NICER liefert die bislang besten Pulsar-Messungen

Das NICER-Teleskop an Bord der Internationalen Raumstation ISS. (Credits: NASA)
Das NICER-Teleskop an Bord der Internationalen Raumstation ISS. (Credits: NASA)

Astrophysiker schreiben dank des Neutron star Interior Composition Explorer (NICER) Teleskops an Bord der Internationalen Raumstation ISS das Lehrbuchbild von Pulsaren neu – das sind die dichten, rotierenden Überreste explodierter Sterne. Mit Daten des NICER-Teleskops haben Wissenschaftler die ersten präzisen und zuverlässigen Messungen der Größe und Masse eines Pulsars vorgenommen, sowie die erste Karte von Hotspots auf seiner Oberfläche erstellt.

Der betreffende Pulsar J0030+0451 (oder kurz J0030) liegt in einer abgelegenen Region des Weltraums, rund 1.100 Lichtjahre entfernt in Richtung des Sternbildes Pisces (Fische). Bei der Messung der Masse und Abmessungen des Pulsars offenbarte NICER, dass die Formen und Positionen von Millionen Grad heißen “Hotspots” auf der Oberfläche des Pulsars viel seltsamer sind als allgemein angenommen.

“Von seinem Beobachtungspunkt an Bord der Internationalen Raumstation aus revolutioniert NICER unser Wissen über Pulsare”, sagte Paul Hertz, der Direktor der Abteilung für Astrophysik am NASA-Hauptquartier in Washington. “Pulsare wurde vor mehr als 50 Jahren als “Leuchtmarken” entdeckt – es sind Sterne, die zu dichten Kernen kollabiert sind und mit Nichts auf der Erde vergleichbar sind. Mit NICER können wir die Natur dieser dichten Überreste auf eine Weise untersuchen, die bis jetzt unmöglich schien.”

Eine Reihe von Abhandlungen, welche die NICER-Beobachtungen von J0030 analysieren, erscheint in einer Schwerpunktausgabe der Astrophysical Journal Letters und ist online verfügbar.

Wenn ein massereicher Stern stirbt, verbraucht er seinen Brennstoff, kollabiert unter seinem eigenen Gewicht und explodiert als Supernova. Diese Ereignisse können Neutronensterne zurücklassen, die mehr als eine Sonnenmasse in einer Kugel mit dem Durchmesser Manhattans vereint. Pulsare, eine Klasse von Neutronensternen, rotieren bis zu mehrere hundert Mal pro Sekunde und emittieren mit jeder Umdrehung Energie in unsere Richtung. Der Pulsar J0030 rotiert 205 Mal pro Sekunde.

Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler herauszufinden, wie genau Pulsare funktionieren. In dem einfachsten Modell besitzt ein Pulsar ein starkes Magnetfeld, das ähnlich wie das Magnetfeld eines gewöhnlichen Stabmagneten aussieht. Das Feld ist so stark, dass es Teilchen von der Oberfläche des Pulsars wegreißt und sie beschleunigt. Einige Teilchen folgen dem Magnetfeld und treffen die entgegengesetzte Seite, wobei sie die Oberfläche aufheizen und Hotspots an den Magnetpolen erschaffen. Der gesamte Pulsar leuchtet schwach im Röntgenbereich, aber die Hotspots sind heller. Wenn das Objekt rotiert, bewegen sich die Hotspots in unser Blickfeld und wieder heraus, ähnlich wie die Strahlen eines Leuchtturms, was extrem regelmäßige Veränderungen in der Röntgenhelligkeit des Objekts produziert. Aber die neuen NICER-Beobachtungen von J0030 zeigen, dass Pulsare nicht so einfach sind.

Mit NICER-Beobachtungen zwischen Juli 2017 und Dezember 2018 kartierten zwei Forschungsgruppen die Hotspots von J0030 unter Verwendung unabhängiger Methoden, die zu ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich seiner Masse und Größe führten. Ein Team unter Leitung von Thomas Riley, einem Doktoranden für computergestützte Astrophysik und seiner Promotionsbetreuerin Anna Wars, Professorin für Astrophysik an der University of Amsterdam, bestimmte die Masse des Pulsars zu 1,3 Sonnenmassen und den Durchmesser auf 25,4 Kilometer. Cole Miller, Professor für Astronomie an der University of Maryland (UMD), leitete das zweite Team und kam auf einen Massenwert von 1,4 Sonnenmassen bei einem etwas größeren Durchmesser von 26 Kilometern.

“Als wir mit der Arbeit über J0030 begannen, war unser Verständnis dessen, wie man Pulsare simuliert, unvollständig, und das ist es noch”, sagte Riley. “Aber dank der detaillierten Daten von NICER, Open-Source-Hilfsmitteln, leistungsfähigen Computern und großartigem Teamwork haben wir jetzt einen Rahmen für die Entwicklung realistischerer Modelle dieser Objekte.”

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Video-Link: https://youtu.be/zukBXehGHas

 

Ein Pulsar ist so dicht, dass seine Gravitation die umgebende Raumzeit verzerrt – das “Gefüge” des Universums, wie es von Einsteins Relativitätstheorie beschrieben wird. Ähnlich dehnt eine Bowlingkugel die Oberfläche eines Trampolins. Die Raumzeit wird so verzerrt, dass das Licht von abgewandten Seite des Pulsars gebeugt und wieder in unsere Richtung umgelenkt wird. Das lässt den Stern größer aussehen, als er ist. Der Effekt bedeutet außerdem, dass die Hotspots möglicherweise nie ganz verschwinden, während sie auf die abgewandte Seite des Sterns rotieren. NICER misst die Ankunft jedes Röntgensignals von einem Pulsar mit einer Toleranz von weniger als hundert Nanosekunden. Das ist eine Genauigkeit, die 20 Mal besser ist, als davor möglich war, deshalb können Wissenschaftler erstmals Nutzen aus diesem Effekt ziehen.

“NICERs beispiellose Röntgenmessungen erlaubten uns, die bislang präzisesten und zuverlässigsten Berechnungen der Größe eines Pulsars durchzuführen, mit einer Unsicherheit von weniger als zehn Prozent”, sagte Miller. “Das gesamte NICER-Team hat einen wichtigen Beitrag zu der grundlegenden Physik geliefert, die in irdischen Laboratorien unmöglich zu untersuchen ist.”

Von unserer Perspektive auf der Erde aus blicken wir auf die Nordhalbkugel von J0030. Als die Teams die Formen und Positionen der Hotspots auf J0030 kartierten, erwarteten sie einen vorzufinden, der auf dem Lehrbuchbild von Pulsaren basiert, aber sie fanden nichts. Stattdessen identifizierten die Forscher bis zu drei Hotspots, die alle in auf der Südhalbkugel liegen.

Riley und seine Kollegen führten Simulationen mit überlagernden Kombinationen aus verschiedenen Größen und Temperaturen durch, um die Röntgensignale zu reproduzieren. Die Durchführung ihrer Analysen auf dem niederländischen Supercomputer Cartesius dauerte weniger als einen Monat, aber hätte auf einem modernen Desktop-Rechner etwa zehn Jahre gedauert. Ihre Lösung identifiziert zwei Hotspots – einer klein und kreisförmig und der andere länger und bogenförmig.

Millers Gruppe führte vergleichbare Simulationen durch, allerdings auf dem Deepthought2-Supercomputer der University of Maryland. Sie fanden zwei mögliche und gleich wahrscheinliche Hotspot-Konfigurationen: Eine besteht aus zwei Ovalen, die mit dem von Rileys Team gefundenen Muster gut übereinstimmen. Die zweite Lösung ergänzt einen dritten, kühleren Hotspot etwas abseits des südlichen Rotationspols.

Frühere theoretische Voraussagen sprachen dafür, dass die Positionen und Formen der Hotspots variieren könnten, aber die Beobachtungen von J0030 sind die ersten, die diese Oberflächenstrukturen kartieren. Wissenschaftler versuchen noch festzustellen, warum die Hotspots auf J0030 so angeordnet und geformt sind, wie sie es sind, aber zu diesem Zeitpunkt ist klar, dass die Magnetfelder von Pulsaren komplexer sind als das traditionelle Modell mit zwei Polen.

NICERs wissenschaftliches Hauptziel ist es, die Massen und Größen verschiedener Pulsare präzise zu bestimmen. Mit diesen Informationen werden Forscher endlich imstande sein, den Materiezustand in den Kernen von Neutronensternen zu entschlüsseln – Materie, die durch unfassbare Druckverhältnisse und Dichten komprimiert wurde, was auf der Erde nicht nachgebildet werden kann.

“Es ist bemerkenswert und auch sehr beruhigend, dass die beiden Teams für J0030 mit unterschiedlichen Simulationsansätzen derart ähnliche Größen, Massen und Hotspot-Muster erhielten”, sagte Zaven Arzoumanian vom Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland), der wissenschaftliche Leiter des NICER-Projekts. “Es sagt uns, dass NICER auf dem richtigen Weg ist, um uns bei der Beantwortung einer drängenden Frage in der Astrophysik zu helfen: Welche Form nimmt Materie in den ultradichten Kernen von Neutronensternen an?”

Quelle

(THK)

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