Ein rätselhaftes, von Raumsonden registriertes Phänomen wurde letztendlich dank einer umfangreichen Computersimulation erklärt, die in der Lage war, präzise mit den Einzelheiten der Beobachtungen von Raumsonden übereinzustimmen. Das Ergebnis könnte nicht nur ein astrophysikalisches Rätsel lösen, sondern auch zu einer besseren Fähigkeit führen, hochenergetische Elektronenströme im Weltraum vorherzusagen, die Satelliten beschädigen können.
Jan Egedal, ein außerordentlicher Professor für Physik am Massachusetts Institute of Technology (MIT) und Forscher am Plasma Science and Fusion Center arbeitete mit dem MIT-Studenten Ari Le und William Daughton vom Los Alamos National Laboratory (LANL) zusammen. In einer am 26. Februar 2012 im Journal Nature Physics veröffentlichten Studie berichten sie über diese Lösung des Weltraumrätsels.
Egedal hatte anfangs eine Theorie aufgestellt, um diese großräumige Beschleunigung von Elektronen im Magnetschweif der Erde zu erklären, aber bis die neuen Daten von der Computersimulation gewonnen wurden, „war es eher so, dass die Leute sagten, es sei eine verrückte Theorie“, sagt Egedal. Der Magnetschweif ist ein ausgedehntes, starkes Magnetfeld der Erde, das vom Sonnenwind nach außen getragen wird. Dank der neuen Daten „sagt das jetzt niemand mehr“, sagt er.
Die Simulation zeigt, dass eine aktive Region im Magnetschweif der Erde, wo Rekonnexionsereignisse in dem Magnetfeld stattfinden, ungefähr 1.000 Mal größer ist als angenommen wurde. Das bedeutet, ein durch diese magnetischen Ereignisse angeregtes Raumvolumen ist ausreichend, um die große Anzahl von Hochgeschwindigkeitselektronen zu erklären, die von vielen Raumsonden registriert wurden, darunter die Cluster-Mission.
Das Problem zu lösen erforderte eine unglaubliche Menge Rechenkapazität von einem der fortschrittlichsten Supercomputer der Welt am National Institute for Computational Science des Oak Rigde National Laboratory in Tennessee. Der Computer namens Kraken besitzt 112.000 parallel arbeitende Prozessoren und verbraucht soviel Strom wie eine Kleinstadt. Die Studie benutzte 25.000 seiner Prozessoren für elf Tage, um die Bewegungen von 180 Milliarden simulierter Teilchen im Weltraum während eines magnetischen Rekonnexionsereignisses zu verfolgen. Die Verarbeitungszeit stieg langsam an und wurde in der Zeit zwischen anderen Aufgaben abgearbeitet. Die Simulation wurde unter Verwendung eines Plasmaphysik-Codes durchgeführt, der am LANL entwickelt wurde und die Entwicklung der magnetischen Rekonnexion genau analysiert.
Egedal erläutert, das das Erdmagnetfeld Energie wie ein gespanntes Gummiband speichert, wenn der Sonnenwind die magnetischen Feldlinien dehnt. Wenn sich die parallelen Feldlinien plötzlich neu verbinden, setzen sie diese Energie auf einen Schlag frei – als ob man das Gummiband loslässt. Diese Energiefreisetzung ist es, was Elektronen mit hoher Energie (mehrere 10.000 Volt) versieht und zurück auf die Erde prallen lässt, wo sie in die obere Atmosphäre eintreten. Man nimmt an, dass diese Eintrittsprozesse direkt oder indirekt das leuchtende Plasma in der oberen Atmosphäre erzeugen, das man als Polarlichter kennt und spektakuläre Anblicke am Nachthimmel bietet.
Was Physikern Kopfzerbrechen bereitet hat, ist die Anzahl energetischer Elektronen, die in solchen Ereignissen erzeugt werden. Der Theorie zufolge sollte es unmöglich sein, ein elektrisches Feld entlang der Richtung der magnetischen Feldlinien aufrecht zu erhalten, weil das Plasma (elektrisch geladenes Gas) in dem Magnetschweif ein fast perfekter Leiter sein sollte. Aber so ein Feld ist genau das, was nötig ist, um die Elektronen zu beschleunigen. Und laut der neuen Simulation ist das Raumvolumen, in dem sich solche Felder aufbauen können, in der Tat mindestens 1.000 Mal größer als es die Theoretiker für möglich gehalten haben – und damit groß genug, um die beobachteten Elektronen zu erklären.
Video-Link: https://youtu.be/YSYrIjN3AGU
Prof. Jan Egedal über die magnetische Rekonnexion und die Beschleunigung hochenergetischer Elektronen (Melanie Gonick / Jan Egedal / NASA)
„Man dachte, dass diese Region sehr klein ist“, sagt Egedal. Aber jetzt haben wir „durch die Analyse der Raumsonden-Daten und mit der Simulation gezeigt, dass sie sehr groß sein und viele Elektronen beschleunigen kann. Daher können wir erstmals die von den Cluster-Sonden beobachteten Eigenschaften reproduzieren.“
Das könnte unter anderem wichtig sein, weil „diese heißen Elektronen Raumfahrzeuge zerstören können“, sagt Egedal, weshalb das Militär und die NASA „dies gern besser verstehen möchten.“
Obwohl diese Analyse speziell auf die Phänomene im Magnetschweif der Erde ausgelegt gewesen sei, sagt Egedal, dass vergleichbare Phänomene in deutlich größeren Regionen aus magnetisiertem Plasma im Weltraum stattfinden könnten. Beispielsweise in Massenauswürfen, die aus der Sonnenkorona ausbrechen und Gebiete einnehmen, die 10.000 Mal größer sind, oder sogar in der Umgebung von Pulsaren oder anderen hochenergetischen Objekten im tiefen Weltraum, die noch größer sind. Er hofft, in der Zukunft Simulationen durchführen zu können, die sich auf die koronalen Massenauswürfe der Sonne anwenden lassen. „Wir denken, wir können den Maßstab der Simulation verhundertfachen“, sagt er.
Michael Brown, ein Professor für Physik am Swarthmore College, der nicht an dieser Forschungsarbeit beteiligt war, sagte, dass Egedal „sich als führender Forscher bei den experimentellen und beobachteten Aspekten der magnetischen Rekonnexion herausstellt“ und dass sein Co-Autor Daughton „der anerkannte Führer auf dem Gebiet modernster Plasmasimulationen ist.“ Das neue Ergebnis „ist wirklich entscheidend und ich denke, es wird den Rest der Gemeinschaft überraschen. Ich denke, dieses Bild wird mehr und mehr akzeptiert werden und wir müssen über das derzeit akzeptierte Bild von Plasmen hinausgehen“, sagt er.
Die Forschungsarbeit wurde durch Fördermittel der NASA und der National Science Foundation finanziert.
Quelle: http://web.mit.edu/newsoffice/2012/plasma-phenomenon-explained-0227.html
(THK)
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