Neue Erkenntnisse zur Schleifenquantengravitation und der Struktur der Raumzeit

Sehr vereinfachte Darstellung der Beziehungen zwischen Quantengravitation, klassischer Raumzeit und unserer Realität. Demnach wird die klassische Raumzeit durch Wechselwirkungen von Materie mit der Quantengravitation erschaffen - hier verdeutlicht durch ein Eiskristallgitter, das aus flüssigem Wasser ausfriert. (University of Warsaw / Faculty of Physics)
Sehr vereinfachte Darstellung der Beziehungen zwischen Quantengravitation, klassischer Raumzeit und unserer Realität. Demnach wird die klassische Raumzeit durch Wechselwirkungen von Materie mit der Quantengravitation erschaffen - hier verdeutlicht durch ein Eiskristallgitter, das aus flüssigem Wasser ausfriert. (University of Warsaw / Faculty of Physics)

Die Raumzeit, so wie wir sie kennen, existierte vor dem Urknall nicht. Wie entstand sie also? Theoretiker der Fakultät für Physik an der Universität Warschau (Polen) untersuchen seit Jahren den Prozess, durch den aus einem von Quantengravitation dominierten, früheren Zustand die normale Raumzeit erschaffen wird. Neueste Analysen weisen auf eine überraschende Schlussfolgerung hin: Nicht alle Elementarteilchen unterliegen der gleichen Raumzeit.

Vor einigen Milliarden Jahren, in der Ära kurz nach dem Urknall, war das Universum so dicht und heiß, dass Elementarteilchen die Präsenz der Gravitation deutlich spürten. Seit Jahrzehnten versuchen Physiker auf der ganzen Welt, die Gesetze der Quantengravitation zu entdecken, welche diese Phase in der Entwicklung des Universums beschreibt. Kürzlich stellte die Gruppe um Professor Jerzy Lewandowski von der Fakultät für Physik an der Universität Warschau ihr eigenes Modell des Quantenuniversums vor. Neue Studien seiner Eigenschaften haben die Forscher überrascht. Die Analysen wurden von Professor Lewandowski und seinem Doktoranden Andrea Dapor durchgeführt und zeigen, dass verschiedene Elementarteilchen die Existenz anderer Raumzeiten „erfahren“. Die Ergebnisse wurden im Rahmen der 20. International Conference on General Relativity and Gravitation (GR20) diskutiert, die zusammen mit der 10. Edoardo Amaldi Conference (Amaldi10) in Warschau abgehalten wird.

Einer der Versuche, die Quantengravitation zu beschreiben, wird als Schleifenquantengravitation (Loop Quantum Gravity, LQG) bezeichnet. Diese Theorie besagt, dass die Raumzeit strukturell mit einem Gewebe vergleichbar ist: Sie besteht demnach aus einer großen Anzahl sehr kleiner Fasern, die in Schleifen miteinander verwoben sind. Ein Feld mit einer Fläche von einem Quadratzentimeter könnte eine Million Billionen Billionen Billionen Billionen Billionen (1066) solcher Fasern enthalten.

Vor drei Jahren entwickelte die Gruppe von Professor Lewandowski ein logisches mathematisches Modell der Schleifenquantengravitation, das die Quantenmechanik mit der allgemeinen Relativität verbindet. Das Modell setzt die Existenz zweier interagierender Felder voraus: Eines ist ein Gravitationsfeld, das durch einen Raum identifiziert werden kann (weil die Gravitation laut der allgemeinen Relativitätstheorie die Raumzeit verzerrt und diese gekrümmte Raumzeit Gravitationseffekte hervorruft). Das zweite Feld in dem Modell ist ein (Skalar-)Feld, das jedem Punkt im Raum eine Zahl zuweist. Dieses Feld wird als die einfachste Form von Materie interpretiert.

Das Bild der Realität in dem von den Physikern der Universität Warschau weiterentwickelten Modell ist quantisiert und besitzt daher Eigenschaften, die sich extrem von den Eigenschaften unserer alltäglichen Welt unterscheiden. „In dieser Situation scheint es normal, wenn man fragt: Wie entsteht die uns allen bekannte Raumzeit aus den ursprünglichen Zuständen der Quantengravitation? Und weil die normale Raumzeit als Folge der Interaktion zwischen Materie und Quantengravitation erschaffen werden würde, können wir sicher sein, dass jede Materieform definitiv mit einer Raumzeit wechselwirkt, die die gleichen Eigenschaften besitzt?“, sagte Professor Lewandowski.

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, leiteten die Theoretiker zunächst Interaktionsmuster zwischen den Effekten der Quantengravitation und Materie für die zwei mathematisch einfachsten Fälle her: für Teilchen ohne Ruhemasse (Ruhemasse Null) und für einfache (skalare) Teilchen mit einer Ruhemasse ungleich Null. Im Standardmodell, das in der modernen Physik die Elementarteilchen und ihre Wechselwirkungen beschreibt, wären die relevanten, masselosen Teilchen Photonen. Skalare Teilchen mit einer Ruhemasse ungleich Null – das berühmte Higgs-Boson – wären für die Massen der anderen Teilchen verantwortlich: Quarks und Elektronen, Myonen, Tau-Partikel und ihre verbundenen Neutrinos. (Anm. d. Red.: Neutrinos besitzen nur in bestimmten Erweiterungen des Standardmodells eine Masse ungleich Null.)

Nach Herleitung der Gleichungen für das Verhalten der Teilchen aufgrund der Gesetze des Quantengravitationsmodells, begannen die Physiker zu überprüfen, ob man unter Verwendung der normalen Raumzeit mit anderen Symmetrien ähnliche Gleichungen erhält. Für masselose Teilchen erwies sich das als möglich. Die gesuchte Raumzeit war isotrop, das heißt, sie besaß in allen Richtungen dieselben Eigenschaften. „Dem von uns erdachten, vereinfachten Modell zufolge schien die Raumzeit in alle Richtungen dieselbe zu sein, unabhängig davon, ob das Photon mehr Impuls oder weniger besitzt, mehr Energie oder weniger“, erklärte Professor Lewandowski.

Für Teilchen mit Masse war die Situation anders. Das Vorhandensein von Masse zwingt der Theorie eine zusätzliche bestimmte Bedingung auf. Die Physiker zeigten, dass keine klassische Raumzeit konstruiert werden kann, die gleichzeitig der Masse-Bedingung entsprechen und dieselben Eigenschaften in alle Richtungen besitzen würde. Die zugehörige Raumzeit konnte nur unter anisotropen Raumzeiten gefunden werden. Die bevorzugte Richtung dieser Raumzeiten war die Bewegungsrichtung des Teilchens.

„Teilchen mit Masse erfahren nicht nur andere Raumzeiten als Photonen, sondern jedes sieht seine eigene, persönliche Version der Raumzeit, abhängig von seiner Bewegungsrichtung. Dieses Ergebnis überraschte uns wirklich“, sagte der Doktorand Andrea Dapor.

Bedeutet diese neueste Entdeckung, dass das Universum voller massebehafteter Teilchen nicht isotrop ist? Solch eine These wäre von großer experimenteller und beobachtungstechnischer Bedeutung. Die Antwort ist allerdings nein – das Universum besitzt keine bevorzugte Richtung. Als Beobachter, die das Verhalten von Elementarteilchen studieren, sind wir eher klassische Systeme als Quantensysteme und befinden uns in gewisser Weise „außerhalb“ der Welt der Teilchen. Dann ist es nicht wichtig, was jedes Teilchen von seiner Raumzeit „erfährt“. Unabhängig von ihren Flugrichtungen werden alle im Labor aufgezeichneten Teilchen exakt dieselben Eigenschaften haben. Aus diesem Grund wird die experimentelle Bestätigung der theoretischen Vorhersagen des Teams keine leichte Aufgabe sein.

Die Arbeit von Professor Lewandowskis Team wurde durch Fördermittel des polnischen Ministeriums für Wissenschaft und höhere Bildung und des National Science Centre in Polen finanziert. Die International Conference of General Relativity and Gravitation wird alle drei Jahre abgehalten. Dieses Jahr findet die 20. Konferenz (GR20) vom 7. bis zum 13. Juli 2013 in Warschau statt und wurde mit der 10. Edoardo Amaldi Conference on Gravitational Waves (Amaldi10) zusammengelegt. Die gemeinsame GR20/Amaldi10-Konferenz ist ein beispielloses Ereignis und zieht fast 900 der besten Physiker nach Warschau. Sie arbeiten auf allen Gebieten der Physik, Mathematik und Astronomie, wo Effekte der allgemeinen Relativität relevant sein könnten, darunter Theorien über die Quantengravitation und Gravitationswellen. Die Organisatoren der Gemeinschaftskonferenz sind die polnische Society of Relativity und die Universität Warschau.

Die International Conference on General Relativity and Gravitation findet zum zweiten Mal in Polen statt. Die dritte Konferenz dieser Art, die vom 25. bis zum 31. Juli 1962 dauerte, wurde in Warschau und Jablonna abgehalten. Sie wurde von dem bekannten polnischen Physiker Leopold Infeld organisiert, einem Kollegen Albert Einsteins. Gäste der Konferenz waren so bekannte Physiker wie Paul Dirac, Richard Feynman, John Archibald Wheeler und (damals noch unbekannt) Peter Higgs.

Quelle: http://www.fuw.edu.pl/press-release/news2308.html

(THK)

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