Die Quantenverschränkung scheint näher am Bereich der Science-Fiction zu sein als alles andere in unserer physikalischen Realität. Aber den Gesetzen der Quantenmechanik zufolge ist die Quantenverschränkung, die Einstein einst skeptisch als „spukhafte Fernwirkung“ bezeichnete, tatsächlich real. Die Quantenmechanik ist ein Fachgebiet der Physik, das die Welt auf der Größenskala von Atomen und subatomaren Teilchen beschreibt.
Man stelle sich zwei Teilchen an entgegengesetzten Orten im Universum vor, getrennt durch mehrere Milliarden Lichtjahre. Die Quantentheorie sagt voraus, das diese zwei Teilchen miteinander verschränkt werden können, ungeachtet der großen Entfernung zwischen ihnen. Das bedeutet, jede Messung, die bei dem einen Teilchen vorgenommen wird, wird sofort das Ergebnis einer zukünftigen Messung bei dem anderen Teilchen festlegen. In diesem Fall können die Ergebnisse der Messungen von jedem Mitglied des Paares hochgradig verschränkt sein.
Wenn sich das Universum stattdessen so verhält, wie Einstein es sich vorstellte – mit Teilchen, die ihre eigenen definierten Eigenschaften vor der Messung besitzen und mit lokalen Ursachen, die nur fähig sind, lokale Auswirkungen hervorzurufen -, dann sollte es eine obere Grenze geben, bis zu welchem Grad die Messungen der einzelnen Mitglieder eines Teilchenpaares verschränkt werden können. Vor über 50 Jahren beschrieb der Physiker John Bell diese obere Grenze, die jetzt als Bellsche Ungleichung bekannt ist.
In zahlreichen früheren Experimenten haben Physiker Verschränkungen zwischen Teilchen beobachtet, die das von der Bellschen Ungleichung gesetzte Limit überschreiten. Das deutet darauf hin, dass die Teilchen tatsächlich verschränkt sind, genau wie von der Quantentheorie vorhergesagt. Aber jeder dieser Tests unterlag verschiedenen „Schlupflöchern“ – das sind Szenarien, die für die beobachtete Verschränkung verantwortlich sein könnten, auch wenn die Welt nicht von der Quantenmechanik regiert würde.
Jetzt haben sich Physiker des Massachusetts Institute of Technology (MIT), der Universität Wien und anderer Institute einem Schlupfloch in Tests der Bellschen Ungleichung angenommen und eine deutliche Demonstration für die Quantenverschränkung präsentiert, wobei die Anfälligkeit gegenüber diesem Schlupfloch entscheidend begrenzt ist. Es handelt sich um das sogenannte Schlupfloch der freien Wahl.
„Der Boden, der für die Skeptiker der Quantenmechanik übrig bleibt, ist beträchtlich geschrumpft“, sagte David Kaiser, der Germeshausen Professor of the History of Science und Physik-Professor am MIT. „Wir sind ihn nicht los, aber wir haben ihn um 16 Größenordnungen geschrumpft.“
Ein Forschungsteam mit Kaiser, Alan Guth (Victor F. Weisskopf Professor of Physics am MIT und Forscher am Laboratory for Nuclear Science), Andrew Friedman (Forscher am MIT) und Kollegen der Universität Wien und anderer Institute hat seine Ergebnisse am 6. Februar 2017 im Journal Physical Review Letters veröffentlicht.
Die Tür für Alternativen der Quantentheorie schließen
Das Schlupfloch der freien Wahl bezieht sich auf die Theorie, dass Experimentatoren die totale Freiheit bei der Wahl des Aufbaus für ihr Experiment genießen, von der Art der miteinander zu verschränkenden Teilchen bis hin zu den Messungen, die sie an den Teilchen vornehmen. Aber was ist, wenn es noch andere Faktoren oder verborgene Variablen gäbe, die mit dem Aufbau des Experiments korrelieren und die Ergebnisse so erscheinen lassen, als wären sie quantenverschränkt, obwohl sie in Wirklichkeit die Folge irgendeines Nichtquanten-Mechanismus sind?
Physiker haben versucht, dieses Schlupfloch mit extrem kontrollierten Experimenten anzugehen, in denen sie ein Paar verschränkter Photonen aus einer einzigen Quelle produzieren. Die beiden Photonen werden dann zu zwei unterschiedlichen Detektoren geschickt, wo die Eigenschaften jedes Photons gemessen werden, um den Grad ihrer Korrelation oder ihrer Verschränkung zu bestimmen. Um die Möglichkeit auszuschließen, dass versteckte Variablen die Ergebnisse beeinflusst haben könnten, haben Forscher an jedem Detektor Zufallsgeneratoren benutzt, mit denen in dem Sekundenbruchteil zwischen dem Verlassen der Quelle und der Ankunft der Photonen am Detektor entschieden wird, welche Eigenschaft jedes Photons gemessen werden soll.
Aber es gibt eine (wenn auch geringe) Wahrscheinlichkeit, dass versteckte Variablen oder Nichtquanten-Einflüsse einen Zufallsgenerator beeinflussen könnten, bevor er seine Entscheidung an den Photonendetektor weitergibt.
„Im Herzen der Quantenverschränkung gibt es einen hohen Korrelationsgrad bei den Ergebnissen der Messungen dieser Teilchenpaare“, sagte Kaiser. „Aber was ist, wenn ein Skeptiker oder Kritiker darauf besteht, dass diese Korrelationen nicht daran liegen, dass diese Teilchen sich auf quantenmechanische Weise verhalten? Wir wollen die Frage angehen, ob es irgendeine andere Möglichkeit gibt, dass diese Korrelationen ohne unsere Kenntnis eingebracht worden sein könnten.“
Anvisierte Sterne
Im Jahr 2014 schlugen Kaiser, Friedman und ihr Kollege Jason Gallicchio (jetzt Professor am Harvey Mudd College) ein Experiment vor, das anstelle von Zufallsgeneratoren auf der Erde alte Photonen von astronomischen Quellen wie Sternen oder Quasaren als „kosmische Einstellungsgeneratoren“ verwendet, um die Messungen festzulegen, die an jedem verschränkten Photon vorgenommen werden sollen. Dieses kosmische Licht würde von sehr weit entfernten Objekten auf der Erde eintreffen – irgendwo zwischen Dutzenden und Milliarden Lichtjahren entfernt.
Wenn irgendwelche versteckten Variablen mit dem Zufallscharakter bei der Wahl der Messungen interagiert hätten, dann hätten sie diese Veränderungen in Gang setzen müssen, bevor das Licht die kosmische Quelle verließ – lange bevor das Experiment auf der Erde durchgeführt wurde.
In dieser neuen Abhandlung haben die Forscher ihre Theorie erstmals experimentell demonstriert. Das Team, darunter Professor Anton Zeilinger und seine Gruppe an der Universität Wien und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, baute auf dem Dach eines Universitätslabors in Wien eine Quelle auf, um hochgradig verschränkte Photonenpaare zu produzieren. Bei jedem Durchlauf des Experiments schossen sie die verschränkten Photonen in entgegengesetzte Richtungen auf Detektoren, die mehrere Häuserblöcke entfernt auf anderen Gebäuden standen: auf der Österreichischen Nationalbank und einem zweiten Universitätsgebäude.
Die Forscher bauten außerdem Teleskope an beiden Detektorstandorten auf und richteten sie auf Sterne, von denen der nächstgelegene rund 600 Lichtjahre entfernt ist. Vorher hatten sie festgestellt, dass die Sterne genügend Photonen in ihre Richtung senden würden.
„In diesen Nächten waren die Sterne ausgerichtet“, sagte Friedman. „Und bei hellen Sternen wie diesen kann die Anzahl der eintreffenden Photonen wie ein Feuerlöschschlauch sein. Dafür haben wir diese sehr schnellen Detektoren, welche die kosmischen Photonen in Zeitskalen im Subnanosekundenbereich registrieren können.“
„Nicht im Einklang“ mit Einstein
In den wenigen Mikrosekunden, bevor ein verschränktes Photon an einem Detektor eintraf, nutzten die Forscher jedes Teleskop, um schnell eine Eigenschaft eines ankommenden stellaren Photons zu messen. In diesem Fall ging es darum, ob seine Wellenlänge rötlicher oder bläulicher war als eine bestimmte Referenzwellenlänge. Dann verwendeten sie diese zufällige Eigenschaft des stellaren Photons, das vor 600 Jahren in seinem Heimatstern erzeugt wurde, um festzulegen, welche Eigenschaft der eintreffenden verschränkten Photonen gemessen werden sollte.
Hier signalisierten rötliche stellare Photonen einem Detektor, die Polarisation eines verschränkten Photons in eine bestimmte Richtung zu messen. Ein blaues stellares Photon würde das Instrument darauf festlegen, die Polarisation des verschränkten Teilchens entlang einer anderen Richtung zu messen.
Das Team führte zwei Experimente durch, wobei jeder Durchlauf nur drei Minuten dauerte. In jedem Fall maßen die Wissenschaftler etwa 100.000 Paare verschränkter Photonen. Sie stellten fest, dass die Polarisationsmessungen der Photonenpaare hochgradig verschränkt waren – weit höher als die von der Bellschen Ungleichung gesetzte Grenze. Das kann am leichtesten durch die Quantenmechanik erklärt werden.
„Wir finden Antworten, die bis zu einem hohen Grad mit der Quantenmechanik übereinstimmen und nicht im Einklang mit einer Einsteinähnlichen Vorhersage stehen“, sagte Kaiser. Die Ergebnisse repräsentieren Verbesserungen um 16 Größenordnungen im Vergleich zu früheren Ansätzen, um das Schlupfloch der freien Wahl anzugehen.
„Alle früheren Experimente könnten diesem verrückten Schlupfloch unterlegen und die Ergebnisse Mikrosekunden vor jedem Experiment verändert haben – verglichen mit unseren 600 Jahren“, sagte Kaiser. „Das ist ein Unterschied von einer Millionstel Sekunde zu 600 Jahren voller Sekunden – 16 Größenordnungen.“
„Dieses Experiment stößt den Zeitpunkt zurück, bei dem die Veränderung hätte eintreten können“, sagte Guth. „Wir sagen folgendes: Damit irgendein verrückter Mechanismus die Quantenmechanik in unserem Experiment simulieren kann, müsste dieser Mechanismus vor 600 Jahren an Ort und Stelle gewesen sein, um für unser Experiment zu planen und um den [stellaren] Photonen genau die richtigen Eigenschaften mitzugeben, so dass wir die Ergebnisse aus der Quantenmechanik reproduzieren. Es ist also sehr weit hergeholt.“
„Es gibt noch eine zweite, gleichermaßen weit hergeholte Möglichkeit“, sagte Michael Hall, ein Seniorwissenschaftler von der Griffith University in Brisbane (Australien).
„Wenn Photonen von fernen Sternen die Instrumente erreichen, die die Messeinstellungen festlegen, dann ist es möglich, dass diese Instrumente irgendwie die Farben [Wellenlängen] der Photonen verändern, und zwar auf eine Weise, die mit dem Laser korreliert, welcher die Verschränkung erzeugt“, sagte Hall, der nicht an der Studie beteiligt war.
„Das würde nur eine zehn Mikrosekunden alte Verbindung zwischen den Instrumenten und dem Laser erfordern. Allerdings würde die Theorie, dass Photonen bei ihrer Beobachtung nicht ihre ‚wahren Farben‘ zeigen, die beobachtende Astronomie und den zugrundeliegenden Elektromagnetismus umstürzen.“
Diese Forschungsarbeit wurde teilweise von der U.S. National Science Foundation und der Österreichischen Akademie der Wissenschaften unterstützt.
(THK)
Antworten