
Eine neue Forschungsarbeit des Museum of the Rockies der Montana State University (MSU) hat enthüllt, wie Dinosaurier wie der Velociraptor und der Deinonychus ihre berühmten Killerkrallen verwendeten, was zu einer neuen Hypothese über die Entwicklung des Fliegens bei Vögeln führte.
In einer am 14. Dezember in PLoS ONE veröffentlichten Studie beschreiben die MSU-Wissenschaftler Denver W. Fowler, Elizabeth A. Freedman, John B. Scannella und Robert E. Kambic (jetzt an der Brown University in Rhode Island), wie der Vergleich mit modernen Raubvögeln dabei half, ein neues Verhaltensmodell für fleischfressende Sichelkrallen-Dinosaurier wie den Velociraptor zu entwickeln.
„Diese Studie ist eine richtige Wende“, sagte der leitende Autor Fowler. „Sie überholt unsere Vorstellung dieser kleinen Raubdinosaurier völlig und ändert unsere Denkweise über ihre Ökologie und Entwicklung.“
Die Studie konzentriert sich auf Dromaeosauridae, eine Gruppe kleiner Raubsaurier, die den bekannten Velociraptor und seinen größeren Verwandten Deinonychus einschließt. Dromaeosauridae sind eng mit Vögeln verwandt und sind vor allem wegen ihrer verlängerten Sichelkrallen an ihren zweiten Zehen berühmt. Forscher haben früher vermutet, dass diese Kralle benutzt wurde, um Beute aufzuschlitzen oder dabei halfen, in ihre Verstecke hinauf zu klettern, aber die neue Studie schlägt ein anderes Verhalten vor.

„Moderne Falken und Adler besitzen eine vergleichbare verlängerte Kralle an ihren zweiten Zehen – etwas, das nicht bemerkt wurde, bevor wir im Jahr 2009 darüber berichtet haben“, sagte Fowler. „Wir zeigten, dass die verlängerten Krallen als Anker benutzt werden, um sie in die Beute hinein zu haken und ihre Flucht zu verhindern. Wir interpretieren die Sichelkralle der Dromaeosauridae als Entwicklung, um dasselbe zu tun: einhaken und festhalten.“
Bei modernen Raubvögeln ist die zielgerichtete Verwendung der Kralle abhängig von der relativen Größe der Beute.
„Diese Strategie wird nur für Beute benötigt, die ungefähr dieselbe Größe wie der Räuber besitzt, groß genug, um sich zu wehren und aus den Füßen zu entkommen“, sagte Fowler. „Kleinere Beute wird einfach zu Tode gequetscht, aber bei größerer Beute kann das Raubtier sie nur festhalten und am Entkommen hindern und sie anfangs bei lebendigem Leib fressen. Dromaeosauriern mangelt es an offensichtlichen Anpassungen für die Abfertigung ihrer Opfer, daher aßen sie ihre Beute wahrscheinlich auch lebend – wie Falken und Adler.“
Andere Merkmale der Füße von Raubvögeln gaben Hinweise auf die funktionale Anatomie ihrer urzeitlichen Verwandten. Die Proportionen der Zehen von Dromaeosauridae schienen mehr für das Greifen als für das Laufen geeignet zu sein und der Metatarsus (die Knochen zwischen dem Fußgelenk und den Zehen) ist mehr auf Stärke als auf Geschwindigkeit ausgelegt.
„Im Gegensatz zu Menschen gehen die meisten Dinosaurier und Vögel nur auf ihren Zehen, deswegen bildet der Metatarsus selbst einen Teil des Beines“, sagte Fowler. „Ein langer Metatarsus lässt einen größere Schritte machen, um schneller zu laufen. Aber bei Dromaeosauridae ist der Metatarsus sehr kurz, was eigenartig ist.“
Fowler denkt, dass dies darauf hindeutet, dass Velociraptor und seine Verwandtschaft für eine andere Strategie angepasst waren als für das bloße Hinterherrennen von Beutetieren.

„Bei modernen Raubvögeln ist ein relativ kurzer Metatarsus ein Merkmal, das dem Vogel zusätzliche Kraft in seinen Füßen gibt“, fuhr Fowler fort. „Velociraptor und Deinonychus haben ebenfalls einen sehr kurzen, kräftigen Metatarsus, was dafür spricht, dass sie enorme Stärke besaßen, aber keine sehr schnellen Läufer gewesen sind.“
Die ökologischen Schlussfolgerungen werden besonders interessant, wenn Dromaeosauridae ihren engsten Verwanden gegenüber gestellt werden: einer ähnlichen Gruppe kleiner, fleischfressender Dinosaurier namens Troodontodae.
„Troodontidae und Dromaeosauridae sahen anfangs sehr ähnlich aus, aber im Verlauf von 60 Millionen Jahren entwickelten sie sich in entgegengesetzte Richtungen und passten sich unterschiedlichen Nischen an“, sagte Fowler. „Dromaeosauridae entwickelten stärkere, langsamere Füße, was für eine Strategie der heimlichen Angriffe aus dem Hinterhalt spricht, angepasst an relativ große Beute. Im Gegensatz dazu entwickelten Troodontidae einen längeren Metatarsus für Geschwindigkeit und einen präziseren aber schwächeren Griff, was darauf schließen lässt, dass sie flink waren, aber kleinere Beute schlugen.“
Die Studie hat auch Auswirkungen auf die nächsten engsten Verwandten von Troodontidae und Dromaeosauridae: Vögel. Ein wichtiger Schritt für den Ursprung moderner Vögel war die Entwicklung der typischen Vogelkralle.
„Greiffüße gibt es bei den engsten Verwanden der Vögel aber auch bei den frühesten Vögeln wie Archaeopteryx“, sagte Fowler. „Wir vermuten, dass sie ursprünglich für die Jagd entwickelt wurde, aber auch beim Sitzen verfügbar war. Wir nennen das ‚Exaptation‘: ein Merkmal, das ursprünglich für einen bestimmten Zweck entwickelt wurde, aber später für einen anderen Zweck eingesetzt werden kann.“
Die neue Studie schlägt vor, dass ein ähnlicher Mechanismus für die Entwicklung des Fliegens verantwortlich sein könnte.
„Wenn ein moderner Falke seine verlängerten Krallen in seine Beute geschlagen hat, kann er seine Füße nicht länger zur Stabilisation und Positionierung gebrauchen“, sagte Fowler. „Stattdessen spreizt der Räuber seine Flügel, so dass die Beute unter seinen Füßen bleibt, wo sie durch sein Körpergewicht festgehalten wird.“
Die Forscher vermuten, dass dieses „Stabilitäts-Flattern“ weniger Energie als das Fliegen verbraucht, was es zu einem zwischenstuflichen Flatter-Verhalten macht, welches der Schlüssel zum Verständnis darüber sein könnte, wie sich das Fliegen entwickelte.
„Das Flattern des Jägers hält ihn einfach nur in seiner Position und muss nicht so kraftvoll oder energisch sein wie das richtige Fliegen es erfordern würde“, sagte Fowler. „Wir sehen voll ausgebildete Flügel in außergewöhnlich gut konservierten Dromaeosauridae-Fossilien und in biomechanischen Studien können wir zeigen, dass sie auch in der Lage waren, ein rudimentäres Flattern auszuführen. Die meisten Forscher denken, dass sie nicht kräftig genug zum Fliegen waren. Wir vermuten, dass das weniger fordernde Stabilitäts-Flattern ein möglicher Zweck für solch einen Flügel war und dieses Verhalten würde mit den ungewöhnlichen Anpassungen der Füße übereinstimmen.“
Eine andere Forschungsgruppe hat vermutet, dass das Verständnis des Flatter-Verhaltens der Schlüssel zum Verständnis der Entwicklung des Fliegens ist – eine Ansicht, die Fowler teilt.
„Wenn wir moderne Vögel anschauen, sehen wir, dass das Flattern für viele andere Verhaltensweisen außer dem Fliegen verwendet wird. In unserer Studie propagieren wir formal das ‚Flatten-zuerst‘-Modell, laut dem das Flattern zuerst für andere Verhaltensweisen entwickelt wurde und von Vögeln später nur für das Fliegen zweckentfremdet wurde.“
Die Forscher glauben, dass ihre neuen Theorien viele neue Möglichkeiten eröffnen werden, um die Paläontologie der Dinosaurier und die Entwicklung neuer anatomischer Merkmale zu untersuchen.
„Wie andere am Labor von Jack Horner durchgeführte Forschungsarbeiten, sehen wir uns alte paläontologische Fragen aus einer neuen Perspektive an, aus einem anderen Blickwinkel“, sagte Fowler. „So wie man über die These hinaus blicken muss, dass Füße nur für das Laufen benutzt werden, so beginnen wir zu erkennen, dass viele ungewöhnliche Merkmale in modernen Tieren ursprünglich für ganz andere Zwecke entwickelt wurden. Die Enthüllung der Selektionspfade, die diese Merkmale hervorgebracht haben, hilft uns, die wichtigsten evolutionären Übergänge besser zu verstehen, die das Leben auf diesem Planeten gestaltet haben.“
Quelle: http://www.montana.edu/cpa/news/nwview.php?article=10650
(THK)
Antworten