
Zu den beeindruckendsten Strukturen im Universum gehören die Jets aktiver galaktischer Kerne (active galactic nuclei, AGN). Sie können einige Tausend Lichtjahre lang werden und entstehen durch Wechselwirkungen von Materie, die in Form einer Akkretionsscheibe ein supermassives Schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie umkreist. Durch die Jets werden auch enorme Mengen elektromagnetischer Energie und Drehimpuls aus dem Zentrum nach außen getragen.
Seit Mitte der 1970er Jahre existieren theoretische Modelle, die den Energietransport in magnetisch dominierten Jets mathematisch beschreiben. In dem Modell existiert ein dem Jet parallel gerichteter Stromfluss entweder nach außen vom galaktischen Kern weg oder nach innen auf den galaktischen Kern zu. Gleichzeitig muss deutlich weiter entfernt von der Jetachse ein Rückflussstrom in die jeweils entgegengesetzte Richtung fließen – also zum galaktischen Kern hin oder von ihm weg – damit der Netto-Stromwegfluss der Quelle Null beträgt. Aufgrund von Interaktionen mit dem Magnetfeld stoßen sich der Strom und der Rückflussstrom gegenseitig ab. Dies wurde mit magnetohydrodynamischen Simulationen belegt. Rotationsmessungen von Jets zahlreicher aktiver galaktischer Kerne erbrachten Hinweise auf einen elektrischen Stromfluss entlang der Jetachse.
Jetzt liefern Philipp Kronberg von der University of Toronto in Kanada, Richard Lovelace von der Cornell University in Ithaca (New York), Giovanni Lapenta von der Universiteit Leuven in Belgien und Stirling Colgate vom Los Alamos National Laboratory in Los Alamos (New Mexico) erstmals Beweise für einen wesentlich großräumigeren Stromfluss. Die Wissenschaftler untersuchten die zwei Milliarden Lichtjahre entfernte Radioquelle 3C303, eine Galaxie in einer spärlich besiedelten intergalaktischen Region fernab eines Galaxienhaufens, die über einen auffälligen, einseitigen Jet verfügt. Im Radio- und Röntgenspektrum sind regelmäßige Knotenstrukturen in dem Jet zu erkennen. Ihre abgelegene Position in hoher galaktischer Breite und die dadurch bedingte Abwesenheit von Störungen durch den galaktischen Vordergrund und benachbarte Galaxienhaufen macht sie zu einem idealen Beobachtungsobjekt, um die so genannte Faraday Rotation der Jets und der sich darin befindlichen Knotenstrukturen zu messen. Diese Messungen liefern wertvolle Daten über verschiedene physikalische Parameter des Jets, einschließlich der dort herrschenden Magnetfelder und elektrischen Ströme.
Die Knotenstrukturen innerhalb es Jets der Galaxie 3C303 sind ungewöhnlich groß und die exakte Achse ist nicht direkt sichtbar, weil sie von einem Kokon aus relativistischem Gas und Plasma, sowie einem hochgradig geordneten Magnetfeld umgeben ist. Die gleichmäßige Struktur und ein querverlaufender Knotenkomplex im westlichen Bereich lassen darauf schließen, dass der Jet ab einem gewissen Punkt zerstört wird. Im Westen endet er in einer Schockwellenähnlichen Struktur. Diese Beobachtungen bilden zusammen mit nachfolgenden Simulationen die Grundlage der Studie.
Die Untersuchungen der Faraday Rotation erlaubten gemeinsam mit der Plasmaanalyse und der Bestimmung der Faraday Rotation benachbarter Quellen erstmals eine direkte Schätzung der Stärke des Netto-Stromflusses eines Jet im Maßstab mehrerer Kiloparsecs im intergalaktischen Raum.
Um den elektrischen Strom des Jets zu messen, wurden zunächst die magnetischen Feldstärken in den Knotenstrukturen bestimmt. Mit Hilfe von Messungen des Very Large Array errechneten die Forscher für die magnetische Feldstärke im Kernvolumen der Knotenstrukturen einen ungefähren Wert von 0,5 Milligauss. Unter Einbeziehung der differenziellen Faraday Rotation des Knotens und seiner Plasmadichte waren die Wissenschaftler in der Lage, Schätzungen über die Stärke des elektrischen Stroms innerhalb des Jets abzuleiten. Entscheidend für das Gelingen war dabei die Kalibrierung des Null-Levels der Faraday Rotationen benachbarter Quellen mittels aktueller und exakter Datenbestände. Die letztendlich abgeleitete Stromstärke bezeichnet den durchschnittlichen Wert innerhalb des Strahlung emittierenden Knotenvolumens. Die ermittelte Stromstärke beträgt demnach rund 7,5 * 1017 Ampere, also knapp ein Exaampere beziehungsweise fast eine Trillion Ampere (10 * 1017 Ampere = 1018 Ampere = 1 Exaampere = 1 Trillion Ampere).
Damit war es Kronberg und seinen Kollegen auch möglich, die Energieabgabe der Galaxie mittels Photonen im Frequenzbereich zwischen 108 und 1017 Hertz zu berechnen: Sie liegt bei ungefähr 3,7 * 1034 Watt.
Die Studie liefert neue Einblicke in die hochkomplexen dynamischen Prozesse, welche innerhalb der von supermassiven Schwarzen Löchern erzeugten Jets ablaufen. Die Ergebnisse können in vielen astrophysikalischen und kosmologischen Fachbereichen weiterverwendet werden, etwa bei der Untersuchung der Entwicklung von Galaxien oder bei der Beschreibung von Schwarzen Löchern.
Referenz: http://arxiv.org/abs/1106.1397 (Measurement of the Electric Current in a Kpc-Scale Jet)
(THK)
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