Saturns winziger, gefrorener Mond Enceladus ist ein seltsamer Ort. Bei einem Durchmesser von nur 480 Kilometern besitzt er eine äußere Hülle aus Eis, die vermutlich einen 32 Kilometer tiefen globalen Ozean einschließt, welcher über einem Gesteinskern liegt. Über den Südpol von Enceladus erstrecken sich vier gerade, parallel verlaufende Gräben – auch Tigerstreifen genannt –, aus denen Wasser austritt. Diese Brüche sind mit nichts Anderem im Sonnensystem vergleichbar.
„Wir möchten wissen, warum die Eruptionen am Südpol lokalisiert sind und nicht irgendwo anders auf Enceladus, wie diese Eruptionen über lange Zeitperioden hinweg aufrechterhalten können und warum sie aus gleichartigen Brüchen austreten“, sagte Max Rudolph, Assistenzprofessor für Geo- und Planetenforschung an der University of California in Davis.
Rudolph und seine Kollegen Douglas Hemingway von der Carnegie Institution for Science in Washington D.C. und Michael Manga von der University of California in Berkeley denken jetzt, dass sie eine gute Erklärung für die eruptierenden Tigerstreifen auf Enceladus gefunden haben. Die Ergebnisse wurden am 9. Dezember 2019 im Journal Nature Astronomy veröffentlicht und am 10. Dezember 2019 auf dem Herbsttreffen der American Geophysical Union (AGU) in San Francisco präsentiert.
Durch Gezeitenkräfte aufgeheizt
Rudolph, Hemingway und Manga nutzen numerische Simulationen, um die auf Enceladus‘ Eispanzer einwirkenden Kräfte zu verstehen.
Saturns Gravitation übt Gezeitenkräfte auf Enceladus aus, die eine Aufheizung und Abkühlung der winzigen Welt verursachen. Diese Kräfte sind am stärksten an den Polen. Wenn sich flüssiges Wasser unter der äußeren Hülle in Eis verwandelt, dehnt sich das Volumen aus und baut Druck auf das Eis auf, bis es bricht.
Die Oberflächentemperatur von Enceladus liegt bei etwa -200 Grad Celsius. Wenn sich also ein Bruch im Eis gebildet hat, würde man erwarten, dass er recht schnell zufriert. Trotzdem bleiben die Brüche am Südpol offen und reichen tatsächlich bis zu dem flüssigen Ozean darunter.
Flüssiges Wasser innerhalb der Brüche wird durch von Saturns Gravitation erzeugten Gezeitenkräfte hin- und herbewegt, wobei Energie in Form von Hitze freigesetzt wird. Das hält den Bruch vom Zufrieren ab.
Die Freisetzung von Druck aus den Brüchen lässt nicht zu, dass sich anderswo auf Enceladus neue Brüche bilden, beispielsweise am Nordpol. Aber zur selben Zeit fällt Wasser aus dem Bruch als Eis zurück und baut die Ränder des Bruches auf und drückt ihn etwas herunter. Laut Berechnungen der Forscher biegt sich das Eis dadurch gerade so stark, um einen parallel verlaufenden Bruch in rund 32 Kilometern Entfernung zu erschaffen. „Unser Modell erklärt die regelmäßigen Abstände der Brüche“, sagte Rudolph.
Die Arbeit basiert auf Daten, die von der NASA/ESA-Saturnmission Cassini gesammelt wurden. Fördermittel wurden ebenfalls von der NASA und von der National Science Foundation bereitgestellt.
(THK)
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