Die Kollision eines Paares kolossaler, stellarer Schwarzer Löcher in fast drei Milliarden Lichtjahren Entfernung hat sich durch ein kosmisches “Mikrofon” Gehör verschafft. Am 4. Januar 2017 registrierte das Laser Interferometry Gravitational-wave Observatory (LIGO) ein kaum wahrnehmbares Signal, das Wissenschaftler rasch als eine Gravitationswelle identifizierten – eine Energiewelle, die die Krümmung der Raumzeit durchquert. Das Ereignis markiert den dritten direkten Nachweis einer Gravitationswelle. Eine Abhandlung (PDF-Format) darüber wurde am 1. Juni 2017 im Journal Physical Review Letters veröffentlicht.
Katalogisiert als GW170104, ähnelt das Signal einem ansteigenden Zwitschern, wenn es in das Audioband transformiert wird. Das ist eine Eigenschaft einer Verschmelzung zweier massereicher astrophysikalischer Objekte im fernen Universum. Das Team schlussfolgerte, dass die Gravitationswelle durch die Kollision zweier schwerer, stellarer Schwarzer Löcher erzeugt wurde. Eines davon wurde auf 31 Sonnenmassen geschätzt, das andere auf 19 Sonnenmassen.
Das von LIGO empfangene Signal dauerte weniger als eine Fünftelsekunde und Wissenschaftler haben berechnet, dass sich die Schwarzen Löcher in dem Sekundenbruchteil sechsmal umkreisten, bevor sie zu einem einzigen Schwarzes Loch mit 49 Sonnenmassen verschmolzen. Diese kosmische Kollision setzte eine enorme Menge Energie in der Form von Gravitationswellen frei, die dem Äquivalent von zwei Sonnenmassen entsprach. Die Verschmelzung fand etwa drei Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt statt – doppelt so weit wie die Kollision aus Schwarzen Löchern, die GW150914 erzeugte, der erste Gravitationswellennachweis von LIGO.
“Das ist in der Tat das am weitesten entfernte System aus stellaren Schwarzen Löchern, das bisher beobachtet wurde”, sagte Erik Katsavounidis, Seniorwissenschaftler am Kavli Institute for Astrophysics and Space Research des MIT und Mitglied des LIGO-Teams.
Gegenläufige Ausrichtung
Das neue Gravitationswellensignal ist vergleichbar mit den ersten beiden Nachweisen LIGOs, sowohl was die Quelle angeht (eine Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher) als auch was die Gesamtmasse dieser Quelle betrifft.
Die Wissenschaftler entdeckten allerdings eine interessante Eigenschaft bei dem neuesten Signal: Die Rotation von mindestens einem der beiden Schwarzen Löcher könnte möglicherweise entgegen des orbitalen Drehimpulses ausgerichtet gewesen sein. Der orbitale Drehimpuls beschreibt die Richtung, in der sich die beiden Löcher gegenseitig umkreisen. Dieses Phänomen wäre vergleichbar mit zwei gegen den Uhrzeigersinn rotierenden Teetassen auf einem Tisch, der sich im Uhrzeigersinn dreht.
Katsavounidis betonte, dass die Anzeichen für eine gegenläufige Ausrichtung klein sind, wenn auch potenziell signifikant. Wenn Wissenschaftler weitere gegenläufige Systeme registrieren, könnten solche Belege ein Entstehungsszenario unterstützen, das als dynamisches Einfangen bezeichnet wird. Dabei entwickeln sich Schwarze Löcher separat in einer kosmischen Umgebung, die mit stellaren Objekten übersät ist. In einer solchen Umgebung können sich Schwarze Löcher mit unterschiedlichen Rotationsrichtungen letztendlich zu Doppelsystemen zusammenfinden, einfach durch ihre dynamische, gravitative Anziehung.
Das dynamische Einfangen widerspricht einem Modell, das als “gemeinsame Hüllenentwicklung” bekannt ist. Hier entwickeln sich Schwarze Löcher gemeinsam mit Rotationsrichtungen, die an ihren orbitalen Drehimpulsen ausgerichtet sind. Das LIGO-Team kam zu dem Schluss, dass die Gravitationswelle vom Dezember 2015 im Gegensatz zu dem neuesten Signal höchstwahrscheinlich auf ausgerichteten Rotationsrichtungen beruhte.
“Hier sehen wir erstmals eine gegenläufige Ausrichtung”, sagte Katsavounidis. “Wenn wir mehr solcher Systeme registrieren können, können wir bestimmen, unter welchen Umständen Schwarze Löcher entstanden und sich entwickelten, um Doppelsysteme zu bilden, die letztendlich verschmolzen.”
Echtzeit-Glücksfall
Nach Verbesserungen zur Erhöhung seiner Empfindlichkeit begann LIGO am 30. November 2016 seinen zweiten Beobachtungslauf. Katsavounidis sagte, dass der Nachweis von GW170104 “sicher auch einen Aspekt des Zufalls hatte”.
Am 4. Januar 2017 um 10:11:58,6 Uhr UTC wurde eine Gravitationswelle aufgezeichnet, die durch einen der LIGO-Detektoren in Hanford (Washington) lief. Drei Millisekunden später passierte sie den Zwillingsdetektor in Livingston (Louisiana), mehr als 3.000 Kilometer entfernt. Die Gravitationswelle dehnte und stauchte jeden Detektor ganz leicht, was ein kurzes Zucken in den von beiden Detektoren gesammelten Daten verursachte.
Innerhalb weniger Sekunden analysierten LIGOs Suchalgorithmen automatisch das Signal und verglichen es mit Wellenformeigenschaften von Gravitationswellen. “Ein sehr sorgfältiger Forscher in Deutschland betrachtete die Daten, als sie hereinkamen, und bemerkte, dass einer der beiden Detektoren etwas Wichtiges aufgefangen hatte”, sagte Katsavounidis. “Dieses Ereignis wurde dank dieses Kollegen nahezu in Echtzeit identifiziert.”
Der Forscher benachrichtigte umgehend die LIGO-Arbeitsgruppen für die Datenanalyse, die Charakterisierung und den Detektorbetrieb, die das Signal genauer untersuchten. Die Wissenschaftler nutzten Computer, um die wahrscheinlichen Parameter wie die Masse des Systems, Rotation und Ausrichtung einzugrenzen, die ein Gravitationswellensignal erzeugen würden, das mit dem in den Daten übereinstimmt.
Die beste Übereinstimmung zeigte sich bei einem Paar aus verschmelzenden Schwarzen Löchern, das von den Wissenschaftlern als das zweitmassereichste System aus stellaren Schwarzen Löchern berechnet wurde. Das massereichste System ist GW150914, der erste Gravitationswellennachweis von LIGO.
Gegen die Gravitationsunschärfe ankämpfen
Mit diesem neuen Nachweis bestätigte das Team nochmals Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie und beobachtete, dass das Verhalten der beiden verschmelzenden Schwarzen Löcher zu Einsteins Vorhersagen der Gravitationseffekte passte, sogar in solch extremen Maßstäben.
“Das ist eine erstaunliche Sache”, sagte Katsavounidis. “Egal ob man über die Gravitation auf der Erde spricht oder über Etwas, wo das Gravitationspotenzial eine Milliarde Mal größer ist; die allgemeine Relativität beschreibt, wie diese Gravitationswellen erzeugt werden und wie sich diese Objekte gravitativ verhalten.”
Als Teil der ersten Analyse des Signals erstellten LIGO-Forscher “Himmelskarten” mit den ungefähren Gebieten am Himmel, wo das System aus Schwarzen Löchern liegen könnte. Im Rahmen der Standardprozedur schickte LIGO diese Karten an 80 Astronomiepartnergruppen, von denen jede Zugriff auf Bildverarbeitungswerkzeuge hat, die das gesamte elektromagnetische Spektrum und Neutrinos umfassen. Während LIGO weiterhin nach Anzeichen für andere extreme Ereignisse im Universum lauscht, richteten Astronomen ihre Teleskope in Richtung der Quelle von GW170104, in der Hoffnung, ein Leuchten der kollidierenden Schwarzen Löcher zu sehen.
“LIGO agiert sozusagen wie unsere Ohren, und wir wollen etwas hören und dann schnell unsere Augen bewegen, um dem Signal zu folgen”, sagte Katsavounidis. “Unsere Mission ist es, gegen die Unschärfe der Gravitationswellendetektoren anzukämpfen, indem wir mehr Detektoren in das globale Netzwerk einbinden, und indem wir die Nachweise so bald wie möglich mit Licht koppeln.”
Für die Suche nach Gravitationswellen wird bald ein weiteres Paar “Ohren” zur Verfügung stehen. Virgo, ein ähnlicher Detektor bei Pisa (Italien), wird planmäßig in diesem Sommer online gehen und sich mit LIGO zusammenschalten.
“Ich komme aus einem Gebiet, in dem man nach etwas Seltenem sucht und war bei nur einem Nachweis immer etwas zögerlich, einen Erfolg zu verkünden”, sagte Katsavounidis. “Ich kann Ihnen sagen, dass ich seit dem zweiten Nachweis viel besser schlafe. Dieser dritte Nachweis festigt LIGO und seine Beobachtungen als das ultimative Werkzeug, um das Massenspektrum von Schwarzen Löchern in unserem Universum zu sehen.”
Diese Forschungsarbeit wurde teilweise von der National Science Foundation (NSF) unterstützt.
(THK)
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