Am vergangenen Sonntag (25. März 2012) gegen 12 Uhr mittags Ortszeit (22:00 Uhr ET Eastern Time) durchbrach James Camerons „vertikaler Torpedo“ die Oberfläche des Westpazifiks und brachte den Filmemacher und Kundschafter des National Geographic zurück aus dem Challengertief des Marianengrabens – dem tiefsten und vielleicht fremdartigsten Gefilde der Erde.
Mitgliedern der Expedition des National Geographic zufolge ist Cameron der erste Mensch, der alleine den Boden des elf Kilometer tiefen Meeresgrabens erreichte und die Technologie mitbrachte, um wissenschaftliche Daten, Proben und Eindrücke zu sammeln, die 1960 undenkbar waren, als die einzige andere bemannte Tauchfahrt zum Challengertief stattfand.
Nach einem schneller als erwarteten, rund 70-minütigen Aufstieg wurde Camerons Tauchfahrzeug im Ozean dümpelnd von Bord eines Helikopters entdeckt und kurz darauf vom Kran eines Forschungsschiffes aus dem Pazifik gezogen. Der Abstieg zum Challengertief hatte zwei Stunden und 36 Minuten gedauert.
Expeditionsmitglied Kevin Hand bezeichnete den Zeitpunkt des Aufstiegs der DEEPSEA CHALLENGER als „perfekt“. „Jim kam in den besten Wetterbedingungen herauf, die wir gesehen haben und es sah aus, als zeichnete sich eine Sturmböe am Horizont ab“, sagte Hand, ein Astrobiologe der NASA und Forscher des National Geographic.
Vor der Bodenberührung 500 Kilometer südwestlich von Guam verbrachte Cameron Stunden damit, über dem wüstenähnlichen Meeresboden des Challengertiefs zu schweben und an dessen Steilwänden entlang zu gleiten, während er die ganze Zeit über Proben sammelte und Videos machte.
Zu den Werkzeugen des zweieinhalb Stockwerke hohen Tauchfahrzeugs gehören ein Sediment-Probeentnahmegerät, eine Roboterkralle, eine „Schlürf-Waffe“, mit der kleine Meereslebewesen für nachfolgende Untersuchungen an der Oberfläche eingesaugt werden und Messgeräte für Temperatur, Salzgehalt und Druck. (Weitere Bilder von Camerons Tauchfahrzeug.)
„Jetzt macht sich das Forschungsteam bereit für die zurückgebrachten Proben“, sagte Hand. Cameron – bestens bekannt für die Erschaffung fiktionaler Filmwelten (Avatar, Titanic, The Abyss) – wird seine anfänglichen Ergebnisse später am Tag vorstellen. Nach der Analyse werden die vollständigen Ergebnisse in einer zukünftigen Ausgabe des National Geographic Magazins veröffentlicht.
Video-Link: https://youtu.be/6EcHWKVJWUQ
Credit / Copyright: National Geographic
Der ultimative Test
Der im Ruhestand befindliche Kapitän der U.S. Navy Don Walsh, der 1960 zum Challengertief hinab tauchte, sagte, dass er beruhigt war zu hören, dass Cameron den Grund des Meeresgrabens wohlbehalten erreicht hatte. „Es war ein großartiger Moment, ihn in dem Club willkommen zu heißen“, sagte Walsh in einem Telefon-Interview an Bord des Schiffes. „Der Club besteht nur aus drei Personen und einer von ihnen – der Schweizer Ingenieur Jacques Piccard – ist tot. Jetzt gibt es nur noch Jim und mich.“
Der an der Expedition teilnehmende Physiker Joe MacInnis bezeichnete Camerons erfolgreiche Tauchfahrt heute als „den ultimativen Test für einen Mann und seine Maschine“. Nach dem Auftauchen an der Wasseroberfläche wurde die DEEPSEA CHALLENGER zuerst von einem Helikopter des Microsoft-Mitbegründers Paul Allen, einem langjährigen Freund Camerons, gesichtet. Allen war am Ort der historischen Tauchfahrt zugegen und postete von Bord seiner Yacht „Octopus“, einem Support-Schiff der Mission, Live-Updates des Ereignisses auf Twitter.
Wissenschaft in drei Dimensionen
Während der Tauchfahrt zum Marianengraben liefen 3D-Videokameras mit – und zwar nicht nur wegen der zukünftigen Zuschauer der geplanten Dokumentationen. „Es liegt ein wissenschaftlicher Wert darin, Stereobilder zu bekommen, weil man die Größenordnung und Entfernung von Objekten aus Stereobildern bestimmen kann, was man bei zweidimensionalen Aufnahmen nicht kann“, sagte Cameron vor der Tauchfahrt zu National Geographic News.
„Aber es sind nicht nur die Videos. Die Beleuchtung der Tiefsee-Szenen – hauptsächlich durch einen 2,5 Meter hohen Turm mit LEDs – ist so wunder- wunderschön“, sagte Doug Bartlett, ein Meeresbiologe der Scripps Institution of Oceanography in San Diego (Kalifornien).
„Es ist mit Nichts vergleichbar, was man von anderen U-Booten oder ferngesteuerten Fahrzeugen gesehen hat“, sagte Bartlett, Chefwissenschaftler des DEEPSEA CHALLENGE Projekts, einer Partnerschaft mit der National Geographic Society und Rolex. (Die Society besitzt die National Geographic News.)
Weitere Informationen über die wissenschaftliche Mission DEEPSEA CHALLENGE.
Medizinische und psychologische Unerbittlichkeit
Als der 57 Jahre alte Forschungsreisende dem engen, nur 109 Zentimeter breiten Cockpit entstieg, stand ein medizinisches Team bereit. Aber wenn kürzliche Testfahrten, darunter eine in mehr als acht Kilometer Tiefe, einen Vergleich darstellen, dann sollte es Cameron physisch gut gehen, obwohl er stundenlang nicht in der Lage war, seine Arme und Beine auszustrecken, sagte der Physiker Joe MacInnis vor der Tauchfahrt gegenüber National Geographic News.
„Aufgrund der eingeengten Position wird er ein bisschen ungelenk sein aber er ist in einer wirklich guten Verfassung für sein Alter, deshalb rechne ich nicht mit Problemen“, sagte MacInnis, ein langjähriger Freund Camerons. Außerdem besitzt die „Pilotenkugel“ des Tauchfahrzeugs eine Stange, die Cameron benutzen konnte, um sich während der Tauchfahrt gelegentlich hochzuziehen. „Normalerweise ist die Veränderung der Position alles, was benötigt wird, um sich ein paar weitere Stunden zu erkaufen“, sagte er.
Video-Link: https://youtu.be/Fo4tAA07AII
Credit / Copyright: National Geographic
Weil sich Cameron umfassend auf die Tauchfahrt vorbereitet hatte, sollte er in guter psychologischer Verfassung sein, sagte Walter Sipes, ein Luftfahrtpsychologe am Johnson Space Center der NASA. „Er hat zuvor schon Erfahrungen damit gemacht, nicht nur im Simulator, sondern auch in Trainingsfahrten und er ist ein Abenteurer, deswegen glaube ich wirklich nicht, dass sie sich über irgendwelche Probleme Gedanken machen müssen“, sagte Sipes, der nicht Teil der Expedition ist.
Trotzdem, falls Cameron plant, weitere Tauchgänge durchzuführen – und diese Absicht hat das Team bei ihm ausgemacht – dann empfiehlt Sipes, dass er viel Ruhezeit zwischen den Tauchgängen bekommt oder er wird mentale Erschöpfungszustände riskieren. „Wenn man anfängt erschöpft zu sein, beginnt man Fehler zu machen“, fügte er hinzu. „Und weil er dort unten alleine ist, kann er sich das nicht erlauben. Es wäre vielleicht sein einziger Fehler.“
Vor jeder nächsten Tauchfahrt mit der DEEPSEA CHALLENGER sollten mindestens ein paar Wochen vergehen. Die nächste Mission führt den Regisseur aus der Mitte des Pazifiks nach London, wo er am Mittwoch der Premiere seines Films Titanic 3-D beiwohnen wird.
Video-Link: https://youtu.be/O58YaWT_bqg
Credit / Copyright: National Geographic
Ein Wendepunkt
Durch die Rückkehr von Menschen in die so genannte hadale Zone – den tiefsten Bereich der Weltmeere unterhalb von 6.000 Metern – könnte die Challengertief-Expedition eine Renaissance der Tiefsee-Erforschung einläuten.
Während ferngesteuerte Fahrzeuge (remote operated vehicles, ROVs) weit weniger teuer als bemannte U-Boote sind, „ist die entscheidende Sache, in der Lage zu sein, den menschlichen Verstand in diese Umgebung mitzunehmen“, sagte das Expeditionsmitglied Patricia Fryer. „In der Lage zu sein, den Kopf zu drehen und die Beziehungen zwischen den Organismen in einer Gemeinschaft zu betrachten und zu sehen, wie sie sich verhalten – alle Lichter auszuschalten und nur da zu sitzen, zu beobachten und die Tiere nicht zu erschrecken, so dass sie sich normal verhalten.“
„Das ist mit einem ferngesteuerten Fahrzeug nahezu unmöglich“, sagte Fryer, eine Meeresgeologin am Hawaii Institute of Geophysics and Planetology. Andy Bowen, Projektmanager und leitender Entwickler von „Nereus„, einem ROV, das das Challengertief 2009 erforschte, sagte, dass eine bemannte Mission auch das Potenzial habe, die öffentliche Vorstellungskraft in einer Weise zu inspirieren, wie es ein Roboter nicht könne.
„Es ist schwierig, Maschinen in einer Weise zu vermenschlichen, die die Vorstellungskraft von jedem antreibt – nicht in derselben Art und Weise, wie es ist, mit Schuhen auf dem Boden zu stehen“, sagte Bowen, der kein Teilnehmer der Expedition ist. Die Ozeanografin Lisa Levin von der Scripps Institution sagte, dass das Potenzial des DEEPSEA CHALLENGE Programms, öffentliches Interesse an der wissenschaftlichen Erforschung der Tiefsee zu wecken so wichtig sei wie jede neue Spezies, die Cameron möglicherweise entdeckt habe. „Ich denke, dass Cameron für die Tiefseegräben das tut, was Jacques Cousteau vor vielen Jahrzehnten für den Ozean getan hat“, sagte Levin, die Teil des Teams ist, aber nicht an der Expedition teilnahm.
In einer Zeit mit schnell schrumpfenden Zuschüssen für Unterwasserforschung „brauchen Wissenschaftler die öffentliche Unterstützung, um die Erkundung und Erforschung der Tiefsee fortführen zu können“, sagte Levin.
Video-Link: https://youtu.be/yFs90aRtN3s
Credit / Copyright: National Geographic
Auf den neusten Film seines Freundes bezogen, nannte MacInnis Cameron einen „Avatar“ der realen Welt. „Er ist dort unten im Interesse von jedem auf diesem Planeten“, sagte er. „Es gibt sieben Milliarden Menschen, die es nicht tun können und er kann. Und er ist sich dessen bewusst.“
Cameron scheint sich sicher zu sein, dass die DEEPSEA CHALLENGER die Tiefen für eine lange Zeit erkunden wird. Tatsächlich ist er so überzeugt von seinem Tauchfahrzeug, dass er noch vor der gestrigen Tauchfahrt schon die nächsten Fahrten in Erwägung zog.
Die Phase Zwei könnte beinhalten, ein dünnes Glasfaserkabel an dem Schiff anzubringen, „welches wissenschaftlichen Beobachtern an der Wasseroberfläche erlauben würde, die Bilder in Echtzeit zu sehen“, sagte Cameron.
„Und Phase Drei könnte darin bestehen, dieses Tauchfahrzeug zu nehmen und ein Tauchfahrzeug der zweiten Generation zu erschaffen. DEEPSEA CHALLENGER wäre dann alles andere als ein One-Hit-Wonder. Für Bartlett, den Chefwissenschaftler der Expedition, könnte die „Tauchfahrt zum Marianengraben einen Wendepunkt dessen darstellen, wie wir die wissenschaftliche Erforschung des Ozeans anpacken.“
„Ich bin davon überzeugt, dass wir hier den Beginn eines Programms sehen und nicht nur eine große Expedition.“
(THK)
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