Die Polarität des Erdmagnetfeldes könnte sich innerhalb von 100 Jahren umkehren

Diese Karte zeigt, wie der Magnetpol vor etwa 789.000 Jahren begann, mehrere tausend Jahre lang um Antarktika herumzuwandern, bevor er vor 786.000 Jahren in die jetzige Ausrichtung sprang. Jetzt befindet er sich in der Arktis. (UC Berkeley)
Diese Karte zeigt, wie der Magnetpol vor etwa 789.000 Jahren begann, mehrere tausend Jahre lang um Antarktika herumzuwandern, bevor er vor 786.000 Jahren in die jetzige Ausrichtung sprang. Jetzt befindet er sich in der Arktis. (UC Berkeley)

Man stelle sich vor, die Welt wacht eines morgens auf und bemerkt, dass alle Kompasse nach Süden statt nach Norden zeigen. Das ist nicht so bizarr, wie es klingt. Das irdische Magnetfeld hat sich in der Geschichte des Planeten viele Male umgekehrt, wenn auch nicht über Nacht. Ihr Dipolmagnetfeld, ähnlich wie das eines Stabmagneten, behält für viele tausend bis Millionen Jahre etwa die gleiche Stärke, aber aus nicht vollständig bekannten Gründen schwächt es sich gelegentlich ab und kehrt seine Richtung um, vermutlich innerhalb weniger tausend Jahre.

Jetzt demonstriert die Studie eines Forschungsteams aus Italien, Frankreich und den USA, dass die letzte magnetische Polumkehr vor 786.000 Jahren tatsächlich sehr schnell geschah, in weniger als 100 Jahren – das entspricht grob der Lebenszeit eines Menschen. „Es ist erstaunlich zu sehen, wie schnell diese Umkehr stattfand“, sagte die Doktorandin Courtney Sprain von der University of California in Berkeley. „Die paläomagnetischen Daten sind sehr gut. Dies ist eine der besten Aufzeichnungen, die wir bislang von dem Geschehen während einer Polumkehr haben, und sie zeigt, wie schnell diese Umkehrprozesse stattfinden können.“

Sprain und Paul Renne, der Direktor des Berkeley Geochronology Center und Professor für Erd- und planetare Wissenschaft an der UC Berkeley, sind Co-Autoren der Studie, die in der November-Ausgabe des Geophysical Journal International veröffentlicht wird.

Umkehr könnte Stromnetz und Krebsraten beeinflussen

Die Entdeckung wurde gemacht, weil neue Belege darauf hindeuten, dass die Stärke des Erdmagnetfeldes zehnmal schneller abnimmt als normal, was manche Geophysiker dazu führte, eine Umkehr innerhalb der nächsten paar tausend Jahre vorherzusagen.

Obwohl eine magnetische Polumkehr ein bedeutendes, globales Ereignis ist, das von der Konvektion im Eisenkern der Erde ausgelöst wird, gibt es keine dokumentierten Katastrophen, die mit früheren Polumkehrungen in Zusammenhang gebracht werden – trotz eingehender Suche in den geologischen und biologischen Aufzeichnungen. Heute könnte so eine Polumkehr jedoch verheerende Schäden an unserem Stromnetz anrichten, indem sie Ströme erzeugt, die es möglicherweise lahmlegen.

Und weil das Erdmagnetfeld das Leben vor energiereichen Teilchen von der Sonne und vor kosmischen Strahlen (beides kann genetische Mutationen verursachen) schützt, könnte eine Abschwächung oder ein vorübergehendes Fehlen des Feldes vor einer permanenten Polumkehr die Krebsraten ansteigen lassen. Die Gefahr für das Leben wäre sogar noch größer, wenn der Umkehr lange Perioden instabilen magnetischen Verhaltens vorausgehen. „Wir sollten mehr darüber nachdenken, was die biologischen Auswirkungen sein würden“, sagte Renne.

Datierung von Ascheablagerungen nahegelegener Vulkane

Die neue Entdeckung basiert auf Messungen der Magnetfeldausrichtung in alten Seesedimenten, die jetzt im Sulmona-Becken der Apenninen östlich von Rom (Italien) freiliegen. Die Sedimente sind von Ascheschichten durchsetzt, die aus der römischen Vulkanprovinz stammen, einem großen Vulkangebiet. Der Wind weht von den Vulkanen vorwiegend in Richtung des früheren Sees. In dem Gebiet gibt es regelmäßig eruptive Vulkanaktivität nahe Sabatini, des Vesuv und der Albaner Berge.

Die italienischen Forscher unter Leitung von Leonardo Sagnotti vom National Institute of Geophysics and Volcanology in Rom maßen die Ausrichtungen des Magnetfeldes, die in den Sedimenten bewahrt wurden, während sie sich auf dem Grund des urzeitlichen Sees ansammelten.

Leonardo Sagnotti (links) und Co-Autor Giancarlo Scardia sammeln eine Probe für die paläomagnetische Analyse. (UC Berkeley)
Leonardo Sagnotti (links) und Co-Autor Giancarlo Scardia sammeln eine Probe für die paläomagnetische Analyse. (UC Berkeley)

Sprain und Renne verwendeten die Argon-Argon-Datierung, eine Methode, die häufig gebraucht wird, um das Alter von Gestein zu bestimmen, ob es tausende oder Millionen Jahre alt ist. So stellten sie das Alter der Ascheschichten oberhalb und unterhalb der Sedimentschicht mit den Aufzeichnung der letzten Polumkehr fest. Diese Daten wurden von ihrem Kollegen und früheren Postdoktoranden der UC Berkeley, Sebastien Nomade vom Laboratory of Environmental and Climate Sciences in Gif-Sur-Yvette (Frankreich), bestätigt.

Weil die Sedimente mit einer hohen und stetigen Rate innerhalb einer Zeitspanne von 10.000 Jahren abgelagert wurden, war das Team in der Lage, die Daten der Schicht zu interpolieren, welche die magnetische Polumkehr vor annähernd 786.000 Jahren zeigt, die sogenannte Matuyama-Brunhes-Umkehr. Dieser Zeitpunkt ist viel präziser als jene aus früheren Untersuchungen, welche die Polumkehr auf die Zeitspanne von vor 770.000-795.000 Jahren zurückdatierten.

„Das Verblüffende ist, dass wir von der umgekehrten Polarität zu einem fast normalen Feld gelangen, mit praktisch nichts dazwischen. Das bedeutet, dass es sehr schnell geschehen sein musste, wahrscheinlich in weniger als 100 Jahren“, sagte Renne. „Wir wissen nicht, ob die nächste Polumkehr so plötzlich wie diese stattfinden wird, aber wir wissen auch nicht, dass es nicht der Fall sein wird.“

Instabiles Magnetfeld ging der 180-Grad-Umkehr voraus

Ob die neuen Ergebnisse Probleme für die moderne Zivilisation bedeuten oder nicht, laut Renne werden sie den Forschern wahrscheinlich helfen zu verstehen, wie das Erdmagnetfeld regelmäßig seine Polarität umkehrt.

Die magnetischen Aufzeichnungen des Teams belegen, dass der plötzlichen 180-Grad-Umkehr des Feldes eine Periode der Instabilität vorausging, welche mehr als 6.000 Jahre andauerte. Die Instabilität umfasste zwei Intervalle mit geringer Magnetfeldstärke, die jeweils etwa 2.000 Jahre dauerten. Schnelle Veränderungen der Feldausrichtungen könnten innerhalb des ersten Intervalls mit geringer Stärke aufgetreten sein. Die vollständige Umkehr der magnetischen Polarität – der endgültige und sehr schnelle Sprung zu unserem heutigen Feld – geschah gegen Ende des jüngsten Intervalls mit geringer Feldstärke.

Renne wird seine Zusammenarbeit mit dem italienisch-französischen Team fortführen, um die Aufzeichnungen in den Seesedimenten mit vergangenen Klimaveränderungen in Beziehung zu setzen. Rennes und Sprains Arbeit am Berkeley Geochronology Center wurde von der Ann and Gordon Getty Foundation unterstützt.

Quelle: http://newscenter.berkeley.edu/2014/10/14/earths-magnetic-field-could-flip-within-a-human-lifetime/

(THK)

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