Abell 1033 – Was nie ein Mensch zuvor gesehen hat

Abell 1033, bestehend aus zwei kollidierenden Galaxienhaufen. (Credits: X-ray: NASA / CXC / Leiden Univ. / F. de Gasperin et al; Optical: SDSS; Radio: LOFAR / ASTRON, NCRA / TIFR / GMRT)
Abell 1033, bestehend aus zwei kollidierenden Galaxienhaufen. (Credits: X-ray: NASA / CXC / Leiden Univ. / F. de Gasperin et al; Optical: SDSS; Radio: LOFAR / ASTRON, NCRA / TIFR / GMRT)

Verborgen in einer fernen Kollision zweier Galaxienhaufen befinden sich Gasschwaden, die dem Raumschiff Enterprise ähneln, dem kultigen Raumschiff aus dem Star-Trek-Franchise.

Galaxienhaufen – kosmische Strukturen aus hunderten oder sogar tausenden Galaxien – sind die größten Objekte im Universum, die von der Gravitation zusammengehalten werden. Mehrere Millionen Grad heißes Gas füllt den Raum zwischen den einzelnen Galaxien. Die Masse des heißen Gases ist etwa sechs Mal größer als die Masse aller beteiligten Galaxien zusammen. Dieses superheiße Gas ist für optische Teleskope unsichtbar, aber leuchtet hell im Röntgenbereich. Deshalb wird ein Röntgenteleskop wie das Chandra X-ray Observatory der NASA benötigt, um es zu untersuchen.

Durch die Kombination von Röntgenbeobachtungen mit Beobachtungen in anderen Wellenlängenbereichen wie Radiowellen, kann ein vollständigeres Bild dieser wichtigen kosmischen Objekte erstellt werden. Ein neues Kompositbild des Galaxienhaufens Abell 1033, bestehend aus Chandra-Röntgendaten (violett) und Radiobeobachtungen des Low-Frequency Array (LOFAR) in den Niederlanden (blau), tut genau das. Optische Daten des Sloan Digital Sky Survey sind ebenfalls zu sehen. Der Galaxienhaufen liegt rund 1,6 Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt.

Mit Röntgen- und Radiodaten haben Wissenschaftler festgestellt, dass Abell 1033 tatsächlich aus zwei Galaxienhaufen besteht, die miteinander kollidieren. Dieses außergewöhnlich energiereiche Ereignis, das auf dem Bild von oben nach unten stattfindet, hat Turbulenzen und Schockwellen erzeugt, die mit den Überschallknallen von Überschallflugzeugen vergleichbar sind.

Bei Abell 1033 hat die Kollision mit einem anderen energiereichen kosmischen Prozess interagiert: der Produktion von Jets aus Hochgeschwindigkeitsteilchen aufgrund von Materie, die auf ein supermassives Schwarzes Loch zuspiralt – in diesem Fall auf eins, das in einer Galaxie in einer der beiden Galaxienhaufen liegt. Diese Jets werden durch Radioemissionen links und rechts am Bildrand enthüllt. Die Radioemissionen werden von Elektronen erzeugt, die entlang der magnetischen Feldlinien spiralen, sogenannte Synchrotronstrahlung.

Die Elektronen in den Jets bewegen sich mit annähernd Lichtgeschwindigkeit. Weil sich die Galaxie und ihr Schwarzes Loch nach unten bewegten, verlangsamte sich der rechte Jet, als er auf heißes Gas aus dem anderen Galaxienhaufen traf. Der Jet links verlangsamte sich nicht, weil er deutlich weniger heißem Gas begegnete. Das ist der Grund für das verzerrte Erscheinungsbild der Jets, im Gegensatz zu den geraden Linien, die man normalerweise sieht.

Dieses Bild von Abell 1033 ist auch ein Beispiel für Pareidolie, ein psychologisches Phänomen, bei dem in zufälligen Daten bekannte Formen und Muster erkannt werden. Bei Abell 1033 bilden die Strukturen in den Daten für viele Leute eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu Abbildungen des fiktionalen Raumschiffs Enterprise aus Star Trek.

In Bezug auf astrophysikalische Forschung ergab eine detaillierte Untersuchung der Bilddaten, dass die Energie der Elektronen in der “Untertassensektion” und am “Verbindungssegment” der Enterprise-förmigen Radioemissionen in Abell 1033 höher ist als jene in der “Antriebssektion” unten links.

Das spricht dafür, dass diese Elektronen neue Energie erhielten, vermutlich als die Jets mit Turbulenzen oder Schockwellen in dem heißen Gas interagierten. Die energetischen Elektronen, die die Radioemissionen produzieren, werden im Laufe der nächsten zig Millionen Jahre große Mengen Energie verlieren, während sie strahlen. Die Radioemissionen wären dann nicht mehr zu registrieren.

Die in Abell 1033 beobachteten, ausgedehnten Radioemissionen erstrecken sich jedoch über 500.000 Lichtjahre und lassen darauf schließen, dass größere Mengen energiereiche Elektronen mit höheren Energien vorhanden sind, als bislang angenommen wurde. Eine Theorie besagt, dass diese Elektronen von Schockwellen und Turbulenzen einen zusätzlichen Energieschub erhalten haben.

Andere Quellen der Radioemissionen auf dem Bild (außer dem Enterprise-förmigen Objekt) sind die kürzeren Jets einer anderen Galaxie und ein “Radio-Phönix”, der aus einer Elektronenwolke besteht. Die Radioemissionen dieser Elektronen klangen zunächst ab, aber wurden dann neu belebt, als Schockwellen die Wolke komprimierten. Dadurch wurde die Wolke erneut zum Leuchten in Radiofrequenzen angeregt, wie bereits im Jahr 2015 berichtet wurde.

Das Team, das diese Studie durchführte, wird Beobachtungen mit Chandra und LOFAR nutzen, um nach weiteren Beispielen für kollidierende Galaxienhaufen mit verzerrten Radioemissionen zu suchen und sein Wissen über diese energetischen Objekte zu erweitern.

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Video-Link: https://youtu.be/yUECTVzXv5k


Eine Abhandlung, die diese Ergebnisse beschreibt, wurde am 4. Oktober 2017 im Journal Science Advances veröffentlicht und ist online verfügbar. Die Autoren der Studie sind Francesco de Gasperin, Huib Intema, Timothy Shimwell (Leiden University, Niederlande), Gianfranco Brunetti (Institute of Radio Astronomy, Italien), Marcus Bruggen (Universität Hamburg, Deutschland), Torsten Enblin (Max-Planck-Institut für Astrophysik, Deutschland), Reinout van Weeren (Leiden), Annalisa Bonafede (Hamburg) und Huub Rottgering (Leiden).

Das Marshall Space Flight Center der NASA in Huntsville (Alabama) leitet das Chandra-Programm für das Science Mission Directorate der Agentur in Washington. Das Smithsonian Astrophysical Observatory in Cambridge (Massachusetts) steuert Chandras Wissenschafts- und Flugoperationen.

Quelle

(THK)

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