„Koronale Zellen“: SDO und STEREO entdecken etwas Neues auf der Sonne

Standbild aus dem unten eingebettetem Video, dass die Entwicklung koronaler Zellen zeigt. (NASA / STEREO / NRL)
Standbild aus dem unten eingebettetem Video, dass die Entwicklung koronaler Zellen zeigt. (NASA / STEREO / NRL)

An einem Tag im Herbst 2011 tat Neil Sheeley, ein Sonnenwissenschaftler am Naval Research Laboratory in Washington D.C., das, was er immer tut – sich die täglichen Bilder anschauen, die das Solar Dynamics Observatory (SDO) von der Sonne gemacht hat.

Aber an diesem Tag sah er etwas, das er nie zuvor bemerkt hatte: ein Muster aus Zellen mit hellen Zentren und dunklen Grenzbereichen, das in der Atmosphäre der Sonne, der Korona, auftrat. Diese Zellen glichen einem Zellenmuster, das auf der Oberfläche der Sonne auftritt – vergleichbar mit den aufsteigenden Blasen in kochendem Wasser – aber es war eine Überraschung, dieses Muster hoch oben in der Korona zu finden, die normalerweise von hellen Bögen und dunklen koronalen Löchern dominiert wird.

Sheeley erörterte die Bilder mit seinem Kollegen Harry Warren vom Naval Research Laboratory und zusammen machten sie sich daran, mehr über die Zellen zu erfahren. Ihre Suche umfasste Beobachtungen einer Flotte von NASA-Satelliten, die als das Heliophysics System Observatory bezeichnet wird. Die Satelliten stellen mehrere Beobachtungspunkte aus verschiedenen Positionen um die Sonne herum bereit. Die Wissenschaftler beschreiben die Eigenschaften dieser bislang undokumentierten solaren Strukturen mit der Bezeichnung „koronale Zellen“ in einer Abhandlung, die am 20. März 2012 online in The Astrophysical Journal veröffentlicht wurde und am 10. April 2012 in der Printausgabe erscheinen wird.

Die koronalen Zellen treten in Gebieten zwischen koronalen Löchern (kühleren und weniger dichten Regionen der Korona, die auf Bildern dunkel erscheinen) und „Filamentkanälen“ auf, welche die Grenzen zwischen den Bereichen von aufwärts und abwärts gerichteten Magnetfeldern markieren. Die Entwicklung dieser Zellen zu verstehen, kann Anhaltspunkte über die Veränderung magnetischer Felder und die Grenzen von koronalen Löchern geben und darüber, wie sie die stetige Emission solarer Materie beeinflussen, welche aus diesen Löchern strömt und als Sonnenwind bekannt ist.

„Wir denken, die koronalen Zellen sehen wie aufsteigende Flammen aus, wie Kerzen auf einem Geburtstagskuchen“, sagt Sheeley. „Wenn man sie von der Seite betrachtet, sehen sie wie Flammen aus. Wenn man sie von oben ansieht, sehen sie wie Zellen aus. Und wir konnten das genau nachprüfen, weil wir sie mit STEREO-A, STEREO-B und dem SDO gleichzeitig von oben und von der Seite anschauen konnten.“

Als die Zellen im Herbst 2011 entdeckt wurden, hatten das SDO und die beiden STEREO-Satelliten (Kurzform für Solar Terrestrial Relations Observatory) sehr unterschiedliche Blickwinkel auf die Sonne. Während die 27-tägige Rotationsperiode der Sonne die koronalen Zellen weitertrug, tauchten sie deshalb zuerst in den Daten von STEREO-B auf, dann in den Daten des SDO und zum Schluss in den Daten von STEREO-A, bevor sie erneut bei STEREO-B zu sehen waren. Als ein Observatorium direkt auf die Zellen hinab sah, konnte ein anderes sie von der Seite betrachten.

Die relativen Positionen von STEREO-A, STEREO-B und dem SDO (NRL)
Die relativen Positionen von STEREO-A, STEREO-B und dem SDO (NRL)

Die Forscher verwendeten Zeitraffer-Sequenzen der drei Satelliten, um diese Zellen auf ihrem Weg um die Sonne herum zu verfolgen. Als ein Observatorium auf eines der Gebiete hinab sah, zeigte es das Zellmuster, das Sheeley anfangs bemerkte. Aber als dieselbe Region aus einem schrägen Blickwinkel betrachtet wurde, zeigten sich Schwaden, die sich zu einer Seite hin neigten. In Kombination miteinander offenbaren die zweidimensionalen Bilder die dreidimensionale Natur der Zellen als Säulen aus solarer Materie, die sich aufwärts durch die Sonnenatmosphäre ausbreiten, wie gigantische Gassäulen.

Um das Bild weiter zu vervollständigen, zog das Team andere Instrumente und Satelliten heran. Die ursprünglichen SDO-Bilder stammten von seinem Atmospheric Imaging Assembly, das konventionelle Aufnahmen der Sonne macht. Ein anderes Instrument des SDO, der Helioseismic and Magnetic Imager (HMI), kartiert die magnetischen Felder der Sonne. Die Wissenschaftler überlagerten gewöhnliche Aufnahmen der Zellen mit den Bildern der Magnetfelder, um die Position der koronalen Zellen relativ zu den komplexen Magnetfeldern auf der Sonnenoberfläche zu bestimmen.

Erstens: die magnetischen Feldlinien liegen zentriert innerhalb der Zellen. Das bedeutet eine klare Unterscheidung zwischen den koronalen Zellen und einem anderen wohlbekannten Phänomen, den Supergranulen. Supergranulen erscheinen ebenfalls als große zellenartige Muster auf der Sonnenoberfläche und ihre begrenzten Ränder werden erzeugt, wenn die seitwärts gerichtete Bewegung solarer Materie schwächere Magnetfelder in ihre Grenzbereiche reißt. Deshalb scheinen Supergranulen an ihren Rändern verstärkte Magnetfelder zu besitzen, während die koronalen Zellen sie in ihren Zentren aufweisen.

Zweitens: die Wissenschaftler brachten mehr darüber in Erfahrung, wie die koronalen Zellen in ihrer Position zwischen einem koronalen Loch und einem benachbarten Filamentkanal mit anderen Strukturen auf der Sonne in Zusammenhang stehen. Die Zellen traten einheitlich in Gebieten auf, die von Magnetfeldern dominiert werden, welche in eine einzige Richtung zeigen, entweder aufwärts oder abwärts. Dazu kommt, dass die Felder des nahen koronalen Lochs „offen“ sind und sich weit hinaus in den Weltraum erstrecken, ohne zur Sonne zurückzukehren. Die Feldlinien in den Zellen sind dagegen „geschlossen“, beschreiben einen Bogen über den Filamentkanal und verbinden sich dann wieder mit der Sonne.

Die beiden oberen Bilder zeigen koronale Zellen in der Draufsicht. Ihre Durchmesser betrugen knapp 30.000 Kilometer. Die unteren Bilder zeigen dieselbe Region von der Seite. Die schwarzen und weißen Pfeile markieren die identischen Punkte auf der Sonne. (NASA / STEREO / SDO / NRL)
Die beiden oberen Bilder zeigen koronale Zellen in der Draufsicht. Ihre Durchmesser betrugen knapp 30.000 Kilometer. Die unteren Bilder zeigen dieselbe Region von der Seite. Die schwarzen und weißen Pfeile markieren die identischen Punkte auf der Sonne. (NASA / STEREO / SDO / NRL)

Das Beisammensein dieser offenen und geschlossenen Magnetfelder – offen in den koronalen Löchern und geschlossen in den koronalen Zellen – führte zu einer weiteren wissenschaftlichen Erkenntnis. In manchen Videos eruptierte ein großer Bogen aus solarer Materie (ein „Filament“) aus dem benachbarten Filamentkanal. Die koronalen Zellen mit ihren geschlossenen Feldlinien verschwanden und wurden durch ein dunkles koronales Loch und dessen offene Feldlinien ersetzt.

„Manchmal waren die Zellen für immer verschwunden und manchmal tauchten sie exakt so wieder auf, wie sie waren“, sagt Sheeley. „Das bedeutet, wir müssen herausfinden, was die Kerzen auf dem Geburtstagskuchen ausbläst und sie neu entzündet. Es ist möglich, dass diese koronale Zellenstruktur dieselbe Struktur ist, die innerhalb der koronalen Löcher existiert – aber sie ist für uns sichtbar, wenn die Magnetfelder geschlossen sind und unsichtbar, wenn die Magnetfelder offen sind.“

Es ist lange bekannt, dass isolierte Schwaden [solarer Materie] zeitweise innerhalb koronaler Löcher auftreten, wenn dort sehr kleine aktive Regionen ausbrechen. Diese Eruptionen geben wahrscheinlich flüchtige Einblicke in einzelne koronale Strukturen, die mit den nachhaltigeren, sichtbaren Kerzen in der Nähe der Löcher vergleichbar sind. Wenn sich ein Teil eines Loches schließt, wird die kerzenartige Struktur durch das Erscheinen der Zellen plötzlich erhellt.

Zusätzlich zu dem SDO und STEREO griff das Team auf ältere Daten des von der ESA und NASA betriebenen Solar and Heliospheric Observatory (SOHO) zurück, das seit dem vorherigen Sonnenfleckenminimum im Jahr 1996 Beobachtungen bereitgestellt hat. Sie fanden keine koronalen Zellen im Jahr 1996 oder in den Jahren um das vergangene Sonnenfleckenminimum 2008/2009, aber sie fanden zahlreiche Beispiele für Zellen in den Jahren um das dazwischenliegende Sonnenfleckenmaximum im Jahr 2000. Der kürzliche Anstieg der Sonnenfleckenaktivität könnte zusammen mit den besseren Beobachtungen des SDO und STEREO erklären, warum die Zellen 2011 entdeckt wurden.

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Video-Link: https://youtu.be/jzjyuJK7Lek

Entwicklung koronaler Zellen zwischen dem 7. und 14. Juni 2011. (NASA / STEREO / NRL)

Das Team fertigte unter Verwendung des Extreme-Ultraviolet Imaging Spectrometer (EIS) an Bord der japanischen Sonde Hinode auch Doppler-Aufnahmen der koronalen Zellen an – Bilder, die zeigen, wo und wie schnell sich solare Materie in der Sonnenatmosphäre auf den Beobachter zubewegt. Diese Aufnahmen zeigen, dass sich die Zentren der Zellen schneller aufwärts bewegen als ihre Randbereiche. Ein aus ihrer Mitte aufsteigender Teil vervollständigt das physikalische Bild dieser riesigen Kerzen.

„Eine der großartigen Eigenschaften des SDO ist die Art, wie die Beobachtungen mit anderen Instrumenten kombiniert werden können“, sagt Dean Pesnell, Projektwissenschaftler für das SDO am Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland). „Die Kombination der Daten von SDO, STEREO, SOHO und Hinode lässt uns ein Bild der gesamten Sonne zeichnen, wie es ein [einziges] Instrument nicht vermag.“

Die Entdeckung koronaler Zellen hat bereits unser Wissen über die magnetische Struktur der Sonnenkorona erweitert. In der Zukunft könnten Studien über die Entwicklung koronaler Zellen das Verständnis der Wissenschaftler über die magnetischen Veränderungen in den Randbereichen von koronalen Löchern und ihre Auswirkungen auf den Sonnenwind und das Weltraumwetter in der Nähe der Erde verfeinern.

Quelle: http://www.nasa.gov/mission_pages/sunearth/news/solar-plumes.html

(THK)

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