In einer gestern veröffentlichten Abhandlung im European Physical Journal C berichtet die ATLAS Collaboration über die erste Hochpräzisionsmessung der Masse des W-Bosons am Large Hadron Collider (LHC). Dies ist eins von zwei Elementarteilchen, die die schwache Wechselwirkung vermitteln – eine der Kräfte, die das Verhalten der Materie in unserem Universum steuert. Das Ergebnis der Studie gibt für die Masse des W-Bosons einen Wert von 80.370±19 Megaelektronenvolt (MeV) an, was mit den Erwartungen aus dem Standardmodell der Teilchenphysik übereinstimmt. Das Standardmodell der Teilchenphysik ist die Theorie, die bekannte Teilchen und ihre Wechselwirkungen beschreibt.
Die Messung basiert auf etwa 14 Millionen W-Bosonen, die im Jahr 2011 aufgezeichnet wurden, als der Large Hadron Collider mit einer Energie von sieben Teraelektronenvolt (TeV) betrieben wurde. Sie passt zu früheren Messungen des Large Electron Positron Collider (LEP), dem Vorläufer des LHC am CERN und zu Messungen am Tevatron, einem früheren Beschleuniger des Fermilab in den Vereinigten Staaten, dessen Daten es möglich machten, diese Messungen in den vergangenen 20 Jahren weiter zu verfeinern.
Das W-Boson ist eines der schwersten bekannten Teilchen im Universum. Seine Entdeckung im Jahr 1983 krönte den Erfolg des Super Proton-Antiproton Synchrotron am CERN und führte im darauf folgenden Jahr zum Physik-Nobelpreis. Obwohl die Eigenschaften des W-Bosons seit mehr als 30 Jahren untersucht werden, sind Hochpräzisionsmessungen seiner Masse weiterhin eine große Herausforderung.
“Trotz der anspruchsvollen Bedingungen in einem Hadronenbeschleuniger wie dem LHC eine solch präzise Messung zu machen, ist eine große Herausforderung”, sagte der Physikkoordinator der ATLAS Collaboration, Tancredi Carli. “Nur mit Daten eines Jahres im Betriebslauf 1 eine vergleichbare Präzision zu erreichen, wie sie vorher von anderen Beschleunigern erreicht wurde, ist bemerkenswert. Es ist ein extrem vielversprechender Ausblick auf unsere Fähigkeit, unser Wissen über das Standardmodell zu verbessern und mit hochpräzisen Messungen nach Anzeichen für neue Physik zu suchen.”
Das Standardmodell ist sehr leistungsfähig bei den Vorhersagen des Verhaltens und bestimmter Eigenschaften von Elementarteilchen und erlaubt es, bestimmte Parameter aus anderen gut bekannten Werten abzuleiten. Die Massen des W-Bosons, des Top-Quarks und des Higgs-Bosons stehen beispielsweise durch quantenphysikalische Beziehungen in Zusammenhang. Deshalb ist es sehr wichtig, die Präzision der Massenmessungen des W-Bosons zu verbessern, um das Higgs-Boson besser zu verstehen, das Standardmodell zu verfeinern und dessen gesamte Konsistenz zu prüfen.
Bemerkenswerterweise kann die Masse des W-Bosons heute mit einer Genauigkeit vorhergesagt werden, die jene von direkten Messungen übersteigt. Darum kommt der Suche nach neuer Physik eine Schlüsselrolle zu, weil jede Abweichung der gemessenen Masse von den Vorhersagen neue Phänomene offenbaren könnte, die dem Standardmodell widersprechen.
Die Messung stützt sich auf eine gründliche Kalibrierung des Detektors und auf die theoretischen Modelle zur Erzeugung von W-Bosonen. Letztere wurden durch die Untersuchung von Ereignissen mit Z-Bosonen und verschiedenen anderen ergänzenden Messungen erreicht. Die Komplexität der Analyse hatte zur Folge, dass das ATLAS-Team fast fünf Jahre brauchte, um dieses neue Ergebnis zu erhalten. Weitere Analysen mit der jetzt verfügbaren riesigen Datenmenge des LHC werden in naher Zukunft sogar eine noch höhere Genauigkeit erlaubten.
Abhandlung: “Measurement of the $W$-boson mass in pp collisions at $sqrt{s}=7$ TeV with the ATLAS detector” von der ATLAS Collaboration
(THK)
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