Rätselhaftes Röntgensignal verblüfft Astronomen

Dieses Bild zeigt eine neue Ansicht des Perseus-Galaxienhaufens, einem der Galaxienhaufen, die in der neuen Studie untersucht wurden. (NASA / CXC / SAO / E.Bulbul, et al.)
Dieses Bild zeigt eine neue Ansicht des Perseus-Galaxienhaufens, einem der Galaxienhaufen, die in der neuen Studie untersucht wurden. (NASA / CXC / SAO / E.Bulbul, et al.)

In einer detaillierten Studie über Galaxienhaufen wurde mit dem Chandra X-ray Observatory der NASA und dem XMM-Newton-Observatorium der ESA ein rätselhaftes Röntgensignal entdeckt. Eine erstaunliche Möglichkeit ist, dass die Röntgenstrahlen durch den Zerfall steriler Neutrinos produziert werden – das ist ein Teilchentyp, der als ein Kandidat für Dunkle Materie angesehen wird. Obwohl diese Ergebnisse ein aufregendes Potenzial bergen, müssen sie durch zusätzliche Daten bestätigt werden, um andere Erklärungen auszuschließen und um zu bestimmen, ob es plausibel ist, dass hier Dunkle Materie beobachtet wurde.

Astronomen vermuten, dass Dunkle Materie etwa 85 Prozent der Materie im Universum ausmacht, aber kein Licht emittiert oder absorbiert wie „normale“ Materie. Zu der normalen Materie gehören die Protonen, Neutronen und Elektronen, aus denen die vertrauten Elemente von Planeten, Sternen und Galaxien bestehen. Deswegen müssen Wissenschaftler indirekte Methoden verwenden, um nach Hinweisen für Dunkle Materie zu suchen.

Die neuesten Ergebnisse von Chandra und XMM-Newton zeigen eine unidentifizierte Röntgenemissionslinie. Dabei handelt es sich um eine Intensitätsspitze bei einer sehr spezifischen Wellenlänge im Röntgenbereich. Astronomen registrierten diese Emissionslinie im Perseus-Galaxienhaufen sowohl mit Chandra als auch mit XMM-Newton. Sie fanden die Linie außerdem in einer kombinierten Untersuchung von 73 anderen Galaxienhaufen, die mit XMM-Newton durchgeführt wurde.

„Wir wissen, dass die Dunkle-Materie-Erklärung eine Vermutung ist, aber der Nutzen wäre riesig, falls wir recht haben“, sagte Esra Bulbul vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) in Cambridge (Massachusetts), die Leiterin der Studie. „Also werden wir diese Interpretation weiter prüfen und sehen, wohin sie uns bringt.“

Die Autoren vermuten, dass diese Emissionslinie eine Signatur des Zerfalls eines „sterilen Neutrinos“ sein könnte. Sterile Neutrinos sind ein hypothetischer Neutrinotyp, der den Voraussagen nach nur über die Gravitation mit normaler Materie wechselwirkt. Manche Wissenschaftler haben vorhergesagt, dass sterile Neutrinos die Dunkle Materie zumindest teilweise erklären könnten.

„Wir haben viel Arbeit zu bewältigen, bevor wir mit Sicherheit behaupten können, dass wir sterile Neutrinos gefunden haben“, sagte Maxim Markevitch, ein Co-Autor der Studie vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland). „Aber allein die Möglichkeit, sie zu finden, hat uns sehr begeistert.“

Eine Unsicherheitsquelle ist, dass der Nachweis dieser Emissionslinie die Fähigkeiten der beiden Observatorien an ihre Grenzen bringt, was die Empfindlichkeit betrifft. Auch könnte es andere Erklärungen als sterile Neutrinos geben, falls diese Röntgenemissionslinie für echt befunden wird. Es gibt Möglichkeiten dafür, dass normale Materie in dem Galaxienhaufen die Linie erzeugt haben könnte. Die Analyse des Teams lässt jedoch darauf schließen, dass an all diesen Möglichkeiten unwahrscheinliche Veränderungen bei unserem Verständnis der physikalischen Bedingungen in dem Galaxienhaufen oder bei den Einzelheiten der Atomphysik extrem heißer Gase beteiligt sein müssten.

Die Autoren betonen, dass – sofern die Sterile-Neutrinos-Interpretation korrekt ist – der Nachweis steriler Neutrinos nicht zwangsläufig bedeutet, dass sämtliche Dunkle Materie aus diesen Teilchen bestehen muss. „Unser nächster Schritt ist es, Daten von Chandra und der JAXA-Mission Suzaku zu kombinieren, um eine große Anzahl Galaxienhaufen zu untersuchen und zu sehen, ob wir das gleiche Röntgensignal finden“, sagte der Co-Autor Adam Foster vom CfA. „Es gibt zahlreiche Theorien darüber, was diese Daten repräsentieren könnten. Wir wissen es vermutlich nicht sicher, bis Astro-H mit einem neuen Röntgendetektortyp startet, der dazu in der Lage sein wird, die Linie mit höherer Präzision als bislang möglich zu messen.“

Aufgrund des immensen Potenzials dieser Ergebnisse veröffentlichten die Autoren eine Kopie ihrer Abhandlung in der frei zugänglichen Datenbank arXiv.org, nachdem sie die Arbeit beim Astrophysical Journal eingereicht hatten. Dieses Forum erlaubt Wissenschaftlern, eine Abhandlung vor dessen Freigabe in einem von Experten betreuten Journal zu prüfen. Die Arbeit rief eine rege Aktivität hervor – 55 neue Abhandlungen haben diese Arbeit bereits zitiert. Bei den meisten von ihnen dreht es sich um Theorien, welche die Emissionslinie als möglichen Beleg für Dunkle Materie diskutieren. Manche der Abhandlungen beschäftigen sich mit der Sterile-Neutrinos-Interpretation, aber andere besagen vor, dass verschiedene Typen für Kandidaten von Dunkle-Materie-Teilchen bereits registriert worden sein könnten, beispielsweise das Axion.

Nur eine Woche, nachdem Bulbul und ihre Kollegen ihre Abhandlung auf arXiv veröffentlichten, lud eine andere Gruppe unter Leitung von Alexey Boyarsky von der Leiden University in den Niederlanden eine Abhandlung auf arXiv hoch: http://arxiv.org/abs/1402.4119. In selbiger wird über den Beleg für eine Emissionslinie im selben Energiebereich berichtet, basierend auf Beobachtungen, die XMM-Newton von der Galaxie M31 und den Randbereichen des Perseus-Galaxienhaufens gemacht hat. Das stärkt die Ansicht, dass die Emissionslinie real ist und kein Artefakt eines Intruments.

Das Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) hat sein Hauptquartier in Cambridge (Massachusetts) und ist ein Gemeinschaftsprojekt zwischen dem Smithsonian Astrophysical Observatory und dem Harvard College Observatory. Wissenschaftler aus sechs Forschungsabteilungen untersuchen hier den Ursprung, die Entwicklung und das endgültige Schicksal des Universums.

Quelle: http://chandra.harvard.edu/press/14_releases/press_062414.html

(THK)

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