
Am 15. Januar 2022 verwüstete der Vulkan Hunga Tonga-Hunga Ha’apai die Nation Tonga. Die Eruption löste Tsunamis aus, die bis in die Karibik reichten, und produzierte atmosphärische Wellen, die mehrere Male den Globus umrundeten. In der Zwischenzeit schleuderte der Vulkan Gas und Asche durch die Stratosphäre bis in die untere Mesosphäre.
Nur zwei Monate nach der Eruption haben Geologen einen vorläufigen Bericht über den Ablauf zusammengestellt. Melissa Scruggs und der emeritierte Professor Frank Spera von der University of California in Santa Barbara waren Teil eines internationalen Forschungsteams, das den ersten ganzheitlichen Bericht über das Ereignis im Journal Earthquake Research Advances veröffentlichte. Die Autoren vermuten, dass eine Eruption einen Tag zuvor den Vulkan für die gewaltige Explosion bereit gemacht haben könnte, indem sein Hauptschlot unter die Meeresoberfläche sank. Das erlaubte dem geschmolzenen Gestein, ein großes Volumen an Meerwasser zu verdampfen und den Vulkanausbruch direkt am nächsten Tag zu verstärken.
„Das ist definitiv und ohne Zweifel die stärkste Eruption seit dem Pinatubo im Jahr 1991“, sagte Scruggs, die Magmagemische und Eruptionsauslösemechanismen untersucht und kürzlich ihr Doktorat an der UC Santa Barbara abschloss. Sie verglich das Ereignis mit der Eruption des Krakatau im Jahr 1883, die noch in 4.800 Kilometern Entfernung zu hören war.
Der Hunga Tonga-Hunga Ha’apai ist ein Stratovulkan: ein großer, kegelförmiger Berg, der anfällig für periodische gewaltige Eruptionen ist, aber der normalerweise eine moderate Aktivität zeigt. Er ist einer von vielen Vulkan entlang des Tofua Volcanic Arc, einer Vulkanlinie, die von Magma der Pazifischen Platte gespeist wird, welche unter die Indo-Australische Platte taucht. Hitze und Druck schmelzen das Gestein der abtauchenden Platte und lösen das Wasser und andere flüchtige Substanzen. Das gleiche Wasser senkt die Schmelztemperatur des darüber liegenden Gesteins ab, was an der Plattengrenze zu einer 100 Kilometer langen Vulkankette führt.
Eine untergetauchte Gefahr
Die Inseln Hunga Tonga und Hunga Ha’apai, nach denen der Vulkan benannt ist, sind eigentlich die zwei höchsten Punkte auf dem Rand des Zentralkraters, der als Caldera bezeichnet wird. Oder vielmehr waren sie es, bis die Explosion den Großteil der Inseln in die Luft sprengte.
Scruggs hörte erstmals von der Explosion, als sie ins Bett gehen wollte und noch durch ihren Twitter-Feed scrollte. „Ich sah eine GIF-Animation der Eruption aus Satellitenperspektive und mein Herz blieb einfach stehen“, sagte sie nach Worten suchend. Sie wusste sofort, dass das Ereignis starke Verwüstungen verursachen würde. „Der gruseligste Teil war, dass das gesamte Land abgeschnitten war und wir nicht wussten, was passiert war.“
3D-Modell des Unterwasservulkans: https://skfb.ly/o8Iuv
Sie schrieb bereits mit anderen Vulkanologen, als die Ereignisse weitergingen. Sie versuchte die Bilder zu verstehen, die die Satelliten so deutlich aufgenommen hatten. „Wir wollten wirklich nur verstehen, was passiert war“, sagte Scruggs. „Also sammelten wir alle Informationen, die wir kriegen konnten – alles, was in den ersten paar Wochen verfügbar war.“ Die Autoren stützten sich auf alle Quellen, die sie finden konnten, um diese Eruption schnell einzuordnen, darunter öffentlich verfügbare Daten, Videos und sogar Tweets.
Mit einer Vielzahl an Datensätzen berechnete das Team, dass das Ereignis vom 15. Januar 2022 um 17:02 Uhr lokaler Zeit (04:02±1 UTC) begann. Der U.S. Geological Survey zeichnete 13 Minuten später ein seismisches Ereignis an der Position des Schlotes auf. Die ersten beiden Stunden der Eruption waren besonders stark; die Aktivität schwächte sich nach etwa zwölf Stunden ab.
Aber die Eruptionsaktivität begann in Wirklichkeit bereits am 20. Dezember 2021. Und davor war der Vulkan im Jahr 2009 ausgebrochen und nochmals in den Jahren 2014 und 2015. Scruggs vermutet, dass diese früheren Episoden entscheidend sind, um die Stärke der neuesten Eruption des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai zu verstehen und dass sie möglicherweise mit Veränderungen des Magmazuleitungssystems in der Tiefe oder mit Veränderungen der Magmazusammensetzung im Laufe der Zeit zusammenhängen.
Hunga Tonga und Hunga Ha’apai waren einst getrennte Inseln, bis Eruptionen aus dem Hauptschlot des Vulkans eine Landbrücke schufen und sie vereinigt wurden. „Diese Insel entstand erst im Jahr 2015“, sagte Scruggs. „Und jetzt existiert sie nicht mehr. Wären wir nicht in der Satellitenära, hätten wir nicht einmal gewusst, dass sie existierte.“
Am 14. Januar 2022 zerstörte eine Explosion am Hauptschlot diese Verbindung und ließ den Schlot unter die Meeresoberfläche absinken. „Wäre die Landbrücke nicht vernichtet worden, hätte sich die Eruption vom 15. Januar vielleicht so verhalten wie am Tag zuvor, weil sie nicht das Übermaß an Meerwasser gehabt hätte“, sagte Scruggs.
Eine gigantische Explosion
Derselbe Vulkan – einen Tag Unterschied: Am Freitag war der Schlot oberhalb des Meeresspiegels und am Samstag lag er darunter. „Das machte den Unterschied aus“, sagte Scruggs.

Das Team vermutet, dass das Meerwasser eine Hauptrolle bei der Stärke und Gewalt hinter der Eruption vom 15. Januar spielte. Eine Eruption dieser Größe braucht das richtige Verhältnis aus Wasser und Gas, um diese Kraft zu entwickeln, ähnlich wie bei einer aufsteigenden Flaschenrakete.
Und sie hob auch ab wie eine Rakete. „Sie reichte bis zum halben Weg in den Weltraum“, erklärte Scruggs. Die Aschewolke schoss 58 Kilometer hoch in die Atmosphäre – durch die Stratosphäre hindurch bis in die untere Mesosphäre- „Das ist mehr als doppelt so hoch, wie die Aschewolke des Mount St. Helens im Jahr 1980. Es war die höchste vulkanische Aschewolke, die jemals registriert wurde.
Eine wahrhaft gigantische Anzahl an Blitzen begleitete die Eruption. Die Autoren haben die Vermutung, dass verdampfendes Meerwasser die Lava in mikroskopische Ascheteilchen fragmentierte. Nachdem der Dampf in der oberen Atmosphäre ausfror, hefteten sich winzige Eiskristalle an die Ascheteilchen an. Die Bewegung, die Temperaturveränderung und die Größe der Teilchen erzeugten unglaubliche Mengen an statischer Ladungsteilung, die sich oberhalb der Eruption entlud. In den ersten beiden Stunden der Eruption fanden etwa 80 Prozent aller Blitze auf der Erde im Himmel über dem Hunga Tonga-Hunga Ha’apai statt.
Die Autoren schätzen, dass am 15. Januar rund 1,9 Kubikkilometer Material mit einer Masse von 2,9 Milliarden Tonnen vom Hunga Tonga-Hunga Ha’apai ausbrachen. „Aber das Volumen der Explosion war nicht das Besondere“, sagte Spera, ein Co-Autor der Studie und Scruggs‘ Doktorvater. „Das Besondere war, wie sich die Energie der Eruption mit der Atmosphäre und den Ozeanen verband: Ein Großteil der Energie ging auf globaler Ebene in die sich bewegende Luft und das Wasser.“
Die durch den Ozean laufende Schockwelle löste Tsunamis im gesamten Pazifik und darüber hinaus aus. Außerdem kam die Welle schneller an als Tsunamiwarnmodelle vorhersagten, weil die Modelle nicht für Vulkanausbrüche kalibriert sind – sie basieren auf Formeln, die erdbebenbedingte Tsunamis beschreiben.
Ein zweiter Tsunami folgte der atmosphärischen Druckwelle. Diese Schockwelle löste einen Meteotsunami in der Karibik aus, die keine direkte Verbindung zum Südpazifik hat. Scruggs nannte es beispiellos: „Im Grunde war der gesamte Ozean für fünf Tage nach der Eruption aufgewühlt“, sagte sie.

Noch viel Arbeit
Wissenschaftler fügen immer noch zusammen, was an dem Vulkan passierte; sie müssen noch ein Modell entwickeln, um die Tsunamiwelle komplett zu verstehen. Allerdings ist es eine wichtige Aufgabe, um Tsunamiwarnsysteme zu aktualisieren, so dass sie auch diesen Mechanismus berücksichtigen. Ansonsten könnten die Warnungen inkorrekt sein, wenn das nächste Mal ein Vulkan wie der Hunga Tonga-Hunga Ha’apai ausbricht, was möglicherweise mehr Leben kostet.
Das Ereignis hebt in der Tat die Gefahr hervor, die von unüberwachten Unterwasservulkanen ausgeht. Trotz der Verwüstungen waren die Menschen in Tonga relativ gut auf die Eruption vom 15. Januar vorbereitet. Die Regierung hatte basierend auf der Aktivität vom Vortag Warnungen herausgegeben und die Nation hatte Katastrophenpläne für Eruptionen und Tsunamis zur Verfügung.
Der Hunga Tonga-Hunga Ha’apai hatte in der Vergangenheit ähnlich starke Ausbrüche. Eine kürzliche Studie von Forschern der University of Otago in Neuseeland offenbarte, dass eine große Eruption vor etwa 1.000 Jahren die Caldera am Gipfel des Unterwasservulkans zerstörte. Und vergleichbare Vulkane könnten gut möglich auf dieselbe Art und Weise ausbrechen. Man denke an Kick’em Jenny, einen anderen Unterwasservulkan, dessen Hauptschlot 150 Meter unter der Meeresoberfläche liegt. Er befindet sich nur acht Kilometer nördlich der Insel Grenada. „Man stelle sich vor, wenn etwas wie die Tonga-Eruption in der Karibik passiert“, sagte Scruggs.
Die Forscher arbeiteten schnell mit nur öffentlich verfügbaren Daten. Sie planen ihre gesamten Ergebnisse neu zu bewerten, sobald mehr Informationen und Proben verfügbar werden und weitere Wissenschaftler ihre eigenen Ergebnisse über diese beispiellose Eruption veröffentlichen. Ihr Hauptziel bestand darin, einen Ansatzpunkt für zukünftige Arbeiten zu diesem Thema zu liefern.
Scruggs ist besonders gespannt darauf, etwas über die gesammelte Asche von dieser Eruption zu erfahren. Vulkanische Gesteine geben erfahrenen Geologen eine Fülle an Informationen. Die Untersuchung des Materials könnte Licht auf den Typ des eruptierten Magmas werfen, wie viel Magma dort vorhanden war und vielleicht sogar darauf, wie viel Meerwasser an der Eruption beteiligt war.
„Es sind so viele Fragen aufgeworfen worden“, sagte Scruggs. „Dinge, von denen wir nicht einmal dachten, dass sie möglich sind, wurden jetzt aufgezeichnet.“
Die Forscher der UC Santa Barbara werden auf dem Jahrestreffen 2022 der Geological Society of America in Denver im kommenden Oktober eine Sondertagung abhalten. „Es wird aufregend sein zu sehen, was die anderen Geoforscher über diesen einzigartigen Vulkan erfahren konnten“, sagte Spera. „Wir stehen erst am Anfang.“
Studie: „Under the Surface: Pressure-Induced Planetary-Scale Waves, Volcanic Lightning, and Gaseous Clouds Caused by the Submarine Eruption of Hunga Tonga-Hunga Ha’apai Volcano Provide an Excellent Research Opportunity“ von Yuen et al.
(THK)
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