Astronomen haben mit dem Weltraumteleskop Chandra einen 64 Billionen Kilometer langen Strahl aus Materie und Antimaterie fotografiert. Der rekordbrechende Strahl stammt von einem Pulsar, einem schnell rotierenden, kollabierten Stern mit einem starken Magnetfeld. Mit diesen immensen Ausmaßen könnte dieser Strahl helfen, die überraschend große Anzahl an Positronen in der Milchstraßen-Galaxie zu erklären. Positronen sind die Antimaterie-Pendants zu Elektronen.
Astronomen entdeckten den Strahl oder das Filament im Jahr 2020, aber kannten zu dem Zeitpunkt nicht seine volle Länge, weil er sich über den Rand des Chandra-Detektors hinaus erstreckte. Neue Chandra-Beobachtungen desselben Forscherteams vom Februar und November 2021 zeigen, dass das Filament etwa dreimal länger ist als ursprünglich beobachtet. Das Filament erstreckt sich am Himmel über die Hälfte des scheinbaren Vollmonddurchmessers, was es hier auf der Erde zum bisher längsten Strahl eines Pulsars macht.
„Es ist erstaunlich, dass ein Pulsar von nur 16 Kilometern Durchmesser eine derart große Struktur produzieren kann, die wir aus tausenden Lichtjahren Entfernung sehen können“, sagte der Studienleiter Martijn de Vries von der Stanford University in Palo Alto (Kalifornien). „In dem gleichen relativen Maßstab betrachtet, wäre der Pulsar 100 Mal kleiner als das kleinste mit dem bloßen Auge sichtbare Objekt und das Filament würde sich von New York bis Los Angeles erstrecken.“
Der Pulsar trägt die Bezeichnung PSR J2030+4415 und liegt etwa 1.600 Lichtjahre von der Erde entfernt. Diese stadtgroßen Objekte rotieren ungefähr dreimal pro Sekunde – schneller als die meisten Deckenventilatoren. Dieses Ergebnis könnte neue Einblicke in die Quelle der Antimaterie in der Milchstraßen-Galaxie gewähren. Antimaterie gleicht normaler Materie, besitzt aber eine gegenteilige elektrische Ladung. Beispielsweise ist ein Positron das positiv geladene Äquivalent des Elektrons.
Der Großteil des Universums besteht aus normaler Materie und nicht aus Antimaterie. Wissenschaftler finden jedoch weiterhin Belege für eine relativ große Anzahl Positronen in den Detektoren auf der Erde, was zu der Frage führt: Was sind die möglichen Quellen für diese Antimaterie?
Die Autoren der neuen Chandra-Studie vermuten, dass Pulsare wie PSR J2030+4415 eine Antwort sein könnten. Die Kombination zweier Extreme – schnelle Rotation und starke Magnetfelder der Pulsare – führt zur Beschleunigung von Teilchen und hochenergetischer Strahlung, die Elektron-Positron-Paare erzeugt. Der gewöhnliche Prozess der Umwandlung von Masse in Energie, von Einstein in seiner berühmten Gleichung E=m*c2 dargestellt, wird umgekehrt und Energie wird in Masse umgewandelt.
Der Pulsar könnte diese Positronen in die Galaxie katapultieren. Pulsare erzeugen Winde aus geladenen Teilchen, die normalerweise innerhalb ihrer starken Magnetfelder begrenzt sind. Der Pulsar bewegt sich mit rund 1,6 Millionen Kilometern pro Stunde durch den interstellaren Raum, wobei der Wind hinter ihm liegt. Vor dem Pulsar befindet sich eine Bugstoßwelle ähnlich dem aufgetürmten Wellenberg vor einem fahrenden Schiff. Vor etwa 20-30 Jahren schien die Bewegung der Bugstoßwelle jedoch angehalten zu haben und der Pulsar schloss zu ihr auf. Das resultierte in einer Wechselwirkung mit dem interstellaren Magnetfeld, so dass es fast in einer geraden Linie von links nach rechts verläuft.
„Das verursachte wahrscheinlich das Entweichen von Teilchen“, sagte der Co-Autor Roger Romani von der Stanford University. „Das Magnetfeld der Pulsarwinde verband sich mit dem interstellaren Magnetfeld und die hochenergetischen Elektronen und Positronen entwichen durch eine ‚Düse‘, die durch den Zusammenschluss entstand.“
Als sich die Teilchen dann mit fast einem Drittel der Lichtgeschwindigkeit entlang der Feldlinie des interstellaren Magnetfeldes bewegten, leuchteten sie im Röntgenbereich auf. Dadurch entstand das lange Filament, das von Chandra beobachtet wurde.
Video-Link: https://youtu.be/rEJWla2dwNc
Astronomen haben bereits früher schon große Halos um nahe Pulsare im Gammabereich beobachtet, was dafür spricht, dass Positronen allgemein nur schwer in die Galaxie entweichen können. Das widerspricht der Theorie, dass Pulsare die Anzahl der Positronen erklären, die von den Wissenschaftlern registriert werden. Allerdings wurden kürzlich Pulsarfilamente wie bei PSR J2030+4415 entdeckt, die zeigen, dass Teilchen tatsächlich in den interstellaren Raum entweichen und letztendlich die Erde erreichen könnten.
Eine Studie, die diese Ergebnisse beschreibt, wird im Astrophysical Journal veröffentlicht. Das Marshall Space Flight Center der NASA leitet das Chandra-Programm. Das Chandra X-ray Center des Smithsonian Astrophysical Observatory steuert die wissenschaftlichen Operationen aus Cambridge (Massachusetts) und die Flugoperationen aus Burlington (Massachusetts).
(THK)
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