
Physiker der Rice University sind ins Extreme gegangen, um zu beweisen, dass Isaac Newtons klassische Bewegungsgesetze auf die atomare Welt angewendet werden können: Sie haben ein genaues Modell eines Teils des Sonnensystems innerhalb eines einzelnen Kalium-Atoms konstruiert.
In einer neuen Studie, die diese Woche in den Physical Review Letters veröffentlicht wurde, zeigten das Team der Rice University und Kollegen vom Oak Ridge National Laboratory und der Technischen Universität Wien, dass sie ein Elektron in einem Atom dazu bringen konnten, den Atomkern in exakt derselben Weise zu umkreisen, wie Jupiters trojanische Asteroiden die Sonne umkreisen.
Die Ergebnisse halten eine Vorhersage aufrecht, die 1920 von dem berühmten dänischen Physiker Niels Bohr über die Beziehung zwischen der damals neuen Quantenmechanik und Newtons bewährten Bewegungsgesetzen getroffen wurde.
“Bohr sagte voraus, dass quantenmechanische Beschreibungen der physikalischen Welt für ausreichend große Systeme mit den von der Newtonschen Mechanik gelieferten klassischen Beschreibungen übereinstimmen würden”, sagte der leitende Forscher Barry Dunning, der Sam and Helen Worden Professor für Physik und Vorsitzende des Department of Physics and Astronomy an der Rice University. “Bohr beschrieb auch die Bedingungen, unter denen diese Übereinstimmung beobachtet werden könnte. Insbesondere sagte er, dass sie in Atomen mit sehr hohen Hauptquantenzahlen gesehen werden sollte – exakt die, die wir in unserem Laboratorium untersuchen.”
Bohr war ein Pionier der Quantenphysik. Sein Atommodell von 1913, auf das man sich heute noch oft beruft, postulierte einen kleinen Kern, der von Elektronen umgeben ist, welche sich in klar abgegrenzten Umlaufbahnen und Hüllen bewegen. Das Wort “Quanten” in Quantenmechanik leitet sich aus der Tatsache ab, dass diese Umlaufbahnen nur bestimmte definierte Energien aufweisen können. Sprünge zwischen diesen Umlaufbahnen führen zur Absorption oder Emission spezifischer Energiemengen, die als Quanten bezeichnet werden. Wenn ein Elektron Energie gewinnt, steigt seine Quantenzahl und es springt in höhere Umlaufbahnen, die weiter vom Kern entfernt sind.
In den neuen Experimenten begannen die Studenten der Rice University Brendan Wyker und Shuzhen Ye damit, einen ultravioletten Laser zu verwenden, um ein Rydberg-Atom zu erzeugen. Rydberg-Atome enthalten ein hochangeregtes Elektron mit einer sehr großen Quantenzahl. In den Experimenten an der Rice University wurden Kalium-Atome mit Quantenzahlen zwischen 300 und 600 untersucht.
“In solch angeregten Zuständen werden die Kalium-Atome hunderttausende Male größer als normal und erreichen die Größe eines Punktes am Ende eines Satzes”, sagte Dunning. “Deshalb sind sie gute Kandidaten, um Bohrs Vorhersage zu testen.”
Er sagte, die klassischen und quantenmechanischen Beschreibungen der Elektronenorbits zu vergleichen sei schwierig, vor allem weil Elektronen als Teilchen und Welle existieren. Um ein Elektron zu “lokalisieren” berechnen Physiker die Wahrscheinlichkeit, das Elektron zu einer vorgegebenen Zeit an verschiedenen Positionen zu finden. Diese Vorhersagen werden kombiniert, um eine “Wellenfunktion” zu erstellen, die all die Orte beschreibt, wo das Elektron gefunden werden könnte. Normalerweise sieht die Wellenfunktion eines Elektrons wie eine diffuse Wolke aus, die den Atomkern umgibt, weil das Elektron zu einer vorgegebenen Zeit auf jeder Seite des Kerns gefunden werden könnte.
Video-Link: https://youtu.be/t9sJ-H2hM88
Dunning und seine Mitarbeiter verwendeten zuvor eine maßgeschneiderte Sequenz elektrischer Impulse, um die Wellenfunktion eines Elektrons in einem Rydberg-Atom kollabieren zu lassen. Das begrenzte den Ort, wo es gefunden werden könnte auf ein lokales, kommaförmiges Gebiet, das als “Wellenpaket” bezeichnet wird. Dieses begrenzte Wellenpaket umkreiste den Kern des Atoms ähnlich wie ein Planet die Sonne umkreist. Aber der Effekt hielt nur einen kurzen Zeitraum an.
“Wir wollten sehen, ob wir einen Weg entwickeln konnten, um Radiowellenfrequenzen für das Einfangen dieses lokalisierten Elektrons zu benutzen und es dazu zu bringen, den Kern unendlich zu umkreisen”, sagte Ye.
Sie hatten Erfolg, indem sie ein Radiofrequenzfeld benutzten, das selbst um Kern rotiert. Dieses Feld schloss das lokalisierte Elektron ein und zwang es dazu, im Gleichschritt um den Kern zu rotieren.
Ein weiterer elektrischer Impuls wurde verwendet, um das Endergebnis zu messen, indem eine Momentaufnahme des Wellenpaket gemacht und das empfindliche Rydberg-Atom bei dem Prozess zerstört wurde. Nachdem das Experiment zehntausende Male durchgelaufen war, wurden alle Momentaufnahmen kombiniert, um zu zeigen, dass Bohrs Vorhersage korrekt war: Die klassischen und die quantenmechanischen Beschreibungen der Wellenpakete des kreisenden Elektrons stimmten überein. Tatsächlich entspricht die klassische Beschreibung des von dem rotierenden Feld gefangenen Wellenpakets der klassischen Physik, die das Verhalten von Jupiters trojanischen Asteroiden erklärt.
Jupiters mehr als 4.000 trojanische Asteroiden – so bezeichnet, weil jeder den Namen eines Helden aus den Trojanischen Kriegen trägt – haben dieselbe Umlaufbahn wie Jupiter und befinden sich innerhalb von kommaförmigen Wolken, die denen der lokalisierten Wellenpakete in dem Experiment der Rice University erstaunlich ähnlich sehen. Und genau wie das Wellenpaket in dem Atom durch die kombinierten elektrischen Felder des Kerns und des rotierenden Feldes gefangen ist, sind die Trojaner in den kombinierten Gravitationsfeldern der Sonne und dem umkreisenden Jupiter gefangen.
Die Forscher arbeiten derzeit an ihrem nächsten Experiment. Sie versuchen, zwei Elektronen zu lokalisieren und sie dazu zu bringen, den Kern wie zwei Planeten mit verschiedenen Umlaufbahnen zu umkreisen.
“Der Kontrollgrad, den wir in diesen Atomen zu erreichen in der Lage sind, wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen und hat beispielsweise potenzielle Anwendungen in Quantencomputern und bei der Kontrolle von chemischen Reaktionen mittels ultraschneller Laser”, sagte Dunning.
Die Forschungsarbeit wurde von der National Science Foundation, der Robert A. Welch Foundation, dem Austrian Science Fund und dem Department of Energy finanziert. Co-Autoren der Studie sind S. Yoshida von der Technischen Universität Wien, C. O. Reinhold vom Oak Ridge National Laboratory und der University of Tennessee und J. Burgdörfer von der Technischen Universität Wien und der University of Tennessee.
Quelle: http://stage.media.rice.edu/media/NewsBot.asp?MODE=VIEW&ID=16666&SnID=1904501430
(THK)
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