Bewegung ohne Muskeln – Zoologen auf der Spur der Evolution von Körperkontraktionen

Prof. Dr. Michael Nickel
Prof. Dr. Michael Nickel

Alle Tiere bewegen sich – Geparden schnell, Schnecken eher langsam. Muskelkontraktionen sind die Grundlage jeder Bewegung, zumindest wenn man der allgemein gültigen Meinung glaubt. Doch es gibt Gruppen von Tieren, die überhaupt keine Muskeln besitzen, weil sie sich vom Pfad der Evolution abgespalten haben, bevor die Muskelzellen entwickelt wurden. Trotzdem sind diese Tiergruppen, darunter die Meeresschwämme, nicht unbeweglich. Schwämme können sich auch ohne Muskeln zusammenziehen. Diese Kontraktionen waren schon Schwammtauchern im antiken Griechenland bekannt, wie Aristoteles bereits 350 v. Chr. beschrieb.

Eine Gruppe von Wissenschaftlern unter der Leitung von Professor Dr. Michael Nickel von der Friedrich Schiller Universität Jena untersuchte nun diese Bewegung ohne Muskeln. Die Wissenschaftler vom Institut für Systematische Zoologie und Evolutionsbiologie waren hauptsächlich an den evolutionären Gesichtspunkten interessiert, besonders an der Frage: Welchen evolutionären Vorläufern entstammen Muskelzellen.

Welche Schwammzellen ziehen sich zusammen?

In einer neuen Studie, die im Journal of Experimental Biology am 15. Mai 2011 veröffentlicht wurde, geben die Evolutionsbiologen neue Antworten auf die Frage, welche Zellen in den Schwämmen sich zusammenziehen. In dem Schriftstück beziehen sich die Forscher auf dreidimensionale Bilder, die sie mit Hilfe von auf Synchrotronstrahlung basierter Röntgenmikrotomografie geschaffen haben. Dadurch konnten die Jenaer Wissenschaftler in Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Zentrum Gesthacht (http://www.hzg.de/) am Deutschen Elektronen Synchrotron Hamburg (http://www.desy.de/) die dreidimensionalen Strukturen von kontrahierten und entspannten Schwämmen vergleichen und sichtbar machen.

„Eine Schlüsselfunktion unserer Vorgehensweise ist die Verwendung von 3D-Daten, um das Volumen und die Oberfläche unserer Schwämme zu vermessen“, so Nickel. „Obwohl die 3D-volumetrische Analyse in den technischen Wissenschaften sehr bekannt ist und häufig verwendet wird, wurde sie bisher nur ganz selten in der Zoologie eingesetzt – trotz ihres enormen Informationspotentials.“ Auf diese Weise konnte Nickels Team zeigen, dass die inneren und äußeren Oberflächen – demzufolge also die Epithelzellen oder auch Pinacozyten – die starken Körperkontraktionen der Schwämme verursachen. Die Jenaer Wissenschaftler konnten so eine hundertjährige Debatte über die Ursache zellularer Kontraktionen beenden. Bis jetzt dachte man, dass entfernt liegende spindelförmige Zellen im Gewebe der Schwämme zusammen mit den Epithelzellen mögliche Kandidaten dafür seien, doch jetzt konnten die Wissenschaftler in Jena den wahren Impulsgeber der Kontraktionen identifizieren.

Schwammspezies Tethya wilhelma (Michael Nickel)
Schwammspezies Tethya wilhelma (Michael Nickel)

Neue Annäherung an die evolutionäre Entwicklung der Muskulatur

Die neuen Forschungsergebnisse der Wissenschaftler an der Universität Jena machen eine neue Annäherung an die evolutionäre Entwicklung von Muskulatur möglich. „Die frühe Evolution von Muskeln ist bis jetzt nicht vollständig bekannt“, sagte Nickel. “ Doch sicherlich hat es evolutionäre Vorgängersysteme gegeben, die bis jetzt unbekannt waren.“ Die Epithelzellen der Schwämme rücken jetzt für die Evolutionsbiologen in die vorderste Front für die weitere Erforschung dieses Zusammenhangs vor. „Es gibt viele Hinweise darauf, dass die Epithelzellen der Schwämme und die Muskelzellen aller anderen Tiere auf eine gemeinsame kontraktile Vorläuferzelle zurückzuführen sind.“ In der Zukunft wird dies von internationalen Arbeitsgruppen untersucht werden, auch unter Verwendung von Genom- und Genexpressionsbezogenen Daten.

Weiterführende Links:
Verschiedene Videos der Experimente
http://www.porifera.net/index.php?option=com_content&task=category&sectionid=9&id=86&Itemid=120

Quelle: http://www.uni-jena.de/en/News/PM110512_Muskelbewegung_en.html

(SOM)

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