Die “Dunkle Materie” der Biologie deutet auf vierte Domäne des Lebens hin

David Liittschwager/NGS
David Liittschwager/NGS

Wenn man weit genug vom Baum des Lebens zurücktritt, sieht er recht unkompliziert aus. Aus ihm entspringen nur drei dicke Äste, welche die drei Domänen des Lebens repräsentieren: Bakterien, Archaea und Eukaryoten. Aber einer Gruppe von Biologen zufolge ist das zu einfach. Sie glauben, dass wir dabei sind, eine vierte Domäne des Lebens zu entdecken.

Das gewagte Statement ist das Ergebnis einer Analyse von Wasserproben, die aus den Ozeanen der Erde gesammelt wurden. Jonathan Eisen vom Genome Center der University of California in Davis hat Gensequenzen in den Proben identifiziert, die so ungewöhnlich sind, dass sie von Organismen zu stammen scheinen, die mit zellulärem Leben wie wir es kennen nur sehr entfernt verwandt sind. So entfernt verwandt, dass sie tatsächlich zu einem Organismus gehören könnten, der in einer völlig neuen Domäne angesiedelt ist.

Die meisten Spezies auf dem Planeten sehen aus wie kleine einzelne Zellen und um herauszufinden, wo sie auf dem Baum des Lebens hingehören, müssen Biologen in der Lage sein, sie im Labor zu züchten. Kolonien wie diese geben den Wissenschaftlern genug DNA, um ihre genetischen Analysen durchzuführen. Das Problem ist, dass der Großteil dieser Spezies – 99 Prozent sind eine begründete Schätzung – nicht auf diese Weise gezüchtet werden können. “Sie sind wirklich die Dunkle Materie des biologischen Universums”, sagt Eisen.

Die Dunkle Materie des Lebens

Um die Dunkle Materie des Lebens zu untersuchen, haben Eisen, Craig Venter vom J. Craig Venter Institute in Rockville (Maryland) und ihre Kollegen auf eine relativ neue Technik namens Metagenomik zurückgegriffen. Sie kann “den Müll aus jeder DNA Probe heraus sequenzieren”, egal ob sie in der Umwelt genommen wurde oder aus einer Laborkultur stammt, sagt Eisen.

Als Eisen und Venter die Technik auf die Proben anwandten, die von der Global Ocean Sampling Expedition gesammelt wurden, fanden sie einige Sequenzen, die zu zwei Superfamilien von Genen – recA und rpoB – gehören und sich von allen zuvor gesehenen unterscheiden.

“Die Frage ist, von was stammen sie?”, sagt Eisen. Weil das Team keine Vorstellung davon hat, zu welchem Organismus die Gene gehören, bleibt diese Frage unbeantwortet. Eisen zufolge gibt es zwei Möglichkeiten. “Sie könnten einen ungewöhnlichen Virus repräsentieren, was schon interessant genug ist. Aber noch interessanter ist, dass sie einen völlig neuen Ast im Baum des Lebens repräsentieren könnten.”

Die aufregende aber kontroverse Idee hat gemischte Reaktionen ausgelöst. “Es ist ein sehr gutes Stück sorgfältiger Arbeit”, sagt Eugene Koonin vom National Center for Biotechnology Information in Bethesda (Maryland).

Jünger als sie scheinen?

Doch Koonin und andere sind der Meinung, es sei verfrüht, von einer vierten Dimension zellularen Lebens zu sprechen. Radhey Gupta von der McMaster University in Hamilton, Ontario (Kanada), nennt die Entdeckung “sehr aufregend”, warnt jedoch davor, dass es auch andere Erklärungen dafür geben könnte.

Zum Beispiel könnten die Sequenzen auch von zelluaren Organismen stammen, die in ungewöhnlichen Habitaten leben, wodurch ihre Gene eine beschleunigte Evolution durchgemacht haben könnten. Das könnte den falschen Eindruck erwecken, dass die “neue” Lebensform sich bereits vor langer Zeit von allen anderen abgespalten hätte.

“Es wird immer noch darüber debattiert, wie man diese drei vorgeschlagenen Domänen des Lebens klar von einander abgrenzen kann und wie sie zusammenhängen”, so Gupta. “Die Annahme einer vierten Domäne würde die Verwirrung nur noch vergrößern.”

Eric Bapteste von der Pierre and Marie Curie University in Paris, Frankreich, ist da jedoch viel aufgeschlossener. “Es ist eine Tatsache dass es da sehr große genetische Unterschiede gibt und unbestreitaber sind uns die meisten davon völlig unbekannt”, sagte er. “Es is völlig legitim, anzunehmen, dass es da draussen wirklich neues Zeug gibt.”

Weitere Analysen der Proben könnten bestimmen, ob die beiden untersuchten Genfamilien sich ungewöhnlich schnell aus einem Organismus mit allgemein bizarrem Genom entwickelt haben, meinte er.

Ursprünglicher Organismus

Ein genauer Blick auf die vorliegenden Proben könnte auch dabei helfen, festzulegen, zu welchem Organismus diese seltsamen Gensequenzen genau gehören, sagte Eisen.

Wenn sich herausstellt, dass Eisens Gensequenzen wirklich zu einer neuen Domäne des Lebens gehören, wäre das nicht das erste Mal, dass der Baum des Lebens neu gezeichnet werden muss. Bis in die 1990er Jahre hatte der nur zwei Äste, einen für die Eukaryoten – Tiere, Pflanzen, Pilze und ein paar anderen ungewöhnliche Lebensformen wie zum Beispiel Schleimpilze – und einen für den Rest. Dann ergaben genetische Analysen, das der “Rest” noch einmal in zwei Domänen unterteilt werden konnte: Bakterien und Archaea (Archaebakterien oder Urbakterien; Anm. d. Red.)

Damit nicht genug, glauben sogar Manche, dass auch Mimivirus, das größte bekannte Virus, eine neue Domäne des Lebens repräsentieren könnte: obwohl es als Virus definiert wurde, enthält es doch viele Gene, die sonst ausschließlich in zellulären Organismen vorkommen. “Manche Leute haben sogar vorgeschlagen, dass sie selbst ein vierter Ast sein könnten”, sagte Eisen. “Wenn man sich dieses Mimivirus als vierten Ast vorstellen kann, stellt unsere Gensequenz vielleicht sogar den Fünften dar – wir wissen es nur noch nicht.”

Weiterführende Links:
Der Originalartikel bei Plusone: http://dx.doi.org/10.1371/journal.pone.0018011

Quelle: https://www.newscientist.com/article/dn20265-biologys-dark-matter-hints-at-fourth-domain-of-life/

(SOM)

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