Viele neu entstandene Sterne sind von einer sogenannten protoplanetaren Scheibe umgeben – wirbelnde Massen aus warmem Staub und Gas, die den Kern eines sich entwickelnden Sonnensystems bilden können. Beweise für die Existenz solcher Scheiben gab es nicht, bis das Hubble-Teleskop im Jahr 1994 junge Sterne im Orionnebel untersuchte.
Protoplanetare Scheiben entwickeln sich möglicherweise zu Himmelskörpern wie Planeten und Asteroiden. Aber wie genau sie diese Wandlung bewerkstelligen, wird der Wissenschaft ein Rätsel bleiben, bis Forscher ein Verständnis der ungeordneten Bewegungen oder Turbulenzen bekommen können, welche die einzelnen Gase der Scheiben charakterisieren. Turbulenzen werden von manchen Menschen als „das letzte große Problem der klassischen Physik“ angesehen.
„Indem wir die Natur dieser Gase verstehen, können wir etwas darüber erfahren, wie kleine Teilchen miteinander interagieren, sich aneinander binden, um größere Teilchen zu werden und dann schließlich Planeten zu bilden“, sagt Jake Simon von der University of Colorado. Er ist der leitende Wissenschaftler eines Forschungsprojekts, das sich derzeit mit zwei Hauptproblemen bei der Aufgabe beschäftigt, die Turbulenzen in protoplanetaren Scheiben zu verstehen.
Einzelheiten der Forschungsarbeit sind in einem Bericht mit dem Titel „Turbulence in the Outer Regions of Protoplanetary Disks. I. Weak Accretion with No Vertical Magnetic Flux“ enthalten, der im Astrophysical Journal 764 (2013) 66–82 veröffentlicht wurde.
Korrekte Modelle, genaue Algorithmen
Die erste Herausforderung ist die Entwicklung korrekter Modelle für die Simulationen. Sie seien nicht vollständig ausgearbeitet worden und Gegenstand erheblicher Unsicherheiten, erklärt Simon. „Unsere numerischen Simulationen müssen oft ein besonderes Modell für die Struktur der Scheibe voraussetzen – damit ist gemeint, wie sich die Dichte und die Temperatur mit zunehmendem Abstand von dem Stern verändern“, sagt er. „Wir müssen außerdem Annahmen über die Struktur und Stärke des dort präsenten Magnetfeldes und über die Ionisationsstruktur der Scheibe machen. Letztere würde beispielsweise beinhalten, wo in der Scheibe die Temperatur hoch genug, oder wo eine Strahlungsquelle stark genug sein könnte, um Elektronen aus Molekülen und Atomen herauszuschlagen und damit (positiv geladene) Ionen zu erzeugen.“ Die Ionisationsstruktur sei besonders wichtig, weil die Turbulenzen dort heftiger sein würden, wo das Gas ionisiert ist und das Gleichgewicht mit (negativ geladenen) Elektronen sucht, erklärt Simon.
Die zweite Herausforderung, mit der sich das Team beschäftigt, hat mit einem technischen Problem bezüglich der Simulationen zu tun. „In einer speziellen Region in diesen Scheiben sind die Elektronen an Magnetfelder gebunden, während das für die Ionen nicht gilt. Das führt zu dem sogenannten Hall-Effekt und momentan können unsere numerischen Algorithmen die Natur dieses Effekts nicht exakt erfassen“, sagt er.
Im Jahr 1879 von dem amerikanischen Physiker Edwin Hall entdeckt, beschreibt der Hall-Effekt einen Spannungsunterschied, der in einem elektrischen Leiter auftritt. Der Spannungsunterschied verläuft senkrecht zu dem elektrischen Strom in dem Leiter und einem Magnetfeld, das senkrecht zu diesem Strom steht.
Erfolg
Während Simon und sein Forschungsteam die Lösung der Probleme anstreben, die den Fortschritt verzögern, können sie auch Erfolge verbuchen. Einer davon dreht sich um das Verständnis der sogenannten ambipolaren Diffusion, wobei sowohl die Elektronen als auch die positiv geladenen Ionen in protoplanetaren Scheiben von einem Magnetfeld mitgerissen werden. Die ambipolare Diffusion sei bei geringen Gasdichten entscheidend, die in großen Entfernungen zu dem Zentralstern auftreten, erläutern Simon.
„Wenn die Ionen und Elektronen nicht häufig genug mit den neutralen Bestandteilen kollidieren, schwächt die ambipolare Diffusion die Turbulenz ab“, sagt er. „Der Grad, bis zu dem dies geschieht, wurde mit unseren hochaufgelösten numerischen Simulationen untersucht, die wir mit dem Kraken-Supercomputer durchgeführt haben. Wir glauben, dass wir jetzt ein viel besseres Verständnis davon haben, wie sich die Scheiben in ihren äußeren Regionen weit entfernt von dem Zentralstern verhalten.“
Simon und sein Team haben bislang mehr als vier Millionen Serviceeinheiten (Berechnungsstunden) des Kraken-Supercomputers genutzt, wobei sie durchschnittlich 585 Computerkerne pro Durchlauf verwendeten und einen Einzellauf mit 18.432 Computerkernen durchführten. Die Extreme Science and Engineering Discovery Environment (XSEDE) der National Science Foundation hat die Berechnungszeit für das Projekt mit Kraken reserviert, einem der leistungsfähigsten Supercomputer, der der akademischen Welt zur Verfügung steht. Der Kraken-Supercomputer befindet sich am Oak Ridge National Laboratory und wird vom National Institute for Computational Sciences der University of Tennessee betrieben.
Video-Link: https://youtu.be/MDCbcNvziI8
Auszug aus einer der durchgeführten Simulationen. (Jake Simon / NICS / University of Tennessee)
„In unseren Simulationen müssen wir nicht die komplette Scheibe nachbilden, sondern nur einen kleinen Teil von ihr“, sagt Simon. „Dieser Teil muss allerdings recht ausgedehnt sein und eine bestimmte Anzahl von Auflösungspunkten pro Längeneinheit besitzen. Das sind Berechnungen, die nur von den leistungsstärksten Supercomputern durchgeführt werden können, indem sie Teile der Berechnungen auf mehrere CPUs verteilen. Darüber hinaus mussten wir eine ganze Menge verschiedener Simulationen durchlaufen lassen, um unterschiedliche Modelle und Magnetfeld-Geometrien zu untersuchen. Mit HPC (High Performance Computing) Ressourcen wie Kraken können wir mehrere dieser hochaufgelösten Computersimulationen gleichzeitig durchführen. Das beschleunigt unsere Forschung beträchtlich.“
Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Simon nennt das bislang wichtigste Ergebnis der Forschungsarbeit seines Teams über Turbulenzen in protoplanetaren Scheiben: Bei Turbulenzen, die stark genug sind, um mit den Beobachtungen übereinzustimmen, muss ein senkrecht zu der Scheibe gerichtetes Magnetfeld präsent sein. Andernfalls ist die Turbulenz eher schwach, weil die ambipolare Diffusion die Turbulenz abschwächt. Er sagt, das senkrecht stehende Magnetfeld erzeuge vermehrt heftige Turbulenzen, welche die ambipolare Diffusion in einigen Regionen überwinden könne.
„Eine andere Schlussfolgerung unserer Arbeit ist, dass die turbulente Bewegung des Gases mit zunehmendem Abstand von der Mittelebene der Scheibe schnell ansteigt“, sagt er. „Mit heute existierenden Methoden kann beobachtet werden, wie schnell diese turbulenten Bewegungen in realen Scheiben sind. Durch Vergleiche dieser aktuellen und zukünftiger Beobachtungen mit unseren theoretischen Vorhersagen werden wir imstande sein, unser Wissen über die Funktionsweise der Scheibenturbulenz zu verifizieren.“
Quelle: http://www.nics.tennessee.edu/swirling-secrets
(THK)
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