Der Großteil der Sterne in unserer Galaxie existiert paarweise – insbesondere die massereichsten Sterne haben normalerweise einen Begleiter. Diese brüderlichen Zwillinge neigen dazu, hinsichtlich ihrer Masse ebenbürtige Partner zu sein – aber nicht immer. Im Rahmen eines Vorhabens, nach ungleichen Sternpaaren zu suchen, die als Doppelsterne mit extremen Massenverhältnissen bezeichnet werden, haben Astronomen eine neue Doppelsternklasse entdeckt: Ein Stern ist voll entwickelt, während sich der andere noch in seiner Kindheitsphase befindet.
“Wir haben sie genau zur richtigen Zeit entdeckt. Wir sehen diese Sterne gewissermaßen im Kreißsaal”, sagte Maxwell Moe vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA), der leitende Autor der Studie. Je massereicher ein Stern ist, desto heller leuchtet er. Das macht es schwierig, Doppelsternsysteme mit extremen Massenverhältnissen zu identifizieren, weil der schwerere Stern den leichteren überstrahlt und dadurch verbirgt.
Um diesen Effekt anzugehen, suchten Moe und seine Kollegin Rosanne DiStefano vom CfA nach bedeckenden Systemen, in denen die beiden Sterne so ausgerichtet sind, dass (von der Erde aus betrachtet) ein Stern regelmäßig vor dem anderen vorbeizieht. Wenn der schwächere Stern den helleren Stern bedeckt, fällt ihr Licht nachweisbar ab. Diese Systeme sind selten, weil sie von der Erde aus gesehen eine präzise Orientierung erfordern.
Nach der Sichtung von mehreren tausend sich gegenseitig bedeckenden Systemen identifizierten sie 18 Doppelsternsysteme mit extremen Massenverhältnissen in einer benachbarten Galaxie, der Großen Magellanschen Wolke. Die Sterne umkreisen einander in engen Umlaufbahnen mit Umlaufperioden zwischen drei und neun Tagen. Die massereicheren Sterne besitzen zwischen sechs und 16 Sonnenmassen, während die weniger massereichen Sterne zwischen ein und zwei Sonnenmassen aufweisen.
Ein Anhaltspunkt für die junge Natur dieser Systeme stammt von einer ungewöhnlichen Eigenschaft in den Daten. Der schwächere Stern zeigt Beleuchtungsphasen, wenn sich die beiden Sterne umkreisen, genau wie die Phasen des Mondes. Das spricht dafür, dass der Begleiter das Licht des helleren, massereicheren Sterns reflektiert. Wir sehen die Phasen nur, weil der schwächere und masseärmere Begleiter noch kein voll entwickelter Stern ist. Astronomen sagen, er gehört zur sogenannten Vorhauptreihe (Pre-Main Sequence, PMS). “Man stelle sich vor, dass ein menschliches Baby schrumpft anstatt zu wachsen, wenn es älter wird. Genau das passiert mit jungen Sternen”, sagte DiStefano.
In den identifizierten jungen Systemen befindet sich der massereichere Stern bereits auf der Hauptreihe, der weniger massereiche Stern dagegen noch nicht. Infolgedessen ist der Begleiter noch aufgeblähter als er später sein wird, weil er noch kontrahiert. Das lässt den Vorhauptreihenstern praktisch wie einen riesigen Spiegel agieren, der die Helligkeit seines Partners reflektiert. Die Entdeckung dieser stellaren Zwillinge könnte unschätzbare Einblicke in die Entstehung und Entwicklung massereicher Sterne, enger Doppelsternsysteme und Sternentstehungsregionen geben.
Die 18 identifizierten Systeme wurden aus Millionen Sternen in der Großen Magellanschen Wolke ausgewählt, die vom Optical Gravitational Lensing Experiment beobachtet wurden. Aufgrund ihrer Seltenheit wird das Auffinden von Beispielen in unserer Galaxie wahrscheinlich ein umfassendes Himmelsdurchmusterungsprojekt mit Einrichtungen wie dem geplanten Large Synoptic Survey Telescope erfordern. Die Forschungsarbeit wurde zur Veröffentlichung im Astrophysical Journal angenommen.
Das Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) mit Hauptsitz in Cambridge (Massachusetts) ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Smithsonian Astrophysical Observatory und dem Harvard College Observatory. Wissenschaftler aus sechs Forschungsabteilungen studieren hier den Ursprung, die Entwicklung und das endgültige Schicksal des Universums.
Quelle: https://www.cfa.harvard.edu/news/2015-06
(THK)
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