Unterirdische Würmer aus der “Hölle”

Fadenwurm Heterodera glycines (Agricultural Research Service)
Fadenwurm Heterodera glycines (Agricultural Research Service)

Die Entdeckung von mehrzelligen Lebewesen in den tiefsten Minen klingt wie etwas aus den Geschichten von J. R. R. Tolkien. Doch Wissenschaftler haben jetzt in Goldminen in Südafrika vier neue Arten von Nematoden oder Fadenwürmern entdeckt, in Tiefen, von denen man dachte, dass es dort nur einzellige Bakterien gibt. Und mindestens eine davon, Halicephalobus mephisto, wurde nie zuvor beschrieben.

Der 0,5 Millimeter lange H. mephisto, benannt nach dem lichtscheuen Dämon der Unterwelt, ernährt sich von Bakterienmatten, die in mehr als einem Kilometer Tiefe an den warmen Wänden der Beatrix Goldmine wachsen, ungefähr 240 Kilometer südwestlich von Johannesburg.

“Er ist fast eine Million mal so groß wie die Bakterien, die er frisst – so wie wenn man Moby Dick im Ontariosee finden würde”, so Tullis Onstott, Geomikrobiologe an der Princeton University in New Jersey und Co-Autor der Studie, die jetzt in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde.

Bewohner der Tiefe

Bis jetzt kannte man Nematoden nur aus Funden, die näher an der Erdoberfläche waren und dachte, in größeren Tiefen leben nur noch Bakterien. Doch die Autoren der Studie entdeckten, dass H. mephisto in einer Tiefe von 1,3 Kilometern fröhlich existierte – dort wo die Temperaturen um 37 Grad Celsius liegen, höher als die meisten Nematoden an der Oberfläche überhaupt aushalten können.

In verschiedenen südafrikanischen Minen wurden noch weitere tiefenbewohnende Fadenwürmer entdeckt. Zwei Nematodenarten – eine identifiziert als Plectus aquatilis und eine unbekannte Art der Familie Monhysterid – wurden in der Driefontein-Mine in einer Tiefe von 0,9 Kilometern bei 24 Grad Celsius gefunden. Die Autoren gewannen auch DNA von einer zweiten unbekannten Monhysteridart in der Tau Tona Mine, 3,6 Kilometer tief, wo Temperaturen um ungefähr 48 Grad Celsius herrschen.

Das Auffinden der Würmer überraschte selbst die Autoren der Studie. “Als ich vorschlug, in solchen Tiefen unter der Erdoberfläche zu suchen, war das eine völlig verrückte Idee”, sagte der Nematologe Gaetan Borgonie von der Universiteit Gent in Belgien. “Es passiert nicht oft, dass man die Grenzen der Biosphäre eines Planeten neu ziehen kann.”

“So eine Tiefe? Solche Temperaturen? Das ist unglaublich”, so Diana Wall, Bodenökologin an der Colorado State University in Fort Collins, die antarktische Nematoden erforscht.

Halicephalobus mephisto lebt tief im Untergrund und ernährt sich von Bakterien (Property of the University of Gent, Belgium - Gaetan Borgonie)
Halicephalobus mephisto lebt tief im Untergrund und ernährt sich von Bakterien (Property of the University of Gent, Belgium – Gaetan Borgonie)

Eine “Rotzschicht”

In ihrem Lebensraum der Mine ernähren sich die Würmer von Bakterien, die in Biofilmen leben – “dicke Rotzschichten aus gelatineartigem klebrigen Zeug”, erklärt Onstott. Die Biofilme bilden sich an den Wänden der Mine in der Nähe von Bohrlöchern, wo das Gestein durch Wasserstrahlen gebrochen ist. Nachdem man die Würmer im Labor gezüchtet hatte, fand das Team heraus, dass die Nematoden einheimische Bakterien aus der Mine als Nahrung bevorzugen, was dafür spricht, dass sich die Gemeinschaften gut bewährt haben.

“Dass die Würmer keine gewöhnlichen Bakterienspezies abweiden und sich von ihnen ernähren bedeutet, dass in dieser Tiefe ein voll funktionsfähiges Ökosystem existiert”, sagt Wall. Obwohl sie darauf hinweist, dass das Phänomen hervorstechend ist, betont sie, dass es immer noch unklar ist, wie weit verbreitet diese Gemeinschaften sind.

Um nach diesen unterirdischen Gemeinschaften von Organismen zu suchen, filterten die Forscher biologisches Material aus dem Wasser, welches aus Bohrlöchern heraus strömte – und fingen Nematoden, Bakterien und DNA ein. Genetische Analysen bestätigten die Neuheit von H. mephisto, die eine ribosomale RNA Sequenz und eine Körperform aufweist, welche sich von ihren engsten Verwandten unterscheidet.

Um Kontaminationen von der Oberfläche auszuschließen, testete das Team Tausende Liter Wasser, das bei den Bohrvorgängen in Gebrauch war und analysierte Nematoden im Erdreich nahe den Bohrlöchern. Sie fanden keine Würmer in dem Wasser und andere Spezies in dem Erdreich.

Halicephalobus mephisto (Property of the University of Gent, Belgium - Gaetan Borgonie)
Halicephalobus mephisto (Property of the University of Gent, Belgium – Gaetan Borgonie)

Alte Bewohner?

Der Mikrobiologe Karsten Pedersen von der University of Gothenburg (Schweden) sagt, dass die Autoren gute Arbeit gemacht haben, als sie argumentierten, dass die Würmer Bewohner tiefer Erdschichten sind, aber er hebt hervor, dass es nach wie vor unklar ist, wie lange sie dort gelebt haben.

Onstott und sein Team möchten die tiefen Erdschichten weiterhin auf die Anwesenheit vielzelliger Lebensformen, Viren und komplexer Gemeinschaften untersuchen. Sie möchten auch die Genome der entdeckten südafrikanischen Organismen sequenzieren. “Das könnte uns viel über die Evolution mitteilen”, sagt Onstott. “Ist H. mephisto mit irgendwelchen besonderen Fähigkeiten ausgestattet? Ist es eher primitiv? Hat es Eigenschaften angenommen, die auf Anpassung und Evolution unter der Oberfläche schließen lassen?”

“Ich bezweifle, dass dieser Nematode aus der Hölle entsprungen ist”, sagt der Evolutionsbiologe Byron Adams von der Brigham Young University in Provo (Utah, USA) auf den Namen des neuen Wurms bezogen. “Er hat sich viel wahrscheinlicher zusammen mit den anderen Nematoden auf der Erdoberfläche entwickelt. An einem Punkt gingen sie unter die Erde und mit ein paar genetischen Verbesserungen waren sie fähig, dort gut über die Runden zu kommen.”

Die Anwesenheit vielzelligen Lebens in der rauen Umgebung der Minenwände – sauerstoffarm, heiß und unwirtlich – erweitert nicht nur den Rahmen, in dem Leben auf der Erde existieren könnte, sondern auch auf anderen Planeten. “Jetzt sieht der tiefe Untergrund des Mars sehr interessant aus”, sagt Michael Meyer, leitender Wissenschaftler des Mars Exploration Program der NASA. “Das Universum könnte viel mehr Lebensräume haben als wir dachten.”

Quelle: http://www.nature.com/news/2011/110601/full/news.2011.342.html

(THK)

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