Das großflächige Verschwinden von Stromatolithen, den frühesten sichtbaren Anzeichen für Leben auf der Erde, könnte durch einzellige Organismen – sogenannte Foraminiferen – ausgelöst worden sein. Die Ergebnisse von Wissenschaftlern der Woods Hole Oceanographic Institution (WHOI), des Massachusetts Institute of Technology, der Univerity of Connecticut, der Harvard Medical School und des Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston wurden diese Woche online in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlicht.
Stromatolithe („geschichtete Steine“) sind Strukturen aus Calciumkarbonat, geformt durch den Einfluss Photosynthese betreibender Cyanobakterien und anderer Mikroben, die Sedimentkörnchen einfingen und zu feinen Schichten verbanden. Vor 3,5 Milliarden Jahren waren sie in großer Anzahl entlang der Küstenlinien auf der ganzen Welt vertreten. „Stromatolithe waren eines der frühesten Beispiele für die enge Beziehung zwischen der Biologie (lebenden Dingen) und der Geologie, der Struktur der Erde selbst“, sagte Joan Bernhard, Geobiologin der WHOI und leitende Autorin der Studie.
Die wachsende Bakteriengemeinschaft sonderte klebrige Bestandteile ab, welche die Sedimentkörnchen an sich hefteten und ein mineralisches „Mikrogewebe“ herstellten, das sich zu massiven Formationen ansammelte. Stromatolithe dominierten die Umgebung mehr als zwei Milliarden Jahre lang bis spät in das Proterozoikum.
„Dann, vor etwa einer Milliarde Jahren, begannen ihre Vielfalt und ihre fossile Häufigkeit einen Sturzflug zu machen“, sagte Bernhard. Binnen einer Periode von Millionen Jahren begannen die geschichteten Formationen, die so häufig und vielfältig waren, auf der ganzen Welt zu verschwinden. Für Paläontologen war dieser Einbruch fast so dramatisch wie das Aussterben der Dinosaurier Millionen Jahre später, wenn auch nicht gar so umfassend: Lebende Stromatolithe können noch heute in begrenzten und weit zerstreuten Gebieten gefunden werden – als hätten ein paar Velociraptoren in abgelegenen Tälern überlebt.
Während das Aussterben der Dinosaurier weitestgehend durch den Einschlag eines großen Asteroiden erklärt wurde, bleibt der Einbruch der Stromatolithen ungelöst. „Es ist eine der wichtigen Fragen der Erdgeschichte“, sagte Virginia Edgcomb, Ökologin der WHOI und Co-Autorin der Studie. Genauso rätselhaft ist das plötzliche Auftauchen von anderen Formationen namens Thrombolithen („verklumpte Steine“) in den fossilen Aufzeichnungen. Wie Stromatolithe werden auch Thrombolithe durch den Einfluss von Mikroben auf Sedimente und Minerale gebildet. Im Gegensatz zu Stromatolithen sind sie jedoch nicht feinschichtig, sondern klumpig.
Es ist nicht bekannt, ob Stromatolithe zu Thrombolithen wurden, oder ob Thrombolithe unabhängig vom Rückgang der Stromatolithen entstanden. Vorgeschlagene Hypothesen zur Erklärung beider Formationen umfassen Veränderungen in der ozeanischen Chemie und das Auftauchen mehrzelliger Lebensformen, die sich möglicherweise von den Mikroben ernährten, welche für die Strukturen verantwortlich waren.
Bernhard und Edgcomb nahmen an, dass Foraminiferen eine Rolle gespielt haben könnten. Foraminiferen sind Protisten und damit Mitglieder des Reichs, dem auch Amöben, Wimpertierchen und andere Gruppen angehören, die früher als „Protozoen“ bezeichnet wurden. Sie sind in heutigen Meeressedimenten weit verbreitet, wo sie zahlreiche schmale Ausstülpungen (Scheinfüßchen oder Pseudopodien genant) verwenden, um Beute einzuschließen, sich fortzubewegen und ihre nahe Umgebung zu erkunden. Trotz ihrer bekannten Fähigkeit, neuzeitliche Sedimente durcheinanderzubringen, wurde ihre mögliche Rolle bei dem Verschwinden der Stromatolithen und dem Auftauchen der Thrombolithen bisher nie in Betracht gezogen.
Die Forscher untersuchten moderne Stromatolithen und Thrombolithen aus Highborne Cay auf den Bahamas im Hinblick auf das Vorhandensein von Foraminiferen. Unter Verwendung von mikroskopischen und rRNA-Sequenzierungstechniken fanden sie Foraminiferen in beiden Strukturtypen. Thrombolithe waren die Heimat für eine größere Vielfalt an Foraminiferen und besonders reich an Foraminiferen, welche eine organische Hülle um sich selbst absondern. Diese „hüllenbewährten“ Foraminiferen waren vermutlich die ersten Foraminiferen, die sich entwickelten – geologisch betrachtet nicht lange vor dem Rückgang der Stromatolithen.
„Der Zeitpunkt ihres Auftretens stimmt mit dem Rückgang geschichteter Stromatolithen und dem Auftauchen der Thrombolithen in den fossilen Aufzeichnungen überein“, sagte Edgcomb. „Das unterstützt die Theorie, nach der es Foraminiferen gewesen sein könnten, die ihre Entwicklung anstießen.“ Als nächsten Schritt erschufen Bernhard, Edgcomb und die Postdoktorandin Anna McIntyre-Wressnig ein experimentelles Szenario, das nachbildete, was vor einer Milliarde Jahren geschehen sein könnte. „Niemand wird jemals in der Lage sein, das Proterozoikum exakt nachzubilden, weil sich das Leben seit damals weiterentwickelt hat, aber man tut sein Bestes“, sagte Edgcomb. Sie begannen mit Teilen heutiger Stromatolithen, die in Highborne Cay gesammelt wurden, und versahen sie mit Foraminiferen, die sie in modernen Thrombolithen fanden. Dann warteten sie um zu sehen, welche Auswirkungen die hinzugefügten Foraminiferen auf die Stromatolithen haben würden – falls überhaupt.
Nach etwa sechs Monaten hatte sich die fein geschichtete Ordnung der Stromatolithen in eine ungeordnete Gruppierung verwandelt, die eher mit der von Thrombolithen vergleichbar war. Sogar ihre feine Struktur, wie sie in den CAT-Scans aufgedeckt wurde, ähnelte jener von in der Natur gesammelten Thrombolithen. „Die Foraminiferen hatten das Mikrogewebe zerstört“, sagte Bernhard.
Dieses Ergebnis war verblüffend, aber es hat nicht bewiesen, dass die Strukturveränderungen durch die Aktivitäten der Foraminiferen verursacht wurden. Die Veränderungen könnten auch daher kommen, dass sie einfach in das Labor gebracht wurden. Allerdings hatten die Forscher einen Kontrollmechanismus in ihr Experiment eingebaut: Sie brachten Foraminiferen auf frisch gesammelte Stromatolithen auf, so wie zuvor, aber behandelten sie zusätzlich mit Colchicin, einem Wirkstoff, der sie daran hinderte, ihre Scheinfüßchen auszubilden. „Sie werden als Geiseln gehalten“, sagte Bernhard. „Sie sind dort, aber sie können nicht fressen und sich nicht bewegen.“
Nach rund sechs Monaten waren die Foraminiferen immer noch dort und am Leben – aber die Struktur des Gesteins war nicht so verklumpt wie ein Thrombolith. Sie war noch geschichtet. Die Wissenschaftler schlussfolgerten, dass aktive Foraminiferen das Gefüge von Stromatolithen neu gestalten können und den Rückgang dieser Formationen, sowie das Auftauchen von Thrombolithen angestoßen haben könnten.
Quelle: http://www.whoi.edu/news-release/stramatolites
(THK)
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