“Die Augen” – so lautet der Spitzname des hier gezeigten Galaxienpaares NGC 4438 und NGC 4435 im Sternbild Virgo (Jungfrau). Die beiden Galaxien sind rund 50 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt und können schon mit gewöhnlichen Amateur-Teleskopen beobachtet werden, wenn auch nicht ganz so eindrucksvoll wie auf dieser Aufnahme des Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte in Chile.
Das Galaxienpaar ist für Astronomen besonders deshalb interessant, weil seine Vergangenheit teilweise noch im Unklaren liegt. Obwohl die Zentralbereiche der beiden Galaxien einander ähneln, besitzen sie Außengebiete, die sich stark voneinander unterscheiden. NGC 4438 (oben links), die massereichere Galaxie, zeigt beispielsweise deutliche Deformierungen, die von einer nahen Begegnung oder Kollision mit einer anderen Galaxie herrühren. Auffällig ist auch das gut erkennbare Band aus dichtem Staub unterhalb ihres Zentrums.
Die kleinere Galaxie NGC 4435 (unten rechts) hat kein solches Staubband. Mehr noch, Beobachtungen zufolge scheint es so, als würde die Galaxie gar keine größeren, nennenswerten Gas- und Staubvorkommen mehr besitzen. Und an diesem Punkt beginnen die Unklarheiten bezüglich der Geschichte dieser beiden Galaxien. Warum sehen sie so unterschiedlich aus? Was deformierte die eine Galaxie und raubte der anderen ihre gesamten Gasvorkommen?
Um Antworten auf diese Fragen zu finden, untersuchen Astronomen einerseits die beiden Galaxien und ihre (möglichen) Wechselwirkungen selbst und andererseits suchen sie nach anderen potenziellen Verdächtigen in der näheren kosmischen Umgebung. Derzeit kristallisieren sich zwei Theorien heraus, die beide durch entsprechende Beobachtungsdaten untermauert werden können.
Die erste Theorie besagt, dass es vor rund 100 Millionen Jahren zu einer nahen Begegnung zwischen den beiden Galaxien kam. Heute beträgt der Abstand zwischen ihnen etwa 100.000 Lichtjahre, das entspricht ungefähr dem Durchmesser unserer eigenen Milchstraßen-Galaxie. Zum Zeitpunkt der nahen Begegnung betrug der Abstand schätzungsweise nur 16.000 Lichtjahre, was wesentlich stärkere Gezeitenkräfte zwischen den beiden Objekten zur Folge hatte. Die Gezeitenkräfte wären stark genug gewesen, um die heute beobachteten Deformierungen bei der größeren Galaxie zu verursachen. Die kleinere Galaxie hätte in diesem Fall allerdings noch mehr unter dieser Beinahe-Kollision gelitten, denn die Masse und die Gezeitenkräfte der massereicheren Galaxie zogen all die freien Gas- und Staubvorkommen aus ihr heraus.
Die andere Theorie verdächtigt eine dritte Galaxie, die auf dieser Aufnahme nicht zu sehen ist: die elliptische Riesengalaxie Messier 86 (M86), die wie NGC 4438 und NGC 4435 ebenfalls zum Virgo-Galaxienhaufen gehört. Astronomen haben zwischen Messier 86 und NGC 4438 filamentartige Wolken aus ionisiertem Wasserstoff entdeckt. Diese Filamente können als Anhaltspunkte für gravitative Interaktionen zwischen den beiden Galaxien angesehen werden, gewissermaßen die dünn zerstreuten Überreste einer nahen Begegnung oder Kollision. Welche der beiden Theorien letztendlich zutrifft, müssen weitere Beobachtungen klären, eventuell im Zusammenspiel mit Computersimulationen von den Bewegungsmustern der beteiligten Galaxien.
Eine größere Version der Aufnahme gibt es unter:
http://www.eso.org/public/archives/images/large/eso1131a.jpg
Anmerkung der Redaktion
Die anderen drei Vorschläge für das Astro-Bild der Woche waren:
Bild 1: Die Dunkelwolke Lupus 3
Bild 3: Die Sternentstehungsregion R Coronae Australis
Bild 4: Das “kosmische Schmuckkästchen” NGC 4755
(THK)
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