Der Baryon Oscillation Spectroscopic Survey veröffentlicht seine ersten Daten

Mit Hilfe solcher Plug Plates misst BOSS die genauen Spektren vieler tausend Objekte am Nachthimmel, zum Beispiel Galaxien, Quasare oder Sterne. (BOSS / SDSS-III)
Mit Hilfe solcher Plug Plates misst BOSS die genauen Spektren vieler tausend Objekte am Nachthimmel, zum Beispiel Galaxien, Quasare oder Sterne. (BOSS / SDSS-III)

Der dritte Sloan Digital Sky Survey (SDSS-III) hat das Data Release 9 (DR9) herausgegeben, das erste öffentliche Release des Baryon Oscillation Spectroscopic Survey (BOSS). In diesem Release stellt BOSS, der größte der vier Surveys des SDSS-III, Spektren für 535.995 kürzlich beobachtete Galaxien, 102.100 Quasare und 116.474 Sterne bereit, plus neue Informationen über Objekte aus vorherigen Sloan Surveys (SDSS-I und SDSS-II).

„Das ist nur das erste von drei Data Releases des Baryon Oscillation Spectroscopic Survey“, sagt David Schlegel vom Lawrence Berkeley National Laboratory (Berkeley Lab) des U.S. Department of Energy, ein Astrophysiker aus der Abteilung für Physik und leitender Wissenschaftler beim Baryon Oscillation Spectroscopic Survey. „Bis der Baryon Oscillation Spectroscopic Survey vollständig ist, werden wir einen größeren Teil des Himmels untersucht haben – doppelt so tief und ein mehr als fünfmal größeres Volumen – als es der SDSS bislang tat. Das ist ein größeres Volumen des Universums als bei allen vorherigen spektroskopischen Himmelsdurchmusterungen zusammen.“

Spektroskopie liefert eine Fülle von Informationen über astronomische Objekte, etwa über ihre Bewegung (Rotverschiebung genannt und als „z“ bezeichnet), ihre Zusammensetzung und manchmal auch über die Dichte des Gases und anderer Materie, die zwischen ihnen und den Beobachtern auf der Erde liegt. Die BOSS-Spektren sind jetzt unter http://sdss3.org/ frei für die Öffentlichkeit verfügbar, beispielsweise für Amateur-Astronomen, Astronomie-Experten, die nicht Mitglied der SDSS-III Collaboration sind, sowie für Naturwissenschaftslehrer und ihre Schüler.

Das neue Release listet Spektren für Galaxien mit Rotverschiebungen bis z = 0,8 (rund sieben Milliarden Lichtjahre entfernt) und für Quasare mit Rotverschiebungen zwischen z = 2,1 und z = 3,5 (zwischen zehn und 11,5 Milliarden Lichtjahre entfernt) auf. Wenn BOSS komplett ist, wird er 1,5 Millionen Galaxien und mindestens 150.000 Quasare gemessen haben, dazu viele tausend Sterne und andere „zusätzliche“ Objekte für andere wissenschaftliche Projekte, die nicht zu dem eigentlichen Hauptziel gehören.

Der Schlüssel zur Geschichte des Universums

BOSS wurde entwickelt, um baryonische akustische Oszillationen (baryon acoustic oscillation, BAO) zu messen, die großräumigen Häufungen von Materie im Universum. Baryonische akustische Oszillationen begannen als kräuselnde Fluktuationen („Schallwellen“) in dem heißen, dichten Gemisch aus Materie und Strahlung, aus dem das frühe Universum bestand. Als das Universum sich ausdehnte, kühlte es ab. Schließlich bildeten sich Atome und die Strahlung ging ihren eigenen Weg. Die Dichte-Fluktuationen hinterließen ihre Narben als Temperaturveränderungen im kosmischen Mikrowellenhintergrund (cosmic microwave background, CMB), wo sie heute registriert werden können.

Der kosmische Mikrowellenhintergrund entstand 380.000 Jahre nach dem Urknall, vor über 13,6 Milliarden Jahren, und erstreckt sich über den gesamten Himmel, während das Universum expandiert. Spitzen in den Temperaturveränderungen des kosmischen Mikrowellenhintergrundes treten etwa eine halbe Milliarde Lichtjahre voneinander entfernt auf – von der Erde aus gesehen in demselben Winkel wie Spitzen in der großräumigen galaktischen Struktur, die Milliarden Jahre später entstand. Die Regionen mit höherer Dichte im kosmischen Mikrowellenhintergrund waren tatsächlich die Quellen der Galaxiebildung. Sie stimmen mit den Regionen überein, in denen sich Galaxien zusammen mit intergalaktischem Gas und Konzentrationen von deutlich massereicherer Dunkler Materie anhäufen. Der natürliche „Entfernungsmesser“, der die Spitzen bei der Anhäufung markiert, kann nicht nur auf den Himmel angewandt werden, sondern in allen drei Dimensionen auch rückwärts in der Zeit auf den kosmischen Mikrowellenhintergrund.

Entfernte Quasare liefern eine andere Möglichkeit, um baryonische akustische Oszillationen und die Verteilung der Materie im Universum zu messen. Quasare sind die hellsten Objekte im entfernten Universum, deren Spektren vor individuell verschobenen Absorptionslinien überquellen – ein für jeden Quasar einzigartiger „Lyman-Alpha-Wald„, der die Zusammenballung von intergalaktischem Gas und Dunkler Materie zwischen dem Quasar und der Erde offenbart.

Markierungen auf dem kosmischen Entfernungsmesser

Schlegel hat baryonische akustische Oszillationen als einen „Entfernungsmesser von unbequemer Größe“ bezeichnet, der ein „großes Volumen des Universums benötigt, damit er hinein passt“, aber er ist ein präzises Werkzeug, um die Expansionsgeschichte des Universums zu verfolgen und die Natur der Gravitation und der rätselhaften Dunklen Energie zu untersuchen, welche eine Beschleunigung der Expansion verursacht.

Um das riesige Volumen zu füllen, musste BOSS eine höhere Objektanzahl und auch schwächere Objekte in größeren Entfernungen finden, als der SDSS es vorher versucht hat. Das Kamerasystem und die Spektrografen des 2,5-Meter Sloan Foundation Telescope am Apache Point Observatory in New Mexico mussten komplett neu gebaut werden.

Schematische Funktionsweise des BOSS-Spektrografen. (BOSS / SDSS-III)
Schematische Funktionsweise des BOSS-Spektrografen. (BOSS / SDSS-III)

Der SDSS verwendet so genannte „Plug Plates“ auf der Fokalebene des Teleskops – Aluminiumscheiben mit hineingebohrten Löchern, um die präzisen Positionen der zuvor abgebildeten Zielobjekte zu bestimmen. Die Plug Plates des SDSS-I und des SDSS-II hatten nur 640 Löcher pro Stück, jedes drei Bogensekunden im Durchmesser. BOSS verwendet 2.000 Plug Plates mit 1.000 Löchern pro Stück, von denen jedes nur zwei Bogensekunden groß ist, um das Licht zu reduzieren, das nicht von dem Ziel stammt.

Jeden Tag werden optische Fasern von Hand in die Löcher gesteckt, um das Licht von jedem Ziel zu einem Spektrografen zu leiten. Obwohl die Wetterbedingungen von Nacht zu Nacht variieren, benutzten die Beobachtungen in den besten Nächten bis zu neun Plug Plates. Für BOSS wurden die Spektrografen mit neuer Optik und neuen CCD-Detektoren aufgerüstet, die am Berkeley Lab entwickelt und hergestellt wurden.

„Das Licht von diesen entfernten Galaxien ist in den Infrarotbereich rotverschoben, wenn es die Erde erreicht“, sagt Natalie Roe, Direktorin der Abteilung für Physik am Berkeley Lab, die die Konstruktion der Spektrografen leitete und mit dem Instrument arbeitet. „Wir optimierten die BOSS-Spektrografen für die Kartierung eben dieser Galaxien.“

Stephen Bailey vom Berkeley Lab arbeitet mit Schlegel und Adam Bolton von der University of Utah zusammen und beaufsichtigt die täglichen Extraktions-Operationen, die die Rohdaten des Teleskops in zweckmäßige Spektren konvertieren und für die wissenschaftliche Analyse vorbereiten. Die Datenspeicherung und die Extraktions-Pipeline laufen auf dem Riemann Linux Cluster der High-Performance Computing Services Group am Berkeley Lab. Von dort werden die Daten zu der University of Utah, der New York University, der Johns Hopkins University und dem National Energy Research Scientific Computing Center (NERSC) am Berkeley Lab kopiert. Das Lab betreibt auch die Website des SDSS-III, von der die Daten heruntergeladen werden können.

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Video-Link: https://youtu.be/EpLrIqC9xM8

Virtueller Flug durch das Universum, basierend auf Daten des SDSS Data Release 7. (SDSS / Berkeley Lab)

„Datenveröffentlichungen sind eine stolze Tradition beim SDSS und die ersten BOSS-Daten erweitern das Informationsangebot des SDSS deutlich“, sagt Bailey. „Mitglieder der SDSS-III Collaboration werden sie zuerst in Angriff nehmen und gerade genug Zeit haben, um ihre Ergebnisse aufzuschreiben – aber von Wissenschaftlern außerhalb der Collaboration werden dreimal mehr Abhandlungen veröffentlicht, die auf den Daten basieren.“

Schlegel sagt: „Der SDSS-III ist bereits der am häufigsten verwendete aller Surveys von allen Teleskopen auf der Welt, die Keck-Teleskope und das Hubble Space Telescope eingeschlossen. Mit dem Data Release 9 trägt BOSS zu einem riesigen Informationssprung für alle Arten wissenschaftlicher Untersuchungen bei, von Quasaren über die Entwicklung von Sternen bis zu wirklich eigenartigen Objekten wie starken Gravitationslinsen. Mittlerweile ist der BOSS BAO-Survey zu mehr als zwei Dritteln abgeschlossen und seinem Zeitplan voraus – wir sind auf einem guten Weg zu den besten Messungen der baryonischen akustischen Oszillationen, die für eine lange Zeit gemacht werden. Alle von BOSS gesammelten Daten werden für jeden verfügbar sein, der sie gebrauchen kann.“

Quelle: http://newscenter.lbl.gov/news-releases/2012/08/08/boss-sdss-dr9/

(THK)

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