Warum ist die Millionen Grad heiße Korona, die äußerste Sonnenatmosphäre, so viel heißer als die Sonnenoberfläche? Diese Frage hat Astronomen Jahrzehnte lang rätseln lassen. Am 16. Oktober 2014 präsentierte ein Team unter Leitung von Paola Testa vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) neue Anhaltspunkte zu dem Rätsel der koronalen Aufheizung. Dafür nutzten die Forscher Beobachtungen des kürzlich gestarteten Interface Region Imaging Spectrograph (IRIS). Das Team stellte fest, dass Miniatur-Sonnenfackeln – sogenannte “Nanoflares” – und die von ihnen produzierten, schnellen Elektronen ein Teil der Quelle dieser Aufheizung sein könnten, zumindest in einigen der heißesten Koronaregionen.
Ein Flare tritt auf, wenn die Helligkeit eines Gebiet auf der Sonne in allen Wellenlängen des Lichts dramatisch ansteigt. Bei einem Flare wird solares Plasma binnen weniger Sekunden oder Minuten auf zig Millionen Grad erhitzt. Flares können außerdem Elektronen (und Protonen) des solaren Plasmas bis auf großen Teil der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen. Diese hochenergetischen Elektronen können drastische Auswirkungen haben, wenn sie die Erde erreichen und spektakuläre Polarlichter verursachen. Aber sie können auch die Kommunikation stören, GPS-Signale beeinträchtigen und Stromnetze beschädigen.
Die schnellen Elektronen können ebenfalls durch kleinere Flare-Versionen – Nanoflares – erzeugt werden, die etwa eine Milliarde Mal energieärmer als gewöhnliche Flares sind. “Diese Nanoflares und die energiereichen Teilchen, die möglicherweise mit ihnen in Zusammenhang stehen, sind schwer zu untersuchen, weil wir sie nicht direkt beobachten können”, sagte Testa.
Testa und ihre Kollegen haben bemerkt, dass IRIS eine neue Möglichkeit bereitstellt, um die verräterischen Anzeichen von Nanoflares zu beobachten, indem es die Ausgangspunkte von koronalen Bögen anschaut. Wie der Name vermuten lässt, sind koronale Bögen gewundene Bögen aus heißem Plasma, die sich von der Sonnenoberfläche in die Korona erstrecken und hell im Ultraviolett- und Röntgenbereich leuchten.
IRIS beobachtet nicht das heißeste koronale Plasma in diesen Bögen, das Temperaturen von mehreren Millionen Grad erreichen kann. Stattdessen registriert es die ultravioletten Emissionen des kühleren Plasmas (10.000-100.000 Grad Celsius) an ihren Ausgangspunkten. Obwohl IRIS die koronale Aufheizung nicht direkt sehen kann, offenbart es die Spuren dieser Ereignisse, wenn sie sich als kurzlebige, kleine Aufhellungen an den Ausgangspunkten der Bögen zeigen.
Aus den hochaufgelösten IRIS-Ultraviolettaufnahmen und spektroskopischen Beobachtungen dieser Aufhellungen leitete das Team die Präsenz hochenergetischer Elektronen ab. Mit Computersimulationen modellierten sie die Reaktion des in den Bögen gefangenen Plasmas auf die Energie, die von den energiereichen Elektronen transportiert wurde. Die Simulationen zeigten, dass die Energie wahrscheinlich von Elektronen übertragen wurde, die sich mit rund 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit bewegten.
Die hohe räumliche, zeitliche und spektrale Auflösung von IRIS war entscheidend für die Entdeckung. IRIS kann solare Strukturen auflösen, die nur circa 240 Kilometer groß sind; es hat eine zeitliche Auflösung ein paar Sekunden und besitzt eine spektrale Auflösung, die imstande ist, Plasmaströme mit Geschwindigkeiten von wenigen Kilometern pro Sekunde zu messen.
Der Nachweis hochenergetischer Elektronen, die nicht mit großen Flares in Beziehung stehen, spricht dafür, dass die solare Korona zumindest teilweise von Nanoflares aufgeheizt wird. Die neuen Beobachtungen und Computersimulationen helfen Astronomen auch zu verstehen, wie Elektronen auf solch hohe Geschwindigkeiten und Energien beschleunigt werden. Das ist ein Prozess, der eine wichtige Rolle bei einem breiten Spektrum astrophysikalischer Phänomene spielt – von kosmischen Strahlen bis hin zu Supernova-Überresten. Die Ergebnisse lassen zudem darauf schließen, dass Nanoflares starke, natürliche Teilchenbeschleuniger sind, obwohl ihre Energien etwa eine Milliarde Mal geringer als die von großen Flares sind.
“Wie in der Wissenschaft üblich, wirft diese Arbeit eine ganze Reihe neuer Fragen auf. Wie oft entstehen Nanoflares? Wie häufig sind energiereiche Teilchen in der nicht eruptierenden Korona? Wie unterschiedlich sind die ablaufenden physikalischen Prozesse im Vergleich zu größeren Flares?”, sagte Testa. Die Abhandlung über diese Forschungsarbeit ist Teil einer Spezialausgabe des Journals Science, die sich mit IRIS-Entdeckungen beschäftigt.
Das Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) mit seinem Hauptquartier in Cambridge (Massachusetts) ist ein Gemeinschaftsprojekt des Smithsonian Astrophysical Observatory und des Harvard College Observatory. Wissenschaftler aus sechs Forschungsabteilungen untersuchen hier den Ursprung, die Entwicklung und das endgültige Schicksal des Universums.
Quelle: http://www.cfa.harvard.edu/news/2014-26
(THK)
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