Die Umgebung auf dem größten Saturnmond Titan mag überraschend vertraut erscheinen: Wolken kondensieren und regnen auf die Oberfläche herab, wo sie Flüsse speisen, die in Ozeane und Seen fließen. Außerhalb der Erde ist Titan der einzige planetare Himmelskörper im Sonnensystem mit aktiv fließenden Flüssen, obgleich sie aus flüssigem Methan bestehen und nicht aus Wasser. Vor langer Zeit besaß auch der Mars Flüsse, die Täler auf seiner jetzt trockenen Oberfläche zurückließen.
Jetzt haben Wissenschaftler des Massachusetts Institute of Technology (MIT) festgestellt, dass die Ursprünge der Topografie auf dem Mars und Titan sich trotz dieser Ähnlichkeiten stark von jenen auf der Erde unterscheiden.
In einer am 18. Mai 2017 in Science veröffentlichten Abhandlung berichten die Forscher, dass Titan wie der Mars aber im Gegensatz zur Erde keinerlei aktive Plattentektonik in seiner jüngeren Vergangenheit erfahren hat. Die Anhebung von Bergen aufgrund von Plattentektonik leitet den Verlauf der Flüsse um. Das Team stellte fest, dass diese verräterische Signatur in den Flussnetzwerken auf dem Mars und Titan fehlt.
„Obwohl die Prozesse, die Titans Topografie gestalteten, noch immer rätselhaft sind, schließt dies einige der Mechanismen aus, mit denen wie auf der Erde sehr vertraut sind“, sagte der Hauptautor Benjamin Black, ehemals Doktorand am MIT und jetzt Assistenzprofessor am City College of New York. Stattdessen vermuten die Autoren, dass Titans Topografie durch Prozesse wie Veränderungen in der Dicke seiner Eiskruste aufgrund der Gezeitenkräfte Saturns gestaltet werden könnte.
Die Studie wirft auch etwas Licht auf die Entwicklung der Landschaft auf dem Mars, der einst einen großen Ozean und Flüsse aus Wasser besaß. Das MIT-Team liefert Belege dafür, dass die größten Strukturen der Topografie auf dem Mars sehr früh in der Geschichte des Planeten entstanden und den Verlauf der jüngeren Flusssysteme beeinflussten, sogar als vulkanische Eruptionen und Asteroideneinschläge Narben auf seiner Oberfläche hinterließen.
„Es ist bemerkenswert, dass es im Sonnensystem drei Welten gibt, auf denen sich fließende Flüsse in die Landschaft gegraben haben, entweder gegenwärtig oder in der Vergangenheit“, sagte Taylor Perron, außerordentlicher Professor für Geologie am Department of Earth, Atmospheric and Planerary Sciences (EAPS) des MIT. „Wir haben diese erstaunliche Möglichkeit, die von Flüssen gestalteten Landformen zu verwenden, um zu erfahren, dass die Geschichten dieser Welten verschieden sind.“
Zu Perrons und Blacks Co-Autoren gehören die früheren MIT-Studenten Elizabeth Bailey sowie Forscher der University of California in Berkeley, der University of California in Santa Cruz und der Stanford University.
Verzweigte Flüsse
Seit 2004 umkreist die NASA-Raumsonde Cassini den Saturn und schickt erstaunliche Bilder der planetaren Ringe und Monde zurück zur Erde. Bilder von Titans Oberfläche haben Wissenschaftlern einen ersten Einblick in die Flusstäler, in Sanddünen und in aktive Wettermuster des Mondes gegeben. Cassini hat an einigen Orten auch grobe Messungen der Topografie auf Titan vorgenommen, obwohl die Auflösung dieser Messungen viel schlechter ist.
Perron und Black fragten sich, ob sie ihre Ansicht von Titans Topografie verfeinern könnten, indem sie das anwenden, was über die Topografie auf der Erde und auf dem Mars bekannt ist und wie sich ihre Flüsse entwickelten.
Beispielsweise haben plattentektonische Prozesse die Landschaften auf der Erde kontinuierlich umgestaltet und Gebirge zwischen kollidierenden Kontinentalplatten aufgefaltet und Ozeanbecken geöffnet, als Landmassen langsam auseinanderdrifteten. Flüsse passen sich daher ständig an topografische Veränderungen an und umfließen wachsende Gebirge, um den Ozean zu erreichen.
Vom Mars nimmt man dagegen an, dass er hauptsächlich während der Periode der primordialen Akkretion durch das Große Bombardement gestaltet wurde, als Asteroiden riesige Einschlagbecken hinterließen und sich gigantische Vulkane erhoben.
Wissenschaftler haben jetzt gut aufgelöste Karten der Flussnetzwerke und Topografie auf der Erde und dem Mars und außerdem ein wachsendes Verständnis ihrer jeweiligen Geschichte. Perron und Black nutzten diese Grundlage, um Einblicke in die topografische Geschichte Titans zu gewinnen.
„Wir wissen etwas über Flüsse und etwas über Topografie, und wir gehen davon aus, dass Flüsse mit der Topografie wechselwirken, während sie sich entwickelt“, sagte Black. „Unser Ziel war es, diese Teile zu verwenden, um zu entschlüsseln, was die Topografie ursprünglich gestaltete.“
An die Topografie anpassen
Das Team erstellte zunächst eine Karte der Flussnetzwerke auf der Erde, Mars und Titan. Solche Karten wurden bereits vorher von anderen Forschern für die Erde und den Mars erstellt. Black erzeugte mithilfe von Bildern der Raumsonde Cassini eine Flusskarte von Titan. Bei allen drei Karten markierten die Forscher die Richtung, in die jeder Fluss zu fließen schien.
Dann verglichen sie die topografischen Karten aller drei planetaren Himmelskörper in verschiedenen Auflösungen. Die Karten der Erde sind so detailliert wie die des Mars und zeigen Berggipfel und Einschlagbecken in hoher Auflösung. Im Gegensatz dazu ist die globale Karte Titans wegen seiner dichten, dunstigen Atmosphäre extrem verschwommen und zeigt nur die größten Strukturen.
Um direkte Vergleiche zwischen den Topografien zu machen, skalierten die Forscher die Auflösung der Karten für Erde und Mars herunter, um die für Titan verfügbare Auflösung zu erhalten. Anschließend überlagerten sie die Karten der Flussnetzwerke jedes planetaren Himmelskörpers auf ihre jeweiligen Topografien und markierten jeden Fluss, der bergab zu fließen schien.
Natürlich fließen Flüsse immer bergab. Aber das Team beobachtete, dass Flüsse nur scheinbar nach oben flossen, weil eine Karte mit niedriger Auflösung einfach keine feineren Details wie Bergketten zeigen kann, die den Verlauf eines Flusses umleiten würden.
Als die Wissenschaftler den Prozentsatz der scheinbar bergab fließenden Flüsse auf Titan zählten, stimmte die Zahl mehr mit jenem vom Mars überein. Sie verglichen auch die „topografische Konformität“, wie sie es nennen. Das ist der Abweichungsgrad zwischen einer topografischen Steigung und der Fließrichtung eines Flusses. Auch hier stellten sie fest, dass Titan mehr dem Mars glich als der Erde.
„Eine Vorhersage, die wir machen können, lautet, dass wir eine Topografie sehen werden, die mehr dem Mars ähnelt als der Erde, wenn wir letztendlich genauere topografische Karten von Titan bekommen werden“, sagte Perron. „Titan mag große Erhebungen und Vertiefungen besitzen, die sich vor einiger Zeit gebildet haben könnten, und die Flüsse erodierten diese Topografie seitdem, anstatt ständig neue Gebirge und gegen sie kämpfende Flüsse zu bilden.“
Ein Bild zusammensetzen
Eine letzte Frage, die die Forscher zu beantworten versuchten, betraf den Sachverhalt, wie die Kraterbildung aufgrund von Asteroideneinschlägen auf dem Mars seine Topografie umgestaltete.
Black nutzte eine von der Gruppe zuvor entwickelte Simulation, um die Flusserosion auf dem Mars bei verschiedenen Kraterbildungsgeschichten zu modellieren. Er stellte fest, dass das Muster der heutigen Flussnetzwerke auf dem Mars das Ausmaß dessen begrenzt, wie sehr die Kraterbildung die Marsoberfläche gestaltet hat. Das spricht dafür, dass die größten Einschlagkrater sehr früh in der Geschichte des Mars entstanden und dass spätere Einschläge die Oberfläche lediglich „verbeulten“.
Weil die Cassini-Mission im September 2017 planmäßig enden wird, sagte Perron, dass weitere Untersuchungen von Titans Oberfläche helfen werden, zukünftige Missionen zu dem fernen Mond zu starten. „Jede Art von Untersuchung, um das Bild der Oberfläche Titans über die sichtbaren Details der von Cassini gesammelten Daten hinaus zu vervollständigen, wird wertvoll sein, um eine Rückkehr zu planen“, sagte Perron.
Diese Forschungsarbeit wurde teilweise von der NASA finanziert.
(THK)
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