Neue Messung vertieft das Rätsel um die Hubble-Konstante

Ein Bild der Großen Magellanschen Wolke. Das kleine Bild stammt vom Hubble-Teleskop und zeigt viele Sternhaufen in der Zwerggalaxie. Zu den Sternen gehören auch Cepheiden, die für die Messung der Distanzen herangezogen werden. (Credits: NASA, ESA, A. Riess (STScI / JHU) and Palomar Digitized Sky Survey)
Ein Bild der Großen Magellanschen Wolke. Das kleine Bild stammt vom Hubble-Teleskop und zeigt viele Sternhaufen in der Zwerggalaxie. Zu den Sternen gehören auch Cepheiden, die für die Messung der Distanzen herangezogen werden. (Credits: NASA, ESA, A. Riess (STScI / JHU) and Palomar Digitized Sky Survey)

Astronomen sagen, dass sie mit Hilfe des Weltraumteleskops Hubble eine wichtige Grenze in Bezug auf einen Unterschied zwischen den beiden Schlüsselmethoden zur Messung der Expansion des Universums überschritten haben. Die neue Studie stärkt die Ansicht, dass neue Theorien erforderlich sein könnten, um die Kräfte zu erklären, die das Universum gestaltet haben.

Eine kurze Zusammenfassung: Das Universum wird mit jeder Sekunde größer. Der Raum zwischen den Galaxien dehnt sich aus, ähnlich wie Teig im Ofen aufgeht. Aber wie schnell expandiert das Universum? Als Hubble und andere Teleskope versuchten, diese Frage zu beantworten, ergab sich ein erstaunlicher Unterschied zwischen dem, was die Wissenschaftler voraussagen, und dem, was sie beobachten.

Hubble-Messungen sprechen für eine schnellere Expansionsrate im heutigen Universum als erwartet, basierend darauf, wie das Universum vor mehr als 13 Milliarden Jahren aussah. Diese Messungen des jungen Universums stammen vom Planck-Satelliten der European Space Agency (ESA). Dieser Unterschied wurde im Rahmen wissenschaftlicher Studien in den letzten paar Jahren identifiziert. Aber es war unklar, ob Unterschiede bei den Messmethoden dafür verantwortlich sind, oder ob die Diskrepanz aus unglücklichen Messungen resultieren könnte.

Die neuesten Hubble-Daten verringern die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Diskrepanz nur ein Zufall ist, auf 1:100.000. Das ist eine signifikante Verbesserung gegenüber einer früheren Schätzung von vor über einem Jahr, die auf einen Wert von 1:3.000 kam. Diese bislang präzisesten Hubble-Messungen untermauern die Theorie, dass neue Physik erforderlich sein könnte, um die Diskrepanz zu erklären.

„Der Unterschied zwischen dem jungen und dem heutigen Universum könnte die aufregendste Entwicklung in der Kosmologie seit Jahrzehnten sein“, sagte der leitende Forscher und Nobelpreisträger Adam Riess vom Space Telescope Science Institute (STScI) und der Johns Hopkins University in Baltimore (Maryland). „Diese Diskrepanz ist gewachsen und hat jetzt einen Punkt erreicht, der wirklich unmöglich als ein Zufall abgetan werden kann. Dieser Unterschied konnte plausiblerweise nicht nur durch Zufall auftreten.“

Die Schrauben des kosmischen Entfernungsmessers anziehen

Wissenschaftler nutzen einen „kosmischen Entfernungsmesser“, um zu bestimmen, wie weit entfernt die Dinge im Universum sind. Diese Methode hängt von exakten Entfernungsmessungen zu nahen Galaxien ab und wendet sich dann immer weiter entfernten Galaxien zu, wobei deren eigenen Sterne als Maßstab verwendet werden. Astronomen nutzen diese Werte zusammen mit anderen Messungen des Lichts von Galaxien, das bei der Durchquerung eines expandierenden Universums roter wird. Auf diese Weise berechnen sie, wie schnell das Universum mit der Zeit expandiert – ein Wert, der als Hubble-Konstante bezeichnet wird. Riess und sein SH0ES-Team (Supernovae H0 for the Equation of State) arbeiten seit 2005 daran, diese Entfernungsmessungen von Hubble zu verfeinern und die Hubble-Konstante zu präzisieren.

In dieser neuen Studie verwendeten Astronomen Hubble, um 70 pulsierende Sterne in der Großen Magellanschen Wolke zu beobachten – veränderliche Sterne des sogenannten Cepheiden-Typs. Die Beobachtungen halfen ihnen, den Entfernungsmaßstab neu zu konstruieren, indem sie den Vergleich zwischen diesen Cepheiden-Veränderlichen und deren weiter entfernten Cousins in den Heimatgalaxien von Supernovae verbesserten. Riess und sein Team reduzierten die Unsicherheit in ihrem Wert der Hubble-Konstante von einer früheren Schätzung (2,2 Prozent) auf 1,9 Prozent.

Mit zunehmender Präzision ihrer Messungen blieben ihre Berechnungen der Hubble-Konstante im Widerspruch zu dem erwarteten Wert, der aus Beobachtungen der Expansion des jungen Universums abgeleitet wurde. Diese Messungen wurden von dem Planck-Satelliten gemacht, der den kosmischen Mikrowellenhintergrund kartiert, ein Nachglühen aus der Zeit rund 380.000 Jahre nach dem Urknall.

Die Messungen wurden sorgfältig überprüft, so dass Astronomen die Diskrepanz zwischen den beiden Ergebnissen nicht auf einen Fehler in einer Einzelmessung oder in einer Methode zurückführen können. Beide Werte wurden auf verschiedene Weisen geprüft.

„Dies sind nicht nur zwei Experimente, die widersprüchlich sind“, erklärte Riess. „Wir messen etwas grundsätzlich Anderes. Das eine ist eine Messung dessen, wie schnell das Universum heute expandiert, so wie wir es sehen. Das andere ist eine Voraussage basierend auf der Physik des jungen Universums und auf Messungen, wie schnell es expandieren sollte. Wenn diese Werte nicht übereinstimmen, wird es sehr wahrscheinlich, dass wir in dem kosmologischen Modell etwas übersehen, das diese beiden Zeitepochen miteinander verbindet.“

Wie die Studie durchgeführt wurde

Astronomen verwenden seit mehr als einem Jahrhundert Cepheiden als kosmische Lineale, um nahe intergalaktische Distanzen zu messen. Aber die Suche nach einer Reihe dieser Sterne war sehr zeitaufwändig. Deshalb entwickelte das Team eine clevere neue Methode namens DASH (Drift And Shift), die Hubble als „Schnappschuss“-Kamera nutzt, um schnelle Bilder der extrem hellen pulsierenden Sterne zu machen. Das reduziert den Bedarf an Zeit für die präzise Ausrichtung.

„Wenn Hubble eine präzise Ausrichtung per Verfolgung von Leitsternen nutzt, kann es nur einen Cepheiden-Veränderlichen pro 90-minütiger Erdumkreisung beobachten. Deshalb wäre es sehr kostspielig für das Teleskop, jeden Cepheiden zu beobachten“, erklärte das Teammitglied Stefano Casertano vom STScI und der Johns Hopkins University. „Stattdessen suchten wir nach Gruppen von Cepheiden, die nahe genug beieinander liegen, so dass wir ohne Neuausrichtung des Teleskops zwischen ihnen wechseln konnten. Diese Cepheiden sind so hell, dass wir sie nur zwei Sekunden lang beobachten mussten. Diese Technik erlaubt uns, ein Dutzend Cepheiden während der Dauer einer Erdumkreisung zu beobachten. Wir bleiben bei der Gyroskopkontrolle und ‚DASHen‘ sehr schnell herum.“

Die Astronomen kombinierten dann ihr Ergebnis mit anderen Beobachtungsdaten des Araucaria Project, einer Zusammenarbeit zwischen Astronomen von Institutionen in Chile, den Vereinigten Staaten und Europa. Diese Gruppe führte Entfernungsmessungen an der Großen Magellanschen Wolke durch, indem sie den Helligkeitsabfall von Doppelsternsystemen während gegenseitiger Bedeckungen maßen.

Die kombinierten Messungen halfen dem SH0ES-Team bei der Kalibrierung der tatsächlichen Helligkeit von Cepheiden. Mit diesem präziseren Ergebnis konnte das Team dann die „Schrauben“ am Rest des Entfernungsmessers anziehen, der sich tiefer in den Weltraum erstreckt.

Die neue Schätzung der Hubble-Konstante beträgt 74 Kilometer pro Sekunde pro Megaparcec. Das bedeutet, dass sich eine Galaxie pro 3,3 Millionen Lichtjahre größerer Entfernung 74 Kilometer pro Sekunde schneller zu bewegen scheint, infolge der Expansion des Universums. Der Wert spricht dafür, dass das Universum mit einer neun Prozent schnelleren Rate expandiert als laut der Voraussage (67 Kilometer pro Sekunde pro Megaparcec), die aus den Planck-Beobachtungen des jungen Universums und unserem aktuellen Wissen über das Universum abgeleitet wurde.

Illustration der drei Schritte zur Berechnung der Hubble-Konstanten. (Credits: NASA, ESA and A. Feild (STScI)
Illustration der drei Schritte zur Berechnung der Hubble-Konstanten. (Credits: NASA, ESA and A. Feild (STScI)

Oben: Diese Grafik zeigt die drei grundlegenden Schritte, die Astronomen für die Berechnung der Hubble-Konstanten machen. Begonnen wird mit der Messung der genauen Distanzen zu nahen Galaxien und von da ab zu immer weiter entfernten Galaxien. Dieser „Entfernungsmesser“ besteht aus einer Reihe von Messungen verschiedener astronomischen Objekte mit einer bestimmten, bekannten Helligkeit, die Astronomen für Berechnung der Distanzen verwenden können. Zu den zuverlässigsten Objekten für kleinere Distanzen gehören veränderliche Sterne des Cepheiden-Typs. Diese Sterne werden im Nahbereich wie der Großen Magellanschen Wolke beobachtet und ebenso in Galaxien, die eine anderen kosmischen Entfernungsmesser beinhalten: Typ-Ia-Supernovae. Diese „Standardkerzen“ werden zur Messung kosmischer Distanzen zu fernen Galaxien genutzt. Jeder Schritt baut auf dem vorangehenden auf. Durch Vergleichen der Messungen und der sogenannten Rotverschiebung können Astronomen ableiten, wie schnell das Universum expandiert – das ist die Hubble-Konstante.

Was könnte diese Diskrepanz erklären?

Eine Erklärung für den Unterschied wäre ein unerwartetes Auftreten von Dunkler Energie im jungen Universum; jetzt macht die Dunkle Energie etwa 70 Prozent des Universums aus. Die Theorie wurde von Astronomen der Johns Hopkins University vorgeschlagen und wird als „frühe Dunkle Energie“ bezeichnet. Sie beschreibt die Entwicklung des Universums in drei Akten.

Astronomen haben bereits vermutet, dass Dunkle Energie in den ersten Sekunden nach dem Urknall existierte und die Materie durch den Raum drückte und so die anfängliche Expansion begann. Die Dunkle Energie könnte auch der Grund für die heute beobachtete beschleunigte Expansion sein. Die neue Theorie besagt, dass es eine dritte Episode mit Dunkler Energie kurz nach dem Urknall gab, die das Universum schneller expandieren ließ, als von den Astronomen vorausgesagt wurde. Die Existenz dieser „frühen Dunklen Energie“ könnte laut Riess für die Diskrepanz zwischen den beiden Werten der Hubble-Konstante verantwortlich sein.

Eine andere Theorie beschreibt, dass das Universum ein neues subatomares Teilchen enthält, das sich mit annähernd Lichtgeschwindigkeit bewegt. Solche schnellen Teilchen werden allgemein als Dunkle Strahlung bezeichnet und umfassen bereits bekannte Teilchen wie Neutrinos, welche bei Kernreaktionen und radioaktiven Zerfallsprozessen entstehen.

Eine weitere ansprechende Möglichkeit ist, dass Dunkle Materie (eine unsichtbare Form von Materie, die nicht aus Protonen, Neutronen und Elektronen besteht) stärker mit normaler Materie oder Strahlung interagiert als bislang vermutet.

Aber die zutreffende Erklärung ist noch ein Rätsel. Riess hat keine Antwort auf dieses verzwickte Problem, aber sein Team wird Hubble weiterhin nutzen, um die Unsicherheiten der Hubble-Konstante zu reduzieren. Ihr Ziel ist eine Verringerung der Unsicherheit auf ein Prozent, was Astronomen bei der Identifizierung der Ursache für die Diskrepanz helfen sollte.

Die Ergebnisse des Teams wurden zur Veröffentlichung im Astrophysical Journal akzeptiert.

Das Weltraumteleskop Hubble ist ein Projekt internationaler Zusammenarbeit zwischen der National Aeronautics and Space Administration (NASA) und der European Space Agency (ESA). Das Goddard Space Flight Center der NASA in Greenbelt (Maryland) betreibt das Teleskop. Das Space Telescope Science Institute (STScI) in Baltimore (Maryland) führt die wissenschaftlichen Operationen Hubbles durch. Das STScI wird von der Association of Universities for Research in Astronomy in Washington, D.C. für die NASA geleitet.

Quelle

(THK)

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