Wie kann man etwas sehen, das unsichtbar ist? Mit Euclid. Dieses zukünftige ESA-Teleskop wird die Struktur des Universums kartieren und uns mehr Informationen über unsichtbare Dunkle Materie und Dunkle Energie liefern. Henk Hoekstra, der wissenschaftliche Koordinator von Euclid und Astronom an der Leiden University, erklärt die Funktionsweise.
Etwas Seltsames geht da vor
Warum vermuten wir, dass Dunkle Materie existiert, wenn wir sie nie beobachtet oder sogar gemessen haben? “Wir umkreisen das Zentrum unserer Galaxie mit 220 Kilometern pro Sekunde”, sagte Hoekstra. “Eine bizarre Geschwindigkeit, die wir glücklicherweise nicht bemerken. Trotzdem geht hier etwas Seltsames vor. Ausgehend von der Anzahl der Sterne in unserer Milchstraßen-Galaxie sollten die Sterne am Rande der Galaxie eine viel geringere Geschwindigkeit aufweisen, aber sie bewegen sich so schnell wie die Sonne. Trotzdem werden diese Sterne nicht in das Universum hinauskatapultiert. Irgendetwas hält sie zusammen.”
Im Grunde genommen kann es nur eine Erklärung geben: Es gibt Materie, die man nicht sehen kann, aber zusätzliche Gravitationskräfte ausübt. Mit anderen Worten Dunkle Materie. “Oder die Gravitationstheorie ist falsch. Aber alles deutet darauf hin, dass Dunkle Materie existiert, nur wissen wir immer noch nicht, was sie ist. Was wir aber wissen ist, dass sie Licht nicht absorbiert oder mit ihm interagiert. Das macht sie sprichwörtlich unsichtbar”, sagte Hoekstra.
Als ob das noch nicht seltsam genug wäre: Seit 1998 wissen wir, dass sich die Expansion des Universums beschleunigt. Um das zu erklären, ist ein sogar noch rätselhafterer Bestandteil notwendig. Dunkle Energie ist ein Begriff, der einfach alle Theorien umfasst, die Astronomen und Physiker momentan untersuchen.
Video-Link: https://youtu.be/HneiEA1B8ks
Warum wir Euclid brauchen
Wir haben einige Wissenslücken und diese können nicht mit existierenden Beobachtungen gefüllt werden. Der einzige Weg nach vorne besteht daher darin, bessere Messungen vorzunehmen. Und hier kommt Euclid ins Spiel – der Satellit, den die European Space Agency im Jahr 2022 starten wird. In einer Entfernung von 1,5 Millionen Kilometern zur Erde wird Euclid ein Drittel des Himmels kartieren.
Damit können wir Fragen beantworten wie: Wie bildet sich die Struktur des Universums unter dem Einfluss der Gravitation? Wie ist die ganze Materie im Universum verteilt? Und wie verändert sich das mit der Zeit? “Eine Antwort auf die letzte Frage erlaubt uns, Modelle zur Dunklen Energie direkt zu überprüfen”, sagte Hoekstra.
Hoekstra ist einer von vier Kosmologie-Koordinatoren und Leiter des Projekts “Weak Lensing”. “Wir werden untersuchen, wie Dunkle Materie den Raum krümmt”, sagte er.
Das Universum ist wie ein mit Münzen gefüllter Wassertank
Aber wie funktioniert das? “Die Masse krümmt den Raum und die Zeit in ihrer Nähe. Man kann diesen Effekt messen, auch wenn man die Dunkle Materie nicht sehen kann”, sagte Hoekstra. Er nutzt eine Analogie, um das zu erklären: “Man kann es mit einem Wassertank vergleichen, der eine Münze enthält. Wenn man den Tank anstößt, deformieren die Wasserbewegungen die Münze. Wenn man mehrere Bilder der Münze aufnimmt, wird man feststellen, dass sie jedes Mal anders aussieht.”
“Unter der Bedingung, dass man viele Münzen hat und weiß, dass sie ursprünglich rund sind, kann man herausfinden, wie viel Wasser in dem Tank vorhanden ist. Mit Dunkler Materie ist es genau dasselbe”, sagte der Kosmologe. “Dunkle Materie krümmt die Abbilder der Galaxien im Hintergrund etwas. Mit Euclid können wir diese Verzerrung messen, indem wir die Formen von so vielen Galaxien wie möglich nehmen und daraus den Durchschnitt bilden.”
Je mehr, desto besser
Je mehr Dunkle Materie es irgendwo gibt, desto stärker werden die Galaxien verzerrt. Auf diese Weise kann man die Verteilung der Dunklen Materie im Universum bestimmen. Aber zuerst werden viele scharfe Bilder benötigt. “Je mehr Galaxien wir messen, desto zuverlässiger sind die Ergebnisse. Wir sprechen also über Big Data, nicht nur wegen der Datenmenge, sondern auch wegen der Komplexität. Die Anzahl der Bilder, die das Weltraumteleskop Hubble in den vergangenen 25 Jahren gemacht hat, entspricht der Menge, die wir in wenigen Tagen sammeln werden.”
Die bislang größte astronomische Zusammenarbeit
Nicht nur die Datenmenge ist groß, sondern auch die Anzahl der an Euclid beteiligten Astronomen. Es ist das größte Astronomenteam der Welt und umfasst etwa 1.500 Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker. Allerdings wird die Anzahl der Astronomen, die von Euclid profitieren werden, viel größer sein: Die Daten werden letztendlich öffentlich zugänglich gemacht und können für zahlreiche Zwecke genutzt werden, beispielsweise zur Entdeckung der fernsten Quasare und zur Identifizierung massereicher Sterne in nahen Galaxien.
“Am Anfang werden die Daten nur für Teilnehmer der Euclid-Mission verfügbar sein, aber danach werden wir sogenannte Data Releases haben. Um den Menschen einen Eindruck der ersten Ergebnisse zu vermitteln, werden wir auch einige schnelle Datenveröffentlichungen haben. Und die werden phänomenal sein”, verspricht ein begeisterter Hoekstra.
(THK)
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