Weil die alten Meeresböden über 1.000 Kilometer in das tiefe Innere der Erde abfallen, lassen sie heißes Gestein im unteren Mantel viel dynamischer fließen als bislang angenommen. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie unter Leitung des University College London (UCL).
Die Entdeckung beantwortet lange bestehende Fragen über die Natur und die Mechanismen der Mantelströmung im unerreichbaren Teil des Erdinneren. Das ist der Schlüssel, um die dynamische Entwicklung unseres Planeten und anderer Planeten im Sonnensystem zu verstehen, und wie schnell die Erde abkühlt.
„Wir sehen den Erdmantel oft als eine strömende Flüssigkeit, aber das stimmt nicht. Er ist ein Festkörper, der sich im Laufe der Zeit sehr langsam bewegt. Traditionell vermutet man, dass der Gesteinsstrom im unteren Erdmantel träge ist, bis man den Kern des Planeten erreicht, wobei die größte Dynamik im oberen Erdmantel auftritt, der nur bis in eine Tiefe von 660 Kilometern reicht. Wir haben gezeigt, dass dies in großen Regionen tief unter dem südlichen Pacific Rim und Südamerika nicht der Fall ist“, erklärte die Hauptautorin Dr. Ana Ferreira (UCL Earth Sciences und Universidade de Lisboa).
„Hier tritt im unteren Mantel der gleiche Mechanismus auf, der die Bewegung und Deformationen des heißen, komprimierten Gesteins im oberen Mantel verursacht. Wenn diese erhöhte Aktivität gleichermaßen auf dem gesamten Globus abläuft, könnte die Erde viel schneller abkühlen, als wir bisher dachten“, ergänzte Dr. Manuele Faccenda von der Universita di Padova.
Die am 25. März 2019 im Journal Nature Geoscience veröffentlichte Studie liefert Belege für dynamische Bewegungen im unteren Erdmantel, wo alte Meeresböden in Richtung Erdkern sinken und dabei den oberen Mantel (bis 660 Kilometer unter der Oberfläche) bis zum unteren Mantel (ca. 660-1.200 Kilometer unter der Oberfläche) durchqueren. Die Studie wurde von Forschern des UCL, der Universidade de Lisboa, der Universita di Padova, der Kangwon National University und der Tel Aviv University verfasst.
Das Team stellte fest, dass die Deformation und die erhöhte Strömungsaktivität im unteren Mantel wahrscheinlich durch die Bewegung von Defekten im Kristallgitter des Gesteins im tiefen Erdinnern verursacht wird. Dies ist ein Deformationsmechanismus, der als „Dislocation Creep“ bezeichnet wird und dessen Präsenz im tiefen Mantel ein Gegenstand intensiver Debatten ist.
Die Forscher nutzten umfangreiche Datensätze über von Erdbeben erzeugte seismische Wellen, um zu untersuchen, was tief im Erdinneren passiert. Die Technik ist gut anwendbar und vergleichbar damit, wie Strahlung in CAT-Scans verwendet wird, um die Abläufe im menschlichen Körper abzubilden.
„In einem CAT-Scan durchdringen schmale Röntgenstrahlen den Körper und treffen auf Detektoren gegenüber der Strahlungsquelle, die dann ein Bild zusammensetzen. Seismische Wellen durchdringen die Erde auf ganz ähnliche Weise und werden von Seismometerstationen auf der Seite des Planeten registriert, die dem Epizentrum des Bebens gegenüber liegt. Das erlaubt uns, ein Bild der Struktur des Erdinneren aufzubauen“, erklärte Dr. Sung-Joon Chang von der Kangwon National University.
„Durch die Kombination von 43 Millionen seismischen Messungen mit dynamischen Computersimulationen an den Supercomputerzentren HECToR, Archer (Großbritannien), dem Galileo Computing Cluster (Italien), und CINECA erschufen die Forscher Bilder, um die Art der Mantelströme in Tiefen von etwa 1.200 Kilometern zu kartieren.
Die Karten offenbarten einen verstärkten Mantelstrom unter dem westlichen Pazifik und Südamerika, wo alte Meeresböden im Verlauf von Millionen Jahren in Richtung Erdkern absinken.
Dieser Ansatz der Kombination seismischer Daten mit geodynamischen Computersimulationen kann jetzt verwendet werden, um detaillierte Karten dessen zu erstellen, wie der Mantel global strömt und um zu sehen, ob der Dislocation-Creep-Mechanismus in extremen Tiefen gleichförmig ausgeprägt ist.
Die Wissenschaftler möchten auch simulieren, wie das Material aus dem Erdkern zur Oberfläche aufsteigt, was Forschern zusammen mit dieser neuesten Studie helfen wird, die Entwicklung unseres Planeten in seinen heutigen Zustand besser zu verstehen.
„Wie sich der Erdmantel bewegt, könnte steuern, warum es Leben auf unserem Planeten gibt, aber nicht auf anderen wie beispielsweise der Venus, die eine ähnliche Größe und Position im Sonnensystem wie die Erde hat, aber wahrscheinlich ein völlig anderes Mantelströmungsverhalten aufweist. Indem wir die Geheimnisse unseres eigenen Planeten lüften, können wir viel über andere Planeten erfahren“, schlussfolgerte Dr. Ferreira.
(THK)
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