Etwa 85 Prozent der Materie im Universum emittiert kein Licht oder irgendeine andere bekannte Art von Strahlung und wird daher als Dunkle Materie bezeichnet. Eine ihrer anderen bemerkenswerten Eigenschaften ist, dass sie mit anderer Materie nur über die Gravitation wechselwirkt. Beispielsweise trägt sie keine elektromagnetische Ladung. Dunkle Materie wird auch als dunkel bezeichnet, weil sie rätselhaft ist: Sie besteht nicht aus Atomen oder deren üblichen Bestandteilen wie Elektronen oder Protonen oder irgendeiner Art von bekannten Elementartteilchen.
Weil Dunkle Materie mit Abstand die dominante Komponente der Materie im Universum ist, hat ihre Verteilung und Gravitation die Entwicklung von galaktischen Strukturen und die Verteilung der kosmischen Mikrowellenhintergrundstrahlung maßgeblich beeinflusst. In der Tat verlieh die bemerkenswerte Übereinstimmung zwischen den Werten wichtiger kosmische Parameter (wie der Expansionsrate des Universums), die anhand zweier komplett verschiedener kosmischer Strukturen (Galaxien und Mikrowellenhintergrund) unabhängig voneinander abgeleitet wurden, den Urknallmodellen Gewicht. In diesen Modellen spielt die Dunkle Materie eine bedeutende Rolle.
Physiker haben versucht, sich neue Teilchenarten vorzustellen, die mit den bekannten Gesetzen des Universums konsistent sind, um Dunkle Materie zu erklären, aber bislang wurde keine bestätigt. Eine erstaunliche Möglichkeit für ein neues Teilchen ist das sogenannte sterile Neutrino. Momentan sind drei Neutrinotypen bekannt. Alle interagieren mit Materie durch die Gravitation und durch die schwache Wechselwirkung (die schwächste der vier Grundkräfte in der Natur).
Ursprünglich hatte man vermutet, dass keines von ihnen eine Masse besitzt, so wie es bei Photonen der Fall ist. Aber vor etwa 20 Jahren entdeckten Physiker, dass sie eine geringe Masse besitzen – etwa eine Million Mal geringer als die Elektronenmasse, aber immer noch genug, um ein großes Problem für das sogenannte Standardmodell der Teilchenphysik darzustellen. Eine mögliche Lösung wäre die Existenz eines massereicheren Neutrinos, das vielleicht tausend Mal größer ist – das sterile Neutrino. Dieses würde nicht durch die schwache Wechselwirkung interagieren, aber es wurde bislang nicht nachgewiesen.
Astronomen erkannten, dass diese Teilchen beim gelegentlichen Zerfall ein nachweisbares Röntgenphoton emittieren könnten, wenn Dunkle Materie aus sterilen Neutrinos bestünde. Vor rund sieben Jahren berichteten Astronomen über die Entdeckung einer seltsamen, schwachen Emission im Röntgenbereich, die aus Galaxienhaufen stammte, in denen Dunkle Materie vorhanden ist. Sie vermuteten, dass diese Emission die Signatur des sterilen Neutrinos sein könnte. In den folgenden Jahren gab es viele Versuche, um den Nachweis zu bestätigen oder die Beobachtung instrumentellen oder nicht-astronomischen Effekten zuzuschreiben, aber der Erfolg war nur durchwachsen.
Die Astronomen Esra Bulbul und Francesca Civano vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) und ihre Kollegen haben jetzt eine umfassende Archivstudie von Daten des Weltraumteleskops Chandra abgeschlossen, in dessen Rahmen sie nach diesen Emissionen suchten. Sie fanden keine, aber ihre neue Analyse stimmt mit anderen kürzlich veröffentlichten Grenzen überein und limitiert den möglichen Zerfallscharakter des sterilen Neutrinos unter manchen Bedingungen bis um den Faktor Zwei. Aber komplett ausschließen können sie es nicht.
Abhandlung: “Probing the Milky Way’s Dark Matter Halo for the 3.5keV Line” von Dominic Sicilian, Nico Cappelluti, Esra Bulbul, Francesca Civano, Massimo Moscetti und Christopher S. Reynolds, The Astrophysical Journal, 905, 146, 2020.
(THK)
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