Astronomen überführen eine Galaxie des Diebstahls

Die Milchstraße geht über dem Horizont an der Europäischen Südsternwarte in Chile auf. Ganz links ist die Große Magellansche Wolke zu sehen, etwas rechts oberhalb von ihr befindet sich die Kleine Magellansche Wolke. (ESO / Y. Beletsky)
Die Milchstraße geht über dem Horizont an der Europäischen Südsternwarte in Chile auf. Ganz links ist die Große Magellansche Wolke zu sehen, etwas rechts oberhalb von ihr befindet sich die Kleine Magellansche Wolke. (ESO / Y. Beletsky)

Eine der nächstgelegenen Galaxien der Milchstraße wäre fast mit einer Diebesbeute davongekommen. Neue Simulationen überführten die Große Magellansche Wolke (Large Magellanic Cloud, LMC) jedoch des Diebstahls von Sternen ihrer Nachbarin, der Kleinen Magellanschen Wolke (Small Magellanic Cloud, SMC). Und die entscheidenden Beweise stammten aus Surveys, die nach etwas völlig Anderem suchten, nämlich nach dunklen Objekten in den Randbereichen der Milchstraße.

Astronomen haben die Große Magellansche Wolke beobachtet, um nach Beweisen für massereiche, kompakte Halo-Objekte oder MACHOs (massive compact halo objects) zu suchen. MACHOs wurden für schwache Objekte mit der ungefähren Masse eines Sterns gehalten, aber ihre genaue Natur war unbekannt. Mehrere Surveys hielten nach MACHOs Ausschau, um herauszufinden, ob sie ein wichtiger Bestandteil der Dunklen Materie sein könnten, der unsichtbaren Materie, die die Galaxien zusammenhält.

Damit MACHOs aus Dunkler Materie bestehen können, müssten sie so schwach sein, dass sie nicht direkt nachgewiesen werden können. Stattdessen suchten Astronomen nach einem Phänomen, das als Mikro-Gravitationslinse bekannt ist. Bei einem solchen Ereignis zieht ein nahes Objekt vor einem weiter entfernten Stern vorbei. Die Gravitation des näheren Objekts beugt das Licht des Sterns wie eine Linse, verstärkt es und lässt es heller erscheinen.

Durch die Untersuchung der Großen Magellanschen Wolke hofften die Astronomen, MACHOs innerhalb der Milchstraße zu sehen, welche das Licht von Sternen der Großen Magellanschen Wolke beugen. Die Anzahl der von verschiedenen Teams beobachteten Mikro-Gravitationslinsenereignisse war kleiner als für die Dunkle Materie notwendig gewesen wäre, aber viel höher, als aufgrund der bekannten Sternpopulation in der Milchstraße erwartet worden war. Das machte den Ursprung der beobachteten Ereignisse zu einem Rätsel und die Existenz der MACHOs als exotische Objekte zu einer Möglichkeit.

„Anfangs wollten wir die Entwicklung der beiden interagierenden Magellanschen Wolken verstehen“, erklärt der leitende Autor Gurtina Besla von der Columbia University. „Wir waren überrascht, dass wir außerdem die Möglichkeit ausschließen konnten, dass in MACHOs Dunkle Materie enthalten ist.“

„Anstelle der MACHOs ist ein Schweif aus Sternen, die aus der Kleinen Magellanschen Wolke entfernt wurden, für die Mikrolinsenereignisse verantwortlich“, sagt Co-Autor Avi Loeb vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics. „Man könnte sagen, wir haben ein Verbrechen von galaktischen Ausmaßen entdeckt“, ergänzt er.

Computersimulationen zeigten, dass die wahrscheinlichste Erklärung für die beobachteten Mikrolinsenereignisse eine ungesehene Sternenpopulation war, welche die Große Magellansche Wolke aus ihrer Begleiterin, der Kleinen Magellanschen Wolke, herausgerissen hat. Die Vordergrundsterne in der Großen Magellanschen Wolke beugen gravitativ den Schweif aus Sternen, der aus unserer Perspektive hinter der Großen Magellanschen Wolke liegt.

Nur eine sich schnell bewegende Sternenpopulation könnte die beobachtete Rate und Dauer der Mikrolinsenereignisse hervorrufen. Die beste Möglichkeit, um eine solche stellare Population zu bekommen, ist eine galaktische Kollision, die in dem LMC-SMC-System stattgefunden zu haben scheint. „Durch die Rekonstruktion der Szene fanden wir heraus, dass die Große und die Kleine Magellansche Wolke vor hunderten Millionen Jahren miteinander kollidierten. Das war der Zeitpunkt, als die Große Magellansche Wolke die lichtbeugenden Sterne herausgerissen hat“, sagt Loeb.

Ihre Forschungsarbeit unterstützt auch kürzliche Entdeckungen, die dafür sprechen, dass die beiden Magellanschen Wolken ihre erste Begegnung mit der Milchstraße haben. Obwohl der Beleg für den Schweif aus Sternen überzeugend ist, wurden sie noch nicht direkt beobachtet. Einige Teams suchen nach den Signaturen dieser Sterne innerhalb einer Brücke aus Gas, welche die beiden Magellanschen Wolken verbindet.

Die Ergebnisse der Simulation werden in den Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlicht und sind online verfügbar.

Das Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) hat sein Hauptquartier in Cambridge (Massachusetts) und ist ein Gemeinschaftsprojekt zwischen dem Smithsonian Astrophysical Observatory und dem Harvard College Observatory. Wissenschaftler aus sechs Abteilungen untersuchen hier den Ursprung, die Entwicklung und das letztendliche Schicksal des Universums.

Quelle: http://www.cfa.harvard.edu/news/2012/pr201230.html

(THK)

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