Astronomen haben ein supermassives Schwarzes Loch entdeckt, das aus dem Zentrum einer fernen Galaxie herauskatapultiert wurde, vermutlich durch die unglaubliche Kraft von Gravitationswellen.
Obwohl es auch anderswo Belege für mehrere andere ähnlich fortgeschleuderte Schwarze Löcher gibt, konnte bislang keines bestätigt werden. Astronomen denken, dass dieses vom Weltraumteleskop Hubble registrierte Objekt ein sehr überzeugendes Beispiel ist. Das fortkatapultierte Schwarze Loch besitzt die Masse von über einer Milliarde Sonnen und ist bisher das massereichste Schwarze Loch, das dabei beobachtet wurde, wie es aus seiner Heimatgalaxie herausgekickt wurde.
Forscher schätzen, dass das Energieäquivalent von 100 Millionen gleichzeitig explodierenden Supernovae erforderlich war, um das Schwarze Loch zu beschleunigen. Die plausibelste Erklärung für diese Antriebsenergie lautet, dass das Schwarze Loch einen Schubs von Gravitationswellen erhielt, die durch die Verschmelzung zweier massereicher Schwarzer Löcher im Zentrum seiner Heimatgalaxie freigesetzt wurden.
Erstmals von Albert Einstein vorhergesagt, stellen Gravitationswellen Krümmungen in der Raumzeit dar, die erzeugt werden, wenn zwei massereiche Objekte miteinander kollidieren. Die Krümmungen sind vergleichbar mit den konzentrischen Ringen, die ein schwerer Stein verursacht, wenn er in einen Teich geworfen wird. Im vergangenen Jahr half das Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) Astronomen dabei, die Existenz von Gravitationswellen zu beweisen. Es registrierte Gravitationswellen, die bei der Verschmelzung zweier stellarer Schwarzer Löcher entstanden, die jeweils mehrere Male massereicher als die Sonne waren.
Die Hubble-Beobachtungen des fortkatapultierten Schwarzen Lochs überraschten das Forschungsteam. „Als ich das zum ersten Mal sah, dachte ich, dass wir etwas sehr Sonderbares sahen“, sagte der Leiter des Teams, Marco Chiaberge vom Space Telescope Science Institute (STScI) und der Johns Hopkins University in Baltimore (Maryland). „Als wir Beobachtungen von Hubble, dem Chandra X-ray Observatory und dem Sloan Digital Sky Survey kombinierten, deutete alles auf dasselbe Szenario hin. Die von uns gesammelte Datenmenge, vom Röntgenbereich über Ultraviolettstrahlung bis zu nahinfrarotem Licht, ist definitiv größer als jene, die über die anderen Kandidaten gesammelt wurden.“ Chiaberges Abhandlung wird in der Astronomy & Astrophysics-Ausgabe vom 30. März 2017 erscheinen.
Hubble-Aufnahmen in sichtbaren und nahinfraroten Wellenlängen lieferten den ersten Hinweis darauf, dass die Galaxie ungewöhnlich ist. Die Bilder offenbarten einen hellen Quasar (die Energiesignatur eines Schwarzen Lochs), der sich weit entfernt vom galaktischen Zentrum befindet. Schwarze Löcher können nicht direkt beobachtet werden, aber sie sind die Energiequelle in den Herzen von Quasaren – gewaltige, kompakte Strahlungsquellen, die eine ganze Galaxie überstrahlen können.
Der Quasar mit der Katalogbezeichnung 3C 186 und seine Heimatgalaxie liegen rund acht Milliarden Lichtjahre entfernt in einem Galaxienhaufen. Das Team entdeckte die besonderen Eigenschaften der Galaxie, als es eine Hubble-Durchmusterung ferner Galaxien sichtete, die starke Strahlungsausbrüche zeigen, während sie miteinander verschmelzen.
„Ich habe eine Menge verschmelzender Galaxien gesehen, und ich hatte erwartet, chaotische Galaxien um die Quasare herum zu sehen, aber ich hatte wirklich nicht damit gerechnet einen Quasar zu sehen, der deutlich gegen den Kern einer normal geformten Galaxie verschoben war“, erinnerte sich Chiaberge. „Schwarze Löcher liegen in den Zentren von Galaxien, deshalb ist es ungewöhnlich, einen Quasar nicht im Zentrum zu sehen.“
Das Team berechnete die Distanz des Schwarzen Lochs zum Kern, indem es anhand eines Computermodells die Verteilung des Sternlichts in der Heimatgalaxie mit jener einer normalen elliptischen Galaxie verglich. Das Schwarze Loch hatte sich mehr als 35.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt – das ist mehr als die Distanz zwischen der Sonne und dem Zentrum der Milchstraßen-Galaxie.
Basierend auf spektroskopischen Beobachtungen von Hubble und dem Sloan Survey schätzten die Forscher die Masse des Schwarzen Lochs und maßen die Geschwindigkeit des Gases, das in der Nähe des Objekts gefangen ist. Spektroskopie spaltet Licht in seine Farben, was zur Messung von Geschwindigkeiten im Weltraum genutzt werden kann.
„Zu unserer Überraschung stellten wir fest, dass sich das Gas um das Schwarze Loch mit circa 7,5 Millionen Kilometern pro Stunde entfernt“, sagte Teammitglied Justin Ely vom STScI. Diese Messung ist auch eine Abschätzung der Geschwindigkeit des Schwarzen Lochs, weil das Gas gravitativ an das Objekt gebunden ist.
Laut Berechnungen der Astronomen bewegt sich das Schwarze Loch so schnell, dass es für die Strecke von der Erde zum Mond nur drei Minuten brauchen würde. Das ist schnell genug, damit es die Galaxie in 20 Millionen Jahren verlassen und dann für immer durch das Universum fliegen könnte.
Das Hubble-Bild enthüllte einen interessanten Hinweis, der dabei half, die abgelegene Position des Schwarzen Lochs zu erklären. Die Heimatgalaxie besitzt schwache, bogenförmige Strukturen, die als Gezeitenschweife bezeichnet werden und durch die gravitative Anziehung zwischen kollidierenden Galaxien entstehen. Dieser Hinweis spricht für eine mögliche Vereinigung zwischen der Galaxie 3C 186 und einer anderen Galaxie, jede mit einem zentralen, massereichen Schwarzen Loch, die letztendlich verschmolzen sein könnten.
Ausgehend von diesem sichtbaren Beleg und theoretischer Arbeit entwickelten die Forscher ein Szenario, um zu beschreiben, wie das Schwarze Loch aus dem Zentrum herauskatapultiert worden sein könnte. Ihrer Theorie zufolge verschmolzen zwei Galaxien, und ihre Schwarzen Löcher siedelten sich im Zentrum der neu entstandenen elliptischen Galaxie an. Während die Schwarzen Löcher sich gegenseitig umkreisten, wurden Gravitationswellen emittiert wie Wasser von einem Rasensprenger. Die massereichen Objekte näherten sich mit der Zeit einander an, wobei sie Gravitationsenergie abstrahlten.
Wenn die beiden Schwarzen Löcher nicht die gleiche Masse und Rotationsgeschwindigkeit besitzen, emittieren sie Gravitationswellen stärker in eine bestimmte Richtung. Wenn die beiden Schwarzen Löcher kollidieren, hören sie auf, Gravitationswellen zu produzieren. Das jüngst verschmolzene Schwarze Loch wird dann in die entgegengesetzte Richtung der stärksten Gravitationswellen katapultiert und schießt los wie eine Rakete.
Die Forscher sind froh, dieses einzigartige Ereignis beobachtet zu haben, weil nicht jede Verschmelzung von Schwarzen Löchern unausgeglichene Gravitationswellen produziert, die ein Schwarzes Loch in die entgegengesetzte Richtung katapultieren. „Diese Asymmetrie hängt von Eigenschaften wie der Masse und der relativen Orientierung der Rotationsachsen der beteiligten Schwarzen Löcher zueinander vor der Verschmelzung ab“, sagte das Teammitglied Colin Norman vom STScI und der Johns Hopkins University. „Deshalb sind diese Objekte so selten.“
Eine alternative, wenn auch unwahrscheinliche Erklärung für den verschobenen Quasar besagt, dass das helle Objekt nicht innerhalb der Galaxie liegt. Demnach würde sich der Quasar hinter der Galaxie befinden, aber das Hubble-Bild gibt uns die Illusion, dass er in der gleichen Entfernung liegt wie die Galaxie. Wenn das der Fall wäre, sollten die Wissenschaftler eine Hintergrundgalaxie entdeckt haben, die den Quasar beherbergt.
Wenn die Interpretation der Forscher korrekt ist, dann könnten die Beobachtungen überzeugende Belege dafür liefern, dass supermassive Schwarze Löcher tatsächlich verschmelzen können. Astronomen haben Hinweise auf Kollisionen von stellaren Schwarzen Löchern, aber der Prozess, der supermassive Schwarze Löcher steuert, ist komplexer und nicht vollständig verstanden.
Das Team hofft, das Hubble-Teleskop erneut nutzen zu können – diesmal im Kombination mit dem Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) und anderen Einrichtungen. Auf diese Weise wollen die Forscher die Geschwindigkeit des Schwarzen Lochs und seiner Gasscheibe genauer messen, was einen besseren Einblick in die Natur dieses bizarren Objekts bieten könnte.
Das Hubble Space Telescope ist ein Projekt internationaler Zusammenarbeit zwischen der NASA und der European Space Agency (ESA). Das Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland) betreibt das Teleskop. Das Space Telescope Science Institute in Baltimore führt die wissenschaftlichen Operationen Hubbles durch. Das STScI wird von der Association of Universities for Research in Astronomy, Inc. in Washington, D.C. Für die NASA geleitet.
(THK)
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