese Galaxien in einer Phase nach einem Starburst befinden. Alle Objekte haben kürzlich Begegnungen mit anderen Galaxien erfahren und besitzen Staudruckschweife mit Anzeichen für kürzliche Sternbildungsprozesse.
Die tiefen optischen Spektren dieser Galaxien nach einer Starburstphase ermöglichten den Astronomen, die stellare Geschichte jedes Objekts und dessen Kinematik zu modellieren. Die Spektren offenbarten die Präsenz von rotierenden, stellaren Scheiben, die nach Meinung der Forscher bis zu 95 Prozent aus Dunkler Materie bestehen.
Die Wissenschaftler schlagen ein Szenario vor, in dem diese Galaxien vor etwa zwölf Milliarden Jahren entstanden und begannen Sterne zu produzieren. Dann, vor 1-0,2 Milliarden Jahren brachten Starbursts aufgrund des Staudrucks von Begegnungen mit anderen Galaxien in ihren Galaxienhaufen den Großteil der Sternentstehungsprozesse zum Erliegen. Alle elf Objekte bildeten sich anscheinend auf dieselbe Weise.
Die Tatsache, dass die Stichprobe statistisch relevant ist (zumindest für die untersuchten Galaxienhaufen), brachte das Team zu der Schlussfolgerung, dass die Staudruckprozesse zur Aufblähung der Galaxien führten, so dass sie schließlich ultradiffuse Galaxien wurden. Demnach ging etwa die Hälfte aller ultradiffusen Galaxien wahrscheinlich aus ähnlichen Entwicklungsprozessen hervor.
Abhandlung: „Transforming Gas-Rich Low-Mass Disky Galaxies into Ultra-Diffuse Galaxies by Ram Pressure“ von Kirill A. Grishin, Igor V. Chilingarian, Anton V. Afanasiev, Daniel Fabricant, Ivan Yu. Katkov, Sean Moran, Masafumi Yagi, Nature Astronomy, 2021.
(THK)
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