Hubble entdeckt den bislang fernsten Einzelstern – Earendel

Hubble-Aufnahme des Galaxienhaufens, der als Gravitationslinse agierte und die ferne Galaxie zu einer bogenförmigen Struktur verzerrte. Der Stern Earendel ist mit dem Pfeil gekennzeichnet. (Credits: NASA, ESA, B. Welch (JHU), D. Coe (STScI), A. Pagan (STScI))
Hubble-Aufnahme des Galaxienhaufens, der als Gravitationslinse agierte und die ferne Galaxie zu einer bogenförmigen Struktur verzerrte. Der Stern Earendel ist mit dem Pfeil gekennzeichnet. (Credits: NASA, ESA, B. Welch (JHU), D. Coe (STScI), A. Pagan (STScI))

Das Weltraumteleskop Hubble hat einen außergewöhnlichen neuen Rekord aufgestellt: Es registrierte das Licht eines Sterns, der innerhalb der ersten Milliarde Jahre nach der Entstehung des Universums durch den Urknall existierte. Es ist der am weitesten entfernte Einzelstern, der jemals beobachtet wurde. Er wird ein Hauptziel für das James Webb Space Telescope der NASA/ESA/CDA in seinem ersten Jahr sein.

Diese Entdeckung ist ein riesiger Sprung zurück in der Zeit, verglichen mit dem bisherigen Rekordhalter, der von Hubble im Jahr 2018 registriert wurde. Dieser Stern existierte, als das Universum etwa vier Milliarden Jahre alt war, was 30 Prozent seines heutigen Alters entspricht. Die Zeit beziffern Astronomen mit einer Rotverschiebung von 1,5. Wissenschaftler nutzen die Bezeichnung Rotverschiebung, weil das Licht ferner Objekte mit der Expansion des Universums in längere, rötlichere Wellenlängen gedehnt oder verschoben wird, während es sich auf uns zubewegt.

Aber der neu entdeckte Stern ist so weit entfernt, dass sein Licht 12,9 Milliarden Jahre brauchte, um die Erde zu erreichen. Für uns erscheint er so, wie er war, als das Universum erst sieben Prozent seines heutigen Alters erreicht hatte (Rotverschiebung 6,2). Die kleinsten Objekte, die bislang in solch großen Distanzen beobachtet wurden, sind Sternhaufen, die in junge Galaxien eingebettet sind.

„Wir haben zuerst fast nicht geglaubt, dass er so viel weiter entfernt ist als der bisherige fernste Stern mit der höchsten Rotverschiebung“, sagte der Astronom Brian Welch von der Johns Hopkins University in Baltimore. Welch ist der Hauptautor der Studie im Journal Nature, die die Entdeckung beschreibt. Die Entdeckung wurde mit Daten gemacht, die im Rahmen von Hubbles RELICS (Reionization Lensing Cluster Survey) Programm gesammelt wurden. RELICS wird vom Co-Autor Dan Coe vom Space Telescope Science Institute (STScI) geleitet.

„Normalerweise sehen selbst ganze Galaxien in diesen Entfernungen wie kleine Fleckchen aus – das Licht von Millionen Sternen strahlt gemeinsam“, sagte Welch. „Die Galaxie, die diesen Stern beherbergt, wurde durch den Gravitationslinseneffekt zu einem langen Bogen vergrößert und verzerrt, dem wir den Namen Sunrise Arc gaben.“ Nach der detaillierten Untersuchung der Galaxie stellte Welch fest, dass eine Struktur ein extrem verstärkter Stern ist, den er Earendel nannte (Morgenstern auf Altenglisch). Die Entdeckung verspricht die Öffnung einer unerforschten Ära sehr früher Sternentstehungsprozesse.

„Earendel existierte vor so langer Zeit, dass der Stern vielleicht nicht die gleichen Rohmaterialien besaß, die die heutigen Sterne besitzen“, erklärte Welch. „Die Untersuchung Earendels wird ein Fenster in eine Ära des Universums aufstoßen, mit der wir nicht vertraut sind, aber die zu all dem führte, was wir kennen. Es ist so, als würden wir ein wirklich interessantes Buch lesen, aber hätten mit dem zweiten Kapitel angefangen, und jetzt werden wir eine Möglichkeit haben zu sehen, wie alles begann“, sagte Welch.

„Es gibt seit langer Zeit die theoretische Vorhersage, dass Sterne, die aus den Elementen Wasserstoff, Helium und Spuren von Lithium kurz nach dem Urknall entstanden, massereicher sein sollten als die Sterne, die heute entstehen“, ergänzte das Teammitglied Erik Zackrisson vom Department of Physics and Astronomy an der Uppsala University in Schweden. „Diese primordialen Sterne, die als Population-III-Sterne bezeichnet werden, haben sich der Beobachtung bisher entzogen. Aber sie könnten nachweisbar sein, wenn sie einer starken Vergrößerung durch den Gravitationslinseneffekt ausgesetzt sind, so wie im Fall Earendels.“

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Video-Link: https://youtu.be/ORau7k8D8PU

 

Das Forschungsteam schätzt, dass Earendel mindestens 50 Sonnenmassen besitzt und Millionen Mal heller ist als die Sonne, womit er mit den massereichsten bekannten Sternen konkurriert. Aber sogar ein solch heller, massereicher Stern wäre in einer derart großen Entfernung unmöglich zu sehen, wenn es nicht die natürliche Vergrößerung durch einen riesigen Galaxienhaufen gäbe, der zwischen uns und Earendel liegt, in diesem Fall der Galaxienhaufen WHL0137-08. Die Masse des Galaxienhaufens krümmt das Gefüge des Raums und erzeugt eine Art leistungsfähige, natürliche Vergrößerungslinse, das das Licht von fernen Objekten hinter ihm verzerrt und stark bündelt.

Dank der seltenen Ausrichtung mit einem verstärkenden Galaxienhaufen erscheint der Stern Earendel direkt auf oder extrem nah an einer Störung im Gefüge des Raums. Diese Störungen, die in der Optik als Kaustik bezeichnet werden, liefern die maximale Vergrößerung und Aufhellung. Der Effekt funktioniert analog zur aufgewühlten Oberfläche eines Swimmingpools, wo er an einem sonnigen Tag Muster aus hellem Licht auf dem Boden des Pools erschafft. Die Störungen auf der Oberfläche agieren als Linsen und bündeln das Sonnenlicht zur maximalen Helligkeit auf dem Boden des Pools.

Diese Kaustik lässt den Stern Earendel aus dem allgemeinen Hintergrundleuchten seiner Heimatgalaxie herausstechen. Seine Helligkeit wird um ein Tausendfaches oder mehr verstärkt. Zu diesem Zeitpunkt können Astronomen noch nicht sagen, ob Earendel ein Doppelstern ist, aber die meisten massereichen Sterne besitzen mindestens einen kleineren Begleitstern.

Astronomen gehen davon aus, dass Earendel noch jahrelang hochgradig verstärkt erscheinen wird. Er wird später in diesem Jahr mit dem James Webb Space Telescope beobachtet. Die hohe Empfindlichkeit des James Webb Space Telescope gegenüber infrarotem Licht wird benötigt, um mehr über Earendel zu erfahren, weil sein Licht durch die Expansion des Universums in längere, infrarote Wellenlängen verschoben ist.

„Die Bilder und Spektren des Webb-Teleskops werden uns erlauben zu bestätigen, dass Earendel tatsächlich ein Stern ist, und die Werte für sein Alter, seine Temperatur, seine Masse und seinen Radius einzugrenzen“, erklärte das Teammitglied Jose Maria Diego vom Instituto de Física de Cantabria in Spanien. „Die Kombination der Beobachtungen von Webb und Hubble werden uns auch ermöglichen, mehr über Mikrogravitationslinsen in dem Galaxienhaufen zu erfahren, was exotische Objekte wie primordiale Schwarze Löcher einschließen könnte.“

Earendels Zusammensetzung wird für Astronomen von großem Interesse sein, weil er entstand, bevor das Universum mit den schweren Elementen angereichert war, die durch nachfolgende Generationen massereicher Sterne produziert wurden. Wenn Nachfolgestudien ergeben, dass Earendel nur aus primordialem Wasserstoff und Helium besteht, wäre das der erste Beleg für die legendären Population-III-Sterne, die laut der Theorie die ersten Sterne waren, die nach dem Urknall entstanden.

Obwohl die Wahrscheinlichkeit klein ist, gibt Welch zu, dass es auch verlockend ist. „Mit Webb könnten wir Sterne sehen, die sogar noch weiter entfernt sind als Earendel, was wirklich unglaublich spannend wäre“, sagte er. „Wir werden so weit zurückgehen, wie wir können. Ich würde sehr gerne sehen, wie das Webb-Teleskop Earendels Distanzrekord bricht.“

Studie: „A highly magnified star at redshift 6.2“ von Welch et al., Nature

Quelle

(THK)

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