Marsforschung: Nach dem Methan-Rätsel folgt das Sauerstoff-Rätsel

Sonnenuntergang am Landeort von Viking 1, 1976. (Credits: NASA / JPL)
Sonnenuntergang am Landeort von Viking 1, 1976. (Credits: NASA / JPL)

Erstmals in der Geschichte der Raumfahrt haben Wissenschaftler die saisonalen Veränderungen der Gase in der Luft direkt über der Oberfläche des Gale-Kraters auf dem Mars gemessen. Sie bemerkten etwas Verblüffendes: Sauerstoff – das Gas, das viele Lebewesen auf der Erde zum Atmen brauchen –, verhält sich auf eine Art und Weise, die Wissenschaftler bisher nicht mit irgendeinem bekannten chemischen Prozess erklären können.

Im Verlauf von drei Marsjahren (oder fast sechs Erdjahren) nahm ein Instrument des mobilen Chemielabors SAM (Sample Analysis at Mars) im Bauch des NASA-Marsrovers Curiosity die Luft innerhalb des Gale-Kraters auf und analysierte deren Zusammensetzung. Die von SAM erbrachten Ergebnisse bestätigen die Zusammensetzung der Marsatmosphäre an der Oberfläche: 95 Volumenprozent Kohlenstoffdioxid (CO2), 2,6 Volumenprozent molekularer Stickstoff (N2), 1,9 Volumenprozent Argon (Ar), 0,16 Volumenprozent molekularer Sauerstoff (O2) und 0,06 Volumenprozent Kohlenstoffmonoxid (CO).

Sie zeigten auch, wie die Moleküle in der Marsluft sich vermischen und mit den Veränderungen des Luftdrucks im Laufe des Jahres zirkulieren. Diese Veränderungen werden verursacht, wenn Kohlenstoffdioxidgas im Winter über den Polen friert und dadurch den Luftdruck auf dem Planeten verringert, weil sich die Luft neu verteilt, um ein Druckgleichgewicht aufrechtzuerhalten. Wenn Kohlenstoffdioxid im Frühling und Sommer verdampft und sich auf dem ganzen Planeten verteilt, erhöht sich der Luftdruck.

Innerhalb dieser Umgebung stellten die Wissenschaftler fest, dass Stickstoff und Argon einem vorhersagbaren saisonalen Muster folgen und dass deren Konzentrationen im Gale-Krater relativ zum Kohlendioxidgehalt in der Luft im Laufe des Jahres abnehmen und zunehmen. Beim Sauerstoff erwarteten sie das gleiche. Aber das tat er nicht. Stattdessen stieg der Gehalt des Gases in der Luft während des Frühlings und Sommers um bis zu 30 Prozent an und sank dann im Herbst auf ein Level zurück, das durch bekannte chemische Prozesse vorhergesagt wurde. Dieses Muster wiederholte sich jeden Frühling, obwohl die Menge des in die Atmosphäre abgegebenen Sauerstoffs variierte. Das spricht dafür, dass etwas ihn produziert und dann wegnimmt.

Saisonale Veränderungen des Sauerstoffgehaltes in der Marsluft im Gale-Krater. (Credits: Melissa Trainer / Dan Gallagher / NASA Goddard)
Saisonale Veränderungen des Sauerstoffgehaltes in der Marsluft im Gale-Krater. (Credits: Melissa Trainer / Dan Gallagher / NASA Goddard)

“Als wir das zum ersten Mal sahen, war es einfach verblüffend”, sagte Sushil Atreya, Professor für Klima- und Weltraumforschung an der University of Michigan in Ann Arbor. Atreya ist Co-Autor einer Abhandlung zu diesem Thema, die am 12. November 2019 im Journal of Geophysical Research: Planets veröffentlicht wurde.

Als die Wissenschaftler das Sauerstoff-Rätsel entdeckten, machten sich Mars-Experten an die Arbeit, um es zu erklären. Als erstes überprüften sie mehrmals die Genauigkeit des SAM-Instruments, das sie zur Messung des Gases nutzten: das Quadrupole Mass Spectrometer. Das Instrument war in Ordnung. Sie zogen die Möglichkeit in Betracht, dass Kohlenstoffdioxid- oder Wassermoleküle bei der Spaltung in der Atmosphäre Sauerstoff freigesetzt und so den kurzlebigen Anstieg hervorgerufen haben könnten. Aber es würde fünfmal mehr Wasser auf dem Mars erfordern, um den zusätzlichen Sauerstoff zu produzieren. Und Kohlenstoffdioxid spaltet sich zu langsam auf, um den Sauerstoff in so kurzer Zeit zu erzeugen.

Was ist mit dem Sauerstoffrückgang? Könnte Sonnenstrahlung Sauerstoffmoleküle in zwei Atome aufgespalten haben, die in den Weltraum entwichen? Nein, schlussfolgerten die Wissenschaftler, weil es mindestens zehn Jahre dauern würde, bis der Sauerstoff durch diesen Prozess verschwunden wäre.

“Wir können das nicht erklären” sagte Melissa Trainer, eine Planetenforscherin am Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland), die Leiterin der Studie. “Die Tatsache, dass sich das Verhalten des Sauerstoffs nicht jede Saison perfekt wiederholt, lässt uns denken, dass es kein Sachverhalt ist, der mit Atmosphärendynamik zu tun hat. Es muss eine chemische Quelle sein, die wir noch nicht in Betracht ziehen können.”

Für Wissenschaftler, die den Mars untersuchen, gleicht die Sauerstoff-Geschichte kurioserweise der des Methans. Methan ist in der Luft im Gale-Krater in geringen Mengen (im Durchschnitt 0.00000004 Prozent) ständig vorhanden, so dass es auch mit den empfindlichsten Instrumenten auf dem Mars gerade noch nachweisbar ist. Trotzdem wird es von SAMs Tunable Laser Spectrometer gemessen. Laut dem Instrument erhöht sich der Methangehalt in den Sommermonaten unerklärlicherweise um etwa 60 Prozent, während es saisonal bedingt ansteigt und abfällt. Der Methangehalt steigt außerdem auch wahllos dramatisch an. Wissenschaftler versuchen herauszufinden, warum das so ist.

Mit den neuen Ergebnissen bezüglich des Sauerstoffgehalts fragt sich Trainers Team, ob eine ähnliche Chemie, wie sie die natürlichen saisonalen Veränderungen des Methangehalts verursacht, auch die des Sauerstoffgehalts auslösen könnte. Zumindest gelegentlich scheinen die beiden Gase paarweise zu fluktuieren.

“Wir beginnen diese verlockende Korrelation zwischen Methan und Sauerstoff über einen langen Zeitraum des Marsjahres zu sehen”, sagte Atreya. “Ich denke, da ist etwas dran. Ich habe nur noch keine Antworten. Niemand hat sie.”

Saisonale Veränderungen des Sauerstoff- und Methangehaltes in der Marsluft im Gale-Krater. (Credits: Melissa Trainer / Dan Gallagher / NASA Goddard)
Saisonale Veränderungen des Sauerstoff- und Methangehaltes in der Marsluft im Gale-Krater. (Credits: Melissa Trainer / Dan Gallagher / NASA Goddard)

Sauerstoff und Methan können sowohl biologisch (beispielsweise durch Mikroben) als auch abiotisch (durch chemische Prozesse zwischen Wasser und Gesteinen) produziert werden. Wissenschaftler ziehen alle Optionen in Betracht, auch wenn sie keine überzeugenden Belege für biologische Aktivitäten auf dem Mars haben. Curiosity hat keine Instrumente, die definitiv sagen können, ob die Quelle des Methans oder des Sauerstoffs auf dem Mars biologisch oder geologisch ist. Wissenschaftler erwarten, dass nicht-biologische Erklärungen wahrscheinlicher sind und arbeiten intensiv daran, sie vollständig zu verstehen.

Trainers Team zog den Marsboden als eine Quelle des zusätzlichen Sauerstoffs in der Frühlingszeit in Betracht. Er ist reich an dem Element, das in der Form von Verbindungen wie Wasserstoffperoxid und Perchloraten vorkommt. Ein Experiment der Viking-Lander zeigte vor Jahrzehnten, dass Hitze und Feuchtigkeit Sauerstoff aus dem Marsboden freisetzen könnten. Aber dieses Experiment fand unter Bedingungen statt, die sich vom Mars zur Frühlingszeit recht stark unterscheiden, und erklärt neben anderen Problemen auch nicht das Absinken des Sauerstoffgehalts. Andere mögliche Erklärungen ergeben momentan auch keinen Sinn. Zum Beispiel könnte hochenergetische Strahlung zusätzlichen Sauerstoff im Boden produzieren, aber es würde eine Million Jahre dauern, bis sich genug Sauerstoff im Boden angesammelt hat, um den in einem einzigen Frühling gemessenen Anstieg hervorzubringen.

“Wir konnten keinen Prozess identifizieren, der die benötigte Sauerstoffmenge produziert, aber wir denken, dass es etwas im oberflächennahen Boden ist, das sich saisonal verändert, weil es in der Atmosphäre nicht genug Sauerstoffatome gibt, um das von uns beobachtete Verhalten auszulösen”, sagte Timothy McConnochie von der University of Maryland in College Park, ein anderer Co-Autor der Studie.

Die bislang einzigen Raumsonden mit Instrumenten, die die Zusammensetzung der Marsluft nahe der Oberfläche messen konnten, waren die beiden Viking-Lander der NASA, die 1976 auf dem Planeten landeten. Die Viking-Experimente dauerten jedoch nur ein paar Marstage, so dass sie keine saisonalen Muster der verschiedenen Gase erkennen konnten. Die neuen SAM-Messungen sind die ersten, die das können.

Das SAM-Team wird die Messung atmosphärischer Gase fortsetzen, so dass Wissenschaftler in jeder Jahreszeit mehr und genauere Daten sammeln können. In der Zwischenzeit hoffen Trainer und ihr Team, dass andere Mars-Experten an der Lösung des Sauerstoff-Rätsels arbeiten werden.

“Dies ist das erste Mal, dass wir dieses interessante Verhalten über mehrere Jahre hinweg beobachten. Wir verstehen es nicht ganz”, sagte Trainer. “Für mich ist es ein offener Aufruf an all die klugen Leute dort draußen, die daran interessiert sind: Schaut, was ihr herausfinden könnt.”

Quelle

(THK)

Werbung

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*